In dem Auszug aus dem Roman kommt es zu einem Gespräch zwischen Effi und drei
Freundinnen, darunter Hulda Niemeyer, die Tochter von Pastor Niemeyer.
Effi Briest ist eine junge Adelige, die im Alter von etwa siebzehn Jahren
mit dem fast zwanzig Jahre älteren Baron von Instetten verheiratet wird.
Während ihrer Ehe begeht Effi, die mit den Umständen ihrer Verbindung mit
Instetten nicht zurechtkommt, Ehebruch mit Major Crampas, den sie aber vor
ihrem Ehemann verheimlicht. Als dieser davon erfährt, fordert er Crampas
zum Duell und tötet ihn. Zugleich verstößt er Effi, der zugleich das
gemeinsame Kind entrissen wird. Am Ende stirbt Effi Briest auf ihren
elterlichen Wohnsitz zurückgehrt an einem Nervenleiden. In dem
nachfolgenden Auszug macht Hulda Effi zunächst darauf aufmerksam, zeigt
zunächst eine harmlose Plauderei, bei der Hulda Effi einer unwichtigen
Sache belehrt und dafür von Effi mit der Bezeichnung "geborene
alte Jungfer" angegriffen wird. Sieht man von wenigen
redeeinleitenden bzw. redebegleitenden Einfügungen ab ("sagte
Effi pikiert", "sagte
Bertha"), einem kurzen
Erzählerbericht, der einem
auktorialen
Erzähler zugeordnet werden kann ("Alle
drei lachten") und der Wertung "pikiert" ab, spürt man wegen
der durchgängigen
szenischen Darstellung
eigentlich nirgendwo mehr einen Erzähler heraus. Dieses Erzählen erreicht
damit jene Unmittelbarkeit, die ansonsten den
dramatischen Text
auszeichnet.
»Man soll sein Schicksal
nicht versuchen; Hochmut kommt vor dem Fall.«
»Immer Gouvernante; du bist
doch die geborene alte Jungfer.«
»Und hoffe mich doch noch zu
verheiraten. Und vielleicht eher als du.«
»Meinetwegen. Denkst du, dass
ich darauf warte? Das fehlte noch. Übrigens, ich kriege schon einen und
vielleicht bald. Da ist mir nicht bange. Neulich erst hat mir der kleine
Ventivegni von drüben gesagt: 'Fräulein Effi, was gilt die Wette, wir
sind hier noch in diesem Jahre zu Polterabend und Hochzeit.'«
»Und was sagtest du da?«
»'Wohl möglich', sagte ich,
'wohl möglich; Hulda ist die Älteste und kann sich jeden Tag
verheiraten.' Aber er wollte davon nichts wissen und sagte: 'Nein, bei
einer anderen jungen Dame, die geradeso brünett ist, wie Fräulein Hulda
blond ist.' Und dabei sah er mich ganz ernsthaft an... Aber ich komme
vom Hundertsten aufs Tausendste und vergesse die Geschichte.«
»Ja, du brichst immer wieder
ab; am Ende willst du nicht.«
»Oh, ich will schon, aber
freilich, ich breche immer wieder ab, weil es alles ein bisschen
sonderbar ist, ja beinah romantisch.«
»Aber du sagtest doch, er sei
Landrat.«
»Allerdings, Landrat. Und er
heißt Geert von Innstetten, Baron von Innstetten.«
Alle drei lachten.
»Warum lacht ihr?«
sagte Effi pikiert. »Was soll das
heißen?«
»Ach,
Effi, wir wollen dich ja nicht beleidigen und auch den Baron nicht.
Innstetten, sagtest du? Und Geert? So heißt doch hier kein Mensch.
Freilich, die adeligen Namen haben oft so was Komisches.«
»Ja, meine Liebe, das haben
sie. Dafür sind es eben Adelige. Die dürfen sich das gönnen, und je
weiter zurück, ich meine der Zeit nach, desto mehr dürfen sie sich's
gönnen. Aber davon versteht ihr nichts, was ihr mir nicht übel nehmen
dürft. Wir bleiben doch gute Freunde. Geert von Innstetten also und
Baron. Er ist geradeso alt wie Mama, auf den Tag.«
»Und wie alt ist denn
eigentlich deine Mama?«
»Achtunddreißig.«
»Ein schönes Alter.«
»Ist es auch, namentlich wenn
man noch so aussieht wie die Mama. Sie ist doch eigentlich eine schöne
Frau, findet ihr nicht auch? Und wie sie alles so weg hat, immer so
sicher und dabei so fein und nie unpassend wie Papa. Wenn ich ein junger
Leutnant wäre, so würd ich mich in die Mama verlieben.«
»Aber Effi, wie kannst du nur
so was sagen«, sagte Hulda. »Das ist ja gegen das vierte Gebot.«
»Unsinn. Wie kann das gegen
das vierte Gebot sein? Ich glaube, Mama würde sich freuen, wenn sie
wüsste, dass ich so was gesagt habe.«
»Kann schon sein«, unterbrach
hierauf Hertha. »Aber nun endlich die Geschichte.«
»Nun, gib dich zufrieden, ich
fange schon an ... Also Baron Innstetten! Als er noch keine zwanzig war,
stand er drüben bei den Rathenowern und verkehrte viel auf den Gütern
hier herum, und am liebsten war er in Schwantikow drüben bei meinem
Großvater Belling. Natürlich war es nicht des Großvaters wegen, dass er
so oft drüben war, und wenn die Mama davon erzählt, so kann jeder leicht
sehen, um wen es eigentlich war. Und ich glaube, es war auch
gegenseitig.« »Und wie kam es nachher?«
»Nun, es kam, wie's kommen
musste, wie's immer kommt. Er war ja noch viel zu jung, und als mein
Papa sich einfand, der schon Ritterschaftsrat war und Hohen-Cremmen
hatte, da war kein langes Besinnen mehr, und sie nahm ihn und wurde Frau
von Briest ... Und das andere, was sonst noch kam, nun, das wisst ihr
... das andere bin ich.«
»Ja, das andere bist du,
Effi«, sagte Bertha. »Gott sei Dank; wir
hätten dich nicht, wenn es anders gekommen wäre. Und nun sage, was tat
Innstetten, was wurde aus ihm? Das Leben hat er sich nicht genommen,
sonst könntet ihr ihn heute nicht erwarten. «
»Nein, das Leben hat er sich
nicht genommen. Aber ein bisschen war es doch so was.«
»Hat er einen Versuch
gemacht?«
»Auch das nicht. Aber er
mochte doch nicht länger hier in der Nähe bleiben, und das ganze
Soldatenleben überhaupt muss ihm damals wie verleidet gewesen sein. Es
war ja auch Friedenszeit. Kurz und gut, er nahm den Abschied und fing
an, Juristerei zu studieren, wie Papa sagt, mit einem 'wahren
Biereifer'; nur als der Siebziger Krieg kam, trat er wieder ein, aber
bei den Perlebergern statt bei seinem alten Regiment, und hat auch das
Kreuz. Natürlich, denn er ist sehr schneidig. Und gleich nach dem Kriege
saß er wieder bei seinen Akten, und es heißt, Bismarck halte große
Stücke von ihm und auch der Kaiser, und so kam es denn, dass er Landrat
wurde, Landrat im Kessiner Kreise.«
»Was ist Kessin? Ich kenne
hier kein Kessin.«
»Nein, hier in unserer Gegend
liegt es nicht; es liegt eine hübsche Strecke von hier fort in Pommern,
in Hinterpommern sogar, was aber nichts sagen will, weil es ein Badeort
ist (alles da herum ist Badeort), und die Ferienreise, die Baron
Innstetten jetzt macht, ist eigentlich eine Vetternreise oder doch etwas
Ähnliches. Er will hier alte Freundschaft und Verwandtschaft wiedersehen.«
»Hat er denn hier Verwandte?«
»Ja und nein, wie man's
nehmen will. Innstettens gibt es hier nicht, gibt es, glaub ich,
überhaupt nicht mehr. Aber er hat hier entfernte Vettern von der Mutter
Seite her, und vor allem hat er wohl Schwantikow und das Bellingsche
Haus wiedersehen wollen, an das ihn so viele Erinnerungen knüpfen. Da
war er denn vorgestern drüben, und heute will er hier in Hohen-Cremmen
sein.«
»Und was sagt dein Vater
dazu?«
»Gar nichts. Der ist nicht
so. Und dann kennt er ja doch die Mama. Er neckt sie bloß.«
(aus: Theodor Fontane, Effi Briest, Stuttgart: Reclam 2002, S.9-12)