Der Beginn der
Novelle "»Michael Kohlhaas" von
»Heinrich von
Kleist (1777-1811) weist typische Merkmale der
▪
auktorialen Erzählsituation
auf.
In äußerst knapper Form stellt der Erzähler dabei
zu Beginn in einer Art Einführung die Titelfigur vor, deren Name, Beruf
und Herkunft im ersten Satz mitgeteilt wird.
Danach wird der Handlungsort
beschrieben und dann kommen die wirtschaftliche Lage und familiären
Verhältnisse von Michael Kohlhaas zur Sprache.
Anschließend wird die Handlung räumlich
und zeitlich situiert.
Schließlich kommen bestimmte Charaktereigenschaften
von Kohlhaas zur Sprache, die mit seinem Erziehungshandeln gegenüber
seinen Kindern "in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue"
weitgehend nüchtern, sachlich und ohne jede Kommentierung vom Erzähler
vorgetragen werden.
Man gewinnt als Leser, auch als Ergebnis der
sprachlichen Gestaltung, den Eindruck, als habe sich der Erzähler hinter
die Ereignisse, das Faktische, zurückgezogen.
Doch schon am Ende des ersten Satzes
verlässt der Erzähler seinen sachlich-nüchternen Stil und nimmt mit einer
Apposition ("einer der rechtschaffensten zugleich und
entsetzlichsten Menschen seiner Zeit") eine eindeutige Wertung vor,
welche die Titelfigur abwertet.
Diese eher "en passant" (so
ganz nebenbei) gemachte Bemerkung, entfaltet freilich eine besondere
Wirkung, denn diese fast "unmotivierte Charakterisierung des Mannes" lässt
besonders dadurch aufhorchen, weil sie "in ein Paradox gehüllt ist. " (Holz
1963, S.117ff.)
"An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts, ein Rosshändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines
Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten
Menschen seiner Zeit. - Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein
dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten
können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen
Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die
Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur
Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich
nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte;
kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer
Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtsgefühl aber machte ihn zum
Räuber und Mörder.
Er ritt einst, mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenährt alle und
glänzend, ins Ausland, und überschlug eben, wie er den Gewinst, den er
auf den Märkten damit zu machen hoffte, anlegen wolle: teils, nach Art
guter Wirte, auf neuen Gewinst, teils aber auch auf den Genuss der
Gegenwart: als er an die Elbe kam, und bei einer stattlichen Ritterburg,
auf sächsischem Gebiete, einen Schlagbaum traf, den er sonst auf diesem
Wege nicht gefunden hatte. Er hielt, in einem Augenblick, da eben der
Regen heftig stürmte, mit den Pferden still, und rief den Schlagwärter,
der auch bald darauf, mit einem grämlichen Gesicht, aus dem Fenster sah.
Der Rosshändler sagte, dass er ihm öffnen solle. Was gibt's hier Neues?
fragte er, da der Zöllner, nach einer geraumen Zeit, aus dem Hause trat.
Landesherrliches Privilegium, antwortete dieser, indem er aufschloss:
dem Junker Wenzel von Tronka verliehen. - [...]"