»Franz
K. Stanzel (geb. 1924) hat sein Konzept der ▪ Erzählsituationen im
Verlauf von Jahrzehnten immer wieder überarbeitet (z. B.
Die typischen Erzählsituationen im
Roman 1955,
Typische Formen des Romans 1964/1979,
Theorie des
Erzählens 1979) und dabei mal drei, mal vier
▪ idealtypische Erzählsituationen unterschieden. Ob drei
oder vier Erzählsituationen hängt dabei davon ab, ob den anderen dreien
(▪ auktoriale E., ▪
personale E. und ▪
Ich-Erzählsituation) eine ▪
neutrale Erzählsituation beigeordnet
wird, die sich von jenen unterscheiden lässt.
In seiner
Theorie des Erzählens 1979/1989) hat Stanzel dabei den Versuch
unternommen den Systemcharakter seines ▪
triadischen
Modells von Person, Perspektive und Modus umfassend zu verdeutlichen
und in einem sogenannten Typenkreis zu ▪
visualisieren.
In vereinfachter Form
lässt es sich wie folgt darstellen:
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Das in seinen späteren
Veröffentlichungen
"Theorie des Erzählens" (1989) im sogenannten
Typenkreis dargestellte Konzept ist aus verschiedenen Gründen in der
Wissenschaft heftig kritisiert worden (z. B.
Petersen
1993), hat aber auch namhafte Fürsprecher gefunden. So betont
Bode
(2005, S.145) z. B. ganz im Unterschied zu
Genette
(2. Aufl. 1998, S.270), dass das Kreismodell "ebenso genial wie
einfach, elegant und effizient" sei, weil es dreierlei auf einmal
leiste:
-
Es veranschauliche,
dass sich jede der drei Erzählsituationen sich gegen die beiden
anderen definiere, da jede jeweils ein bestimmtes Merkmal aufweise,
das den beiden anderen fehle. (vgl.
Bode
2005, S.145)
-
Es veranschauliche,
"das es trotz dieser polaren Gegensätzlichkeit zwischen den drei
Erzählsituationen gleitende Übergänge gibt (man kann also auf dem
Kreis im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn herumfahren -
und wieder zurück), ja in gewisser Weise sind es gerade diese
Mischungs-Verhältnisse in Übergangszonen" (ebd.),
die in dem Typenkreis einen systematischen Ort hätten.
-
Es erlaube zudem,
einzelene Titel oder Genres, ganze Romane oder auch Romakapitel,
indem man sie "außen um den Kreis herum" (ebd.)
notiert, literaturgeschichtlich zu verorten, "und zwar so, dass
jeder Titel etwa in jenem Kreissektor zu stehen kommt, der der
bestimmten Erzählsituation (in welcher Reiheit und Mischung auch
immer) entspricht." (ebd.)
Dabei sei wichtig zu verstehen, dass angesichts der genannten
gleitenden Übergänge und der Mischungsverhältnisse, ein bestimmter
Text häufig nicht als Punkt auf dem Erzählkreis abzubilden sein,
sondern eben oft "eine Strecke auf dem Kreis, einen Kreisbogen"
(ebd.,
S.148) als Visualisierung verlangen.
Die literaturgeschichtliche Dimension des Typenkreis zeige sich
darin, dass "sich die obere Kreishälfte seit 1700 zügig (füllt),
während die personale Erzälsituation überhaupt erst später auf den
Plan tritt". (ebd.,
S.148)
Auch wenn
Bode
(2005, S.145-152) als einer der wenigen Literaturwissenschaftler
überhaupt einen ernsthaften Versuch macht, den Typenkreis zu erklären
und aufzuzeigen, wie man verwenden kann, ist er
im
schulischen Umfeld des Literaturunterrichts im Gegensatz zum
"einfachen" Erzählkreis, der nur die ▪
Konstituenten des Erzählens mit ihren Kategorieachsen umfasst aus
verschiedenen Gründen kaum rezipiert worden. Neben seiner
Unübersichtlichkeit spielt dabei wohl auch die schwierige Anwendung der
in dem Modell fixierten Elemente auf einen einzelnen Text bzw.
Textauszug die entscheidende Rolle.
Stattdessen dominiert bis heute das
▪ ältere Konzept der typischen
Erzählsituationen im ▪
Werkzeugkasten der ▪
schulischen Erzähltextanalyse
und auch eine große
Anzahl von schulischen, aber auch wissenschaftlichen Interpretationen
verweisen eben darauf.
Grob skizziert ordnet
Stanzel mit seinem Typenkreis die Idealtypen auktoriale, personale und
Ich-Erzählsituation kreisförmig an und verdeutlicht damit, dass es
fließende Übergänge zwischen ihnen gibt. Mit Hilfe des Typenkreises kann
man die Erzählsituation eines bestimmten Textes bestimmen und dabei den
jeweiligen Erzähltyp auf der Grundlage spezifischer Kriterien ermitteln.
Dies macht den Typenkreis als Visualisierungsmethode beim Vergleich von
zwei oder mehreren Texten besonders interessant. Stanzel selbst hat in
seiner Darstellung des Typenkreises eine Reihe von Romane der
Weltliteratur wie folgt eingeordnet.
Eine besondere Rolle
spielen dabei die Übergangszonen zwischen
den drei Grundsituationen, die Stanzel im Typenkreis mit den
verschiedenen Grenzen markiert. Dazu hat er in seinem komplexen Modell eine - geometrisch ausgedrückt -
Mittelsenkrechte eingefügt, die von der Kreismitte zum Kreisrand an beiden Seiten
führt. Ihre Schnittpunkte im Kreis markieren die Grenzen, die zwischen den zwei Polen einer
Kategorie liegen und damit eine Übergangszone
darstellen. Die Grenzlinien, die in Stanzels Modell nicht durchgezogen
sind, teilen jede für sich "eine Opposition dergestalt, dass jeweils
ein Merkmal (z. B. die Identität der Seinsbereiche) einer
Erzählsituation zukommt (hier: der Ich-Erzählsituation), sein Gegenteil
aber (Nicht-Identität der Seinsbereiche von Erzähler und Charakteren)
den beiden anderen." (Bode
2005, S.152)
So befindet sich z. B.
diesseits der von rechts oben nach links unten verlaufenden
Ich/Er-Grenze, die ▪
Ich-Erzählsituation und jenseits die ▪
personale und die ▪
auktoriale Erzählsituationen.
Und auch die
Opposition zwischen Erzählen und Darstellen, wie Stanzel die
verschiedenen ▪ Modi des Erzählens
bezeichnet, "stellt sich so dar, dass unterhalb der
Erzähler-Reflektor-Grenze eigentlich nicht mehr erzählt wird - das ist
das definierende Merkmal der personalen Erzählsituation mit Dominanz des
▪ Reflektor-Modus -, während oberhalb dieser Grenze ja doch ein
'aufbereitender' Erzähler (sei er auktorial oder ein Ich-Erzähler)
agiert." (Bode
2005, S.151f.)
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Während
selbst aus der Ecke der
neueren
Erzähltheorie Stanzels Erzählsituationen der "Vorzug der
Anschaulichkeit" (Martínez/Scheffel
2016, S.98) attestiert wird, "weil seine 'Erzählsituationen' drei bestimmte,
literaturgeschichtlich wichtige Merkmalsbündel prägnant zusammenfassen
und in ein überschaubares Verhältnis zueinander setzen" (Martínez/Scheffel
2016, S.98), ist sein später entwickeltes Konzept des Typenkreises mit seinen "wunderlich verflochtenen Achsen,
Grenzen, Naben, Speichen, Kardinalpunkten, Felgen und Schläuchen" (Genette
2. Aufl. 1998, S.270) auf deutliche Kritik und Ablehnung gestoßen. (vgl. dazu
u. a.
Petersen
1993, S.167-171,
Martínez/Scheffel 2016,
Bode 2005,
S.145-206) Kein Wunder, dass dieser auch im schulischen
Literaturunterricht kaum eine Rolle spielt.
Und so
bietet sich, zumindest für die ▪
schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte, an, auf das
Konzept der ▪ Erzähltextanalyse von
Jürgen H. Petersen
(geb. 1937) (1993,
72006)
zurückzugreifen. Desssen Modell weist hat trotz aller ▪
Kritik an Stanzel in seiner "Kategorientafel"
(Petersen
1993, S. 8) durchaus gewisse Ähnlichkeiten auf. Allerdings hat
Petersen die von Stanzel als geschlossene Form konzipierte
Typologie von idealen Erzählsituationen mit ihren "schillerende(n)
Begriffen", die "stets Teile der komplexen Momente poetischer Texte
abdecken" (Vogt
2014, S.85), "in Erzählform und
Erzählverhalten auseinandergenommen und dazwischen noch die Kategorien
von Standort und Perspektive als zusätzliche Kennzeichnungen" (Jahraus
2009, S.228) eingefügt. Damit hat er nicht nur Widersprüchlichkeiten
in Stanzels Konzept überwunden, sondern auch "die geschlossene Typologie
durch einen offeneren Merkmalskatalog ersetzt, der mehr (wenn auch nicht
alle) Kombinationsmöglichkeiten und damit eine feinere Klassifizierung
ermöglicht." (ebd.)