Die
Rezension
(lateinisch: recensere = sorgfältig prüfen, mitunter auch: Buchbesprechung, Theaterbesprechung etc.) stellt eine
Textsorte dar, die als
Mischform sowohl informativen, als auch
appellativen Charakter
haben kann. Unter
textlinguistischem Aspekt
wird sie, wenn man einem alltagssprachlichen Konzept zur
Textsortenklassifikation
folgt, zur
Textklasse der
Informationstexte gezählt, weil ihre informative Funktion als ihre im Allgemeinen maßgebliche
Textfunktion betrachtet
wird. (vgl.
Brinker 1985/1997, S. 136). Aus diesem Grund wird sie hier
im Kontext der
schulischen
Schreibformen auch den
Formen der
Textwiedergabe zugeordnet. Die Rezension soll ihren
Adressaten zunächst einmal über ein bestimmtes Werk informieren. Zugleich
will sie aber auch zu seiner Meinungsbildung beitragen, indem sie dieses
Werk subjektiv beurteilt und kommentiert. Darüber hinaus kann eine Rezension
natürlich auch appellative Züge haben, indem sie explizit oder implizit z.
B. eine (Kauf- oder bloß Lese-)Empfehlung an ihren Adressaten richtet.
Bei den
journalistischen Darstellungsformen
wird sie wohl ähnlich wie die
Reportage als Mischform den
eher
tatsachenbetonten Formen
zuzuordnen sein. Gewöhnlich findet man die Rezension in Tageszeitungen,
dort vor allem im Feuilleton, oder in wissenschaftlichen
Fachzeitschriften. Darin thematisiert sie in kritisch-wertender Weise
Theater-, Film- oder Fernsehaufführungen und Konzerte. Weitere Gegenstände
einer Rezension können heutzutage natürlich auch elektronische Medien
sein, insbesondere Computerspiele jeder Art. Während die Rezension in
diesem Bereich früher oft eine "elitäre Spielwiese" für Journalisten
war, die ein nicht weniger elitär denkendes Publikum bedienten, ist die
Rezension mittlerweile mehr am Kulturgeschmack eines "Massenpublikums"
orientiert. Auch in seriösen Tageszeitungen wird der Kulturteil
mittlerweile schon vom Layout her gesehen lockerer aufgemacht und bei der
Auswahl der Rezensionsgegenstände geht man inzwischen von einem
erweiterten Kulturbegriff aus, der heute die Oper ebenso wie ein
Rockkonzert "rezensierbar" macht. (vgl.
Mast 1994 , S.199)
Merkmale
-
Über einen Text (aber auch: Film, Theaterstück, Konzert,
Computerspiel etc. ) wird
informiert.
-
Dabei wird der Text auch kritisch betrachtet und subjektiv beurteilt.
-
Subjektive Meinung und (objektive) Information werden im
Allgemeinen nicht voneinander getrennt.
|
Überwiegend
sachlich-informativer Stil, aber auch: kommentierend mit subjektiver
Wertung
Tempus bei Textrezension Präsens |
In seiner Rezension zu dem Roman »Arnes
Nachlaß« (1999) von
Siegfried Lenz geht
Till Weingärtner (lettern.de)
auf die folgenden Aspekte ein. Er ordnet mit sehr knappen Worten das neue
Werk des Schriftstellers in dessen Gesamtwerk ein (1. Absatz) und stellt
die thematischen Bezüge heraus, die das neue Werk mit den verangegangenen
Werken verbindet (2. Absatz), wobei dabei vor allem der Raum, in dem der
Roman spielt, als thematische Klammer erwähnt wird ("wieder
einmal spielt es am Meer"). Im Anschluss daran informiert der
Autor kurz und bündig über den Inhalt der Geschichte (3.
Absatz), ehe er sich über die rein inhaltliche Wiedergabe
hinausgehend mit der Beschreibung von Erzählstrukturen beschäftigt ("Erzählt
wird die Geschichte aus Hans' Sicht ..."). Im nächsten
Abschnitt wendet Weingärtner sich den Themen zu, die seiner Ansicht nach
im Vordergrund des Romans stehen, wobei die dargestellte Jugendproblematik
unter dem Blickwinkel ihrer zeitgemäßen Darstellung durchaus auch mit
kritischen Tönen bewertet wird ("Siegfried
Lenz liefert uns sicher kein genaues Bild der Jugendlichen von heute.")
Dennoch würdigt der Rezensent auch die besondere erzählerische und
sprachliche Umsetzung eines in seinen Augen zeitlosen Themas durch den
Autor (vorletzter
Abschnitt). Den Abschluss seiner Rezension bildet eine
Gesamtwürdigung der besonders gelungenen Art der erzählerischen
Bewältigung der Geschichte um Arne, die melancholisch, aber "ohne
übertriebene Dramatik und interessanterweise ohne die Spur von Weltschmerz
oder Pessimismus daherkommt". (»
Aus Rezensionen (Auszüge)
zu "Arnes Nachlaß")
Der
letzte Roman Siegfried Lenz', unbestritten einer der größten lebenden
deutschen Romanciers, liegt bereits fünf Jahre zurück, nun erschien
Arnes Nachlaß, weit weniger umfangreich als manch gewichtiger Vorgänger.
Wieder einmal spielt es am
Meer, im Umkreis der Seefahrer und Sehnsüchte, interessanterweise
diesmal an einem Ort zum Abwracken alter, ausgedienter Schiffe. Die
Betreiberfamilie bekommt unverhofft ein neues Familienmitglied.
Arne ist der Sohn eines
Kapitäns, der aus Kummer über die wachsenden Schulden mit seiner
ganzen Familie in den Tod zu gehen beschloss. Arne überlebt nur durch
einen Zufall und steht nun ganz alleine da. Allein Hans, der älteste
Sohn seiner neuen Familie, nimmt sich ihm brüderlich an, und es
entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden
Jugendlichen. Dass Arnes Schicksal keinen guten Ausgang nimmt, weiß der
Leser von Anfang an.
Erzählt wird die
Geschichte aus Hans' Sicht, der, nachdem Arne aus seinem Leben
verschwunden ist, dessen Besitztümer verpackt und sich an die gemeinsame
Zeit mit Arne erinnert und dabei oft eine Art Gespräch mit ihm führt.
Nur gelegentlich wird er bei seiner Arbeit und seinem Sinnieren von
seinen Verwandten unterbrochen, die mit ihren Worten einen weiteren
Beitrag leisten, dass sich ein Leser sein eigenes Bild von Arne machen
kann. Arne war mit besonderen Eigenschaften und Eigenarten bedacht, die
es ihm schwer machten, Anschluss in der Gruppe zu finden. Außer bei Hans
stößt er bei allen anderen Jugendlichen nur auf Ablehnung, oft sogar auf
Hass.
Siegfried Lenz liefert uns sicher kein genaues Bild der Jugendlichen von
heute. Man mag zum Beispiel einwerfen, dass sich männliche
Jugendliche in der Öffentlichkeit (und schon gar nicht vor denen, von
denen man gehänselt wird) niemals aneinander schmiegen würden, was Hans
und Arne oft tun. Auch die von Siegfried Lenz geschilderten Turnstunden
gehören, zum Glück, in dieser Form der Vergangenheit an. Doch das sind
Äußerlichkeiten, man kann Lenz nicht vorwerfen, dass er nicht der
Techno-Generation angehört.
Was Lenz auch in diesem Buch zeigt ist, dass er meisterlich
die Höhen und Tiefen der Verfassung der menschlichen Seele, die sich
schließlich unabhängig von Moden der Zeit entwickelt, aufzeigt, was
ihm immer eindrucksvoll in knappen Worten gelingt.
Siegfried Lenz schreibt über die Trauer, aber er vollführt dazu keine
melodramatischen Eskapaden. Er ist der perfekte Beherrscher der
Melancholie, die bei ihm
ohne übertriebene Dramatik und interessanterweise ohne die Spur von
Weltschmerz oder Pessimismus daherkommt. Das ist Siegfried Lenz'
große Stärke, die er uns auch mit Arnes Nachlaß spüren lässt.
Andrea Schneider liefert mit ihrer Rezension der Aufführung von
Gotthold Ephraim Lessings
Drama "Nathan
der Weise" am Westfälischen Landestheater im Jahr 2004 ein
typisches Beispiel für die Rezension einer Theateraufführung. In
der Westfälischen Rundschau vom 11. 10. 2004 geht sie unter der paradox
wirkenden Überschrift mit ihrer
parataktisch knappen
Einleitung in medias res: Sie führt mitten hinein in ein Szenenbild der
Aufführung. ("Bomben
detonieren....
Ein älterer im Business-Outfit zieht
eine junge Frau behütend in den Arm.) Ihre
rhetorischen Fragen drücken
aus, was den Leser/Zuschauer bei der Deutung der Szene umtreibt. Erst im
Anschluss daran erwähnt sie die Inszenierung und deren
Regisseur, Peter Lüder. Doch dem Leser der Rezension geht es
wie wohl dem Zuschauer der Aufführung: Seine "einfachen"
Deutungshypothesen von Welt ("Achse
des Bösen" oder "internationaler Terror") erhalten
mit den Protagonisten der Aufführung Gestalt und damit auch Gesicht. Im
Anschluss daran wendet sich die Rezensentin dem Bühnenbild zu, die in
ihren Augen das Geschehen an jeden beliebigen Ort der Welt situiert ("Irgendwo"),
wobei die materiellen Objekte des Raumes auf die Gegenwart verweisen. Im
letzten Abschnitt beurteilt Andrea Schneider die Umsetzung des
Inzenierungskonzeptes in die schauspielerische Gestaltung. Die Rezension
endet pointiert mit einer Frage, die über das Stück und die Aufführung
hinausweist. (»
Aus Rezensionen (Auszüge)
zu "Nathan der Weise")
Straßenkampf mit Unterhaltungswert Peter Lüders beziehungsreiche Inszenierung
Bomben detonieren. Panzerfäuste und
Gewehre werden abgeschossen. Die Einschläge rücken näher. Aus dem
Schnürboden rieseln Sand und Kalk. Ein junger Mann im Kampfanzug wirft
sich Schutz suchend auf einen Haufen Sandsäcke.
Ein älterer im Business-Outfit
zieht eine junge Frau behütend in den Arm. Eine Szene aus dem Nahen Osten, könnte man vermuten. Vielleicht aber
auch aus Bagdad, aus Kabul oder doch aus dem mittelalterlichen
Jerusalem? "Nathan der Weise" kommt in der neuen Inszenierung des
Westfälischen Landestheaters Castrop-Rauxel ohne zeitliche Vorgaben
daher und gewinnt gerade daraus seine aktuelle Kraft. Denn unter der
Regie von Peter Lüder verlieren
populäre Wortkonstrukte wie
"Achse des Bösen"
oder "internationaler Terror" ihre Masken. Die fanatischen
Kontrahenten von einst und jetzt bekommen Gesichter, zeigen sich als
Geschäftsmann (Nathan), als Warlord im Nadelstreifenanzug (Sultan) oder
sehnender Teenager (Recha). Eben als Menschen, die - jeder für sich -
auf der Suche nach persönlichem Glück und individueller Wahrheit sind.
Das Bühnenbild: Angedeutete Säulen, kahle
Wände, eine Schwingtür, weinrote Sessel. Ein bisschen Antike, ein
bisschen Gegenwart. Die Geschichte um den Juden Nathan, den Moslem
Saladin und den christlichen Tempelherrn ist im Irgendwo angesiedelt. Gestern? Heute? Einerlei. Nur die von
Monitoren flimmernden Bilder von Terroranschlägen und ausgebombten
Straßenzügen erzählen, dass uns der Konflikt von einst auch heute noch
etwas angeht. Lüder setzt auf Leichtigkeit, ohne läppisch zu wirken. Seine
Kontrahenten dürfen in Glücksmomenten swingen. Der Derwisch trägt zu
Riemchensandalen feinen Zwirn und dunkle Sonnenbrille, weil er sich in
seiner neuen Rolle als Finanzverwalter des Sultans besonders cool
vorkommen darf. Der Tempelherr in kriegerischer Montur pflegt seine
Wunden. "Nathan der Weise" kommt gleichsam frisch und fröhlich,
anrührend und traurig daher. Die Konflikte um Geld, Liebe und Religionen
geraten zur zauberhaften Bühnenunterhaltung. Doch die Leichtigkeit
hinterlässt Spuren.
"Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten", formuliert der
Tempelherr. Was will man dem noch hinzufügen?
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.12.2023
|