Die Bundestagswahlen sind von großer Bedeutung
Der ▪
Deutsche
Bundestag ist das Parlament der Bundesrepublik Deutschland auf
Bundesebene.
Als ▪ Verfassungsorgan
auf Bundesebene spielt er für das Funktionieren der Demokratie in
Deutschland eine herausragende Rolle. In Wahlen, insbesondere zum
Deutschen Bundestag schlägt sich der Gedanke der Volkssouveränität,
wonach alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht (vgl. ▪
Artikel
20 des ▪ Grundgesetzes ),
nieder.
Staatliche Gewalt muss sich auf Willensentscheidungen des
Staatsvolkes gründen. Diese Willensentscheidungen, die wir durch Wahlen
kundtun, legitimieren staatliche Gewalt. Anders ausgedrückt:
Wahlen rechtfertigen, dass irgendjemand oder irgendeine Institution im
Auftrag des Wahlvolkes Gesetze erlässt, politische Entscheidungen fällt
und ggf. als Regierung auch durchsetzt.
In unserer Demokratie wählt das
Wahlvolk Vertreter (Repräsentanten = Abgeordnete), die bei allen
wichtigen politischen Fragen unseres Gemeinwesen direkt mitwirken und
mitentscheiden. (repräsentative
Demokratie). Bei der Bundestagswahl, die alle vier Jahre stattfinden muss, werden die Abgeordneten des deutschen
Parlaments vom Volk gewählt.
Das Wahlrecht für die Bundestagswahl
Wie das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag geregelt ist, ist im
Grundgesetz und im »Bundeswahlgesetz
(BWahlG) festgelegt.
Das ▪ Grundgesetz
legt in ▪ Artikel 38
und ▪ Artikel 39 im
Abschnitt über den ▪
Bundestag
u. a. die demokratischen ▪ Wahlrechtsgrundsätze,
Wahlalter und Wahlperiode
fest.
▪
Wahlgrundsätze
Artikel 38 [Wahl]
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in
allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl
gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und
Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. (2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Jahr vollendet hat;
wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit
eintritt. (3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.
Artikel 39 [Wahlperiode, Zusammentritt, Einberufung]
(1) Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. Seine Wahlperiode
endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. [...]
Das Wahlrechtssystem
Das »Bundeswahlgesetz
(BWahlG) legt das Wahlrechtssystem fest, das in der
Bundesrepublik Deutschland eine Kombination zwischen
Mehrheits- und
Verhältniswahlrecht
darstellt.
Im Grundgesetz selbst ist also kein bestimmtes
Wahlrechtssystem festgelegt.
Weil es dabei Elemente der Persönlichkeitswahl
(Mehrheitswahl) und der Listenwahl (Verhältniswahl) miteinander
kombiniert, spricht man auch von einem
personalisierten
Verhältniswahlrecht.
Die Zusammensetzung des Begriffs macht die
unterschiedliche Bedeutung der beiden Teile sichtbar: Im Grunde genommen
handelt es sich um ein Verhältniswahlrecht, bei dem der prozentuale
Anteil der bei der Wahl errungenen Wählerstimmen "eigentlich" über die Anzahl der
Sitze im Parlament entscheidet, das aber zumindest zum Teil eine
Persönlichkeitswahl möglich macht.
Die Erst- und Zweitstimmen-Regelung ist allerdings nicht ohne Probleme
In der Praxis kann auch die Existenz von Erst- und Zweitstimmen nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die Wählerinnen und Wähler in Deutschland
-
primär Parteien,
allenfalls bekannte Spitzenpolitiker, aber nur selten die einzelnen
Abgeordneten wählen
-
Erst- und Zweitstimmen
vergleichsweise wenig zwischen verschiedenen Parteien "splitten"
-
die örtlichen Kandidaten
der Partei in der Regel wenig kennen
-
Wahlen meist wie eine
Volksabstimmung über bestimmte politische Fragen begreifen (sachplebiszitäres
Wahlverständnis) (vgl.
Rudzio
2011, S.105)
Überhang- und Ausgleichsmandate
Das personalisierte
Verhältniswahlrecht in Deutschland hat seit den 1990er Jahren vermehrt
zu sogenannten
▪
Überhangmandaten
geführt.
-
Überhangmandate sind Abgeordnetensitze, die eine Partei erhält, obwohl
dies ihrem proportionalen Anteil an den Zweitstimmen nicht entspricht.
-
Sie entstehen, weil eine Partei mit ihren Kandidaten in den Wahlkreisen
mehr Sitze im Parlament errungen hat (Erststimme), als ihr nach dem
prozentualen Zweitstimmenanteil zustehen.
-
Und weil gilt: Wer einen
Wahlkreis gewinnt, erhält auf jeden Fall einen Sitz im Parlament.
Bis
zur Bundestagswahl 2009 bekam eine solchermaßen erfolgreiche Partei
diese über das Zweitstimmenergebnis hinausreichenden Direktmandate
einfach dazu.
Seit der Bundestagswahl 2013 werden solche Überhangmandate
allerdings mit
▪ Ausgleichsmandaten
neutralisiert.
So erfolgt die Sitzzuteilung im
zweistufigen Verfahren
Die Sitzzuteilung im
Bundestag erfolgt dabei in einem zweistufigen Verfahren (Quelle. »Aktueller
Begriff: Das neue Wahlrecht, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen
Bundestages, verfasst v, Patrizia Robbe, Nr. 16/13 (16.Mai 2013):
"1. Stufe:
Verteilung auf die Landeslisten der Parteien - Sitzkontingente nach
Bevölkerungszahl
In einer 1. Stufe werden
für die einzelnen Bundesländer bereits vor der Wahl feste
Kontingente der insgesamt zu vergebenden Sitze bestimmt, die sich
nach dem jeweiligen Bevölkerungsanteil (ohne Ausländer) richten.
Nach der Wahl werden die Sitze auf die Landeslisten der Parteien
zunächst getrennt nach den Bundesländern gemäß dem dort jeweils
erzielten Zweitstimmenergebnis vergeben.
Wie bisher wird für
jedes Bundesland die Zahl der direkt in den Wahlkreisen gewonnenen
Sitze auf die für die Landesliste jeder Partei ermittelten Sitze
gemäß Zweitstimmenergebnis angerechnet. Hat eine Partei in einem
Bundesland mehr Sitze in den Wahlkreisen errungen als sie nach der
oben beschriebenen Sitzzuteilung auf die Landeslisten erzielt hat,
so bleiben ihr auch diese direkt errungenen Sitze wie nach dem altem
Wahlrecht erhalten (Überhangmandate).
2. Stufe:
Ausgleichsverfahren
Neu ist aber die 2. Stufe
der Sitzverteilung, bei der vor allem entstandene Überhangmandate
durch die Vergabe weiterer Mandate mit Blick auf den bundesweiten
Parteiproporz vollständig ausgeglichen werden. Es wird deshalb
zunächst die Gesamtzahl der Sitze so lange vergrößert, bis alle nach
der Berechnung der 1. Stufe ermittelten Sitze inklusive der
Überhangmandate auf Listenmandate anrechenbar sind. Das bedeutet,
dass sich der Sitzanteil jeder Partei gemäß ihrem Zweitstimmenanteil
um die Anzahl eventueller Überhangmandate erhöht. Sodann werden noch
so viele weitere Sitze vergeben, bis sich der bundesweite
Parteienproporz nach dem Zweitstimmenergebnis in der Sitzverteilung
widerspiegelt. So erlangen die Parteien durch Überhangmandate keinen
relativen Vorteil. Zuletzt werden die den einzelnen Parteien auf
Bundesebene zugewiesenen Sitze auf die Landeslisten der Parteien
nach ihrem dortigen Zweitstimmenanteil verteilt, wobei auf jede
Landesliste mindestens so viele Sitze entfallen wie die Partei im
Land Direktmandate erworben hat."
Eine weitere Aufblähung des Bundestags als Konsequenz
Dies, so befürchteten viele Fachleute, werde zu einer deutlichen Aufblähung des
Parlaments weit über die 598 Abgeordneten hinaus führen. In der Tat hat
der 2017 gewählte Bundestag 709 Mitglieder. Weil dadurch aber auch die
Arbeitsfähigkeit des Parlaments herabgesetzt wird, überlegen die Partei,
mit welchem Konsens sie zu einer Verringerung der Abgeordnetenzahl
gelangen könnten. Da dabei aber schwerwiegend Parteiinteressen eine
große Rolle spielen, so hat vor allem die CDU/CSU mit ihrer großen Zahl
errungener Direktmandate z. B. kein großes Interesse daran, dass die
Anzahl der Wahlkreise und damit die Anzahl der Direktmandate verringert
wird.
Dass die doppelte Ausgleichslösung aber auch nur zu insgesamt 630
Bundestagsmandate führen konnte, hat die »Bundestagswahl
vom September
2013 gezeigt. Bei dieser Wahl holte die CDU/CSU unter ihrer zu
dieser Zeit außerordentliche beliebten von Kanzlerin »Angela Merkel
einen kaum für möglich gehaltenen Wahlsieg in einer Höhe dass eben nur
wenige Überhangmandate entstanden und damit auch keine weiteren
Ausgleichsmandate nach sich zogen. Dass statt der Norm von 598 Mandate
am Ende doch 630 herauskamen, lag nicht damals nicht an den
Überhangmandaten, sondern an dem sogenannten
Listenüberhang.
Die doppelte Ausgleichslösung: Überhangmandate und Listenüberhang
Das neue Wahlrecht beruht nämlich auf einer "'doppelten'
Ausgleichslösung", wie Frank
Decker (2013b,
S.3) betont: "Dieses versucht nämlich nicht nur sicherzustellen, dass
sich Mandats- und Stimmenanteile der in den Bundestag einziehenden
Parteien insgesamt entsprechen, sondern möchte auch durch vorab
festgelegte Mindestsitzkontingente auch die unterschiedlichen
Wahlbeteiligungen in den einzelnen Bundesländern berücksichtigen. Auf
diese Weise soll gewährleistet werden, dass hinter jedem Mandat gleich
viele Stimmen stehen."
Ursache für die vergleichsweise hohe Anzahl von Ausgleichsmandaten bei
der Bundestagswahl 2013 ist
die Berechnung der Sitzkontingente bezogen auf die einzelnen
Länder.
Bayern hatte bei der Bundestagswahl 2013 daran den höchsten
Anteil. Denn: "Nach einem komplizierten Mechanismus werden
Sitzkontingente auf die einzelnen Länder verteilt, und zwar nach dem
Anteil der Leihstimmen. An diesem Punkt kommt die Zahl der
verlorenen Stimmen zum Tragen: Bayern hat beispielsweise durch die
Freien Wähler, die Bayernpartei und die ÖDP einen vergleichsweise
hohen Anteil an Wählerstimmen, die wegen der ▪
Fünf-Prozent-Hürde ohne Wirkung bleiben - rund 18 Prozent. Dadurch
erhöht sich das Sitzkontingent der CSU, das mit Ausgleichsmandaten
bundesweit kompensiert werden muss, weil sonst das Stimmenverhältnis
nicht mehr korrekt abgebildet wäre." (Janisch, Die Tücken des
Wahlrechts, SZ v. 24.9.2013)
So gesehen kommt zu dem System von
Überhang- und Ausgleichsmandaten mit dem Listenüberhang ein weiterer
Risikofaktor hinzu, der künftig das Parlament kräftig aufblähen kann.
Auf die Dauer kann der Aufblähung des Parlaments wohl nur durch eine
weitere Reform des Bundestagswahlrechts begegnet werden.
Lösungsansätze
gibt es nach Ansicht
Deckers (2013b, S.3) mehrere:
-
Es ließe sich die Sollgröße des Bundestags von
heute 598 auf 550 oder 500 Abgeordnete vornehmen.
-
Ferner ließe sich der
Anteil der Direktmandate weiter absenken - auf 40% oder gar ein Drittel,
so es es gar nicht mehr so leicht zu Überhangmandaten kommen kann.
- Außerdem dürften zwei andere "Fallstricke des Wahlrechts" (ebd.,
Hervorh., d. Verf.) nicht einfach außen vor bleiben, nämlich das
Zweistimmensystem und die 5%-Sperrklausel.
-
So könnte man
zum Einstimmensystem wie bei der Bundestagswahl von 1949
zurückkehren. Damals war die Wahlkreisstimme gleichzeitig
als Parteienstimme gewertet worden. Außerdem müsse
angesichts der Tatsache, dass 2013 mit einem Rekordwert von
15,7% Stimmen unter den Tisch gefallen sind, die für
Parteien abgegeben wurden, die an der ▪
5%-Hürde gescheitert seien, die
Verhältnismäßigkeit dieser Sperrklausel in Frage gestellt werden, zumal
sie bei Kommunalwahlen und Europawahlen ohnehin schon von den
Verfassungsrichtern gekippt worden sei.
-
Zudem könne
man ja auch, wenn eine Abschaffung und Absenkung der
Sperrklausel im Bundestagswahlrecht keine Mehrheit finde,
sogar eine "▪
Ersatzstimme
anbieten, die zum Zuge kommt, wenn die Partei, für die man mit der
Hauptstimme votiert, unter der Fünf-Prozent-Hürde bleibt." (ebd.,
Hervorh. d. Verf.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.01.2020
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