Herkömmliche Berichtigungen sind umstritten
Ob so genannte veranlasste Berichtigungen in Form von
Verbesserungen einmal geschriebener und benoteter Klassenarbeiten oder
Klausuren eine gute oder schlechte Idee sind, ist eine schon seit langem
umstrittene Frage.
Die Antwort darauf, hängt natürlich vom Maßstab ab,
den man an solche zunächst einmal extrinsisch motivierten, aus der ▪
sozialen
Abhängigkeit von der Lehrperson mehr oder weniger erzwungenen
Revisionshandlungen anlegt.
Sollen Berichtigungen also die
individuelle ▪ Schreibkompetenz als Ganzes oder nur bestimmte Teilkompetenzen
wie
▪ Formulierungskompetenz,
▪ Zielsetzungskompetenz,
▪ inhaltliche Kompetenz und/oder
▪ Strukturierungskompetenz fördern,
und, wenn ja, können Berichtigungen dies überhaupt leisten oder
inwieweit?
Unter dem Blickwinkel einer prozessorientierten Schreibdidaktik
sind da
natürlich erhebliche Zweifel anzumelden, zumal sie den "Schreibprozess
gleichwertig neben das Schreibprodukt gestellt" (Wildemann
2007, S.50) sehen will.
Berichtigungen, die also im Nachhinein und
unter solchen Bedingungen durchgeführt werden (müssen), haben im Rahmen einer
fördernden Beurteilung des Schreibens wenig verloren.
Die
produktorientierte Schreibdidaktik tut sich damit naturgemäß nicht
schwer, zumal sie sich mit dem Modus der
bewertend-prüfenden Beurteilung
und Leistungsmessung gut verträgt.
Die "Generalverbesserung" als Strafmaßnahme ist passé
Die "Generalverbesserung" alten Zuschnitts, bei denen wie bei
einer
Strafmaßnahme alle Fehler eines Aufsatzes verbessert werden mussten,
gehört, zumindest in den höheren Klassen, schon lange der Vergangenheit
an und in der Sekundarstufe II sind Berichtigungen wohl sang- und
klanglos verschwunden oder fristen bestenfalls noch ein Schattendasein.
Das Für und Wider der klassischen "Verbesserung" von korrigierten und
benoteten Klassenarbeiten oder Klausuren ist dazu schon oft erörtert
worden (vgl. Fritzsche (1994,
S.200f.)
Die wesentlichen Pro- und Contra-Argumente zeigen dabei natürlich auch,
dass sie nicht für jeden Schüler gleichermaßen zutreffen und das Urteil,
darüber, ob Berichtigungen wirklich etwas verbessern oder eher
"verschlimmbessern" auch ganz entschieden davon abhängt, wie sie im
einzelnen gestaltet sind.
Ob sie Lerneffekte haben und, wenn ja, in
welchen Bereichen, oder nur im Anschluss an einen abgeschlossenen
Schreibprozess eine Art pseudokognitives Lernen (vgl.
Haueis 1983)
befördern, von dem kaum Lerneffekte zu erwarten sind (vgl.
Baurmann
2002/2008, S.31), kann hier nicht abschließend beantwortet werden.
Es spricht einiges gegen die herkömmliche Berichtigung
Eine sinnvolle Methode, Texte zu überarbeiten, ist die
Berichtigung in der Regel nicht und soll es auch gar nicht
sein.
Dafür gibt es eine Reihe guter Gründe.
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Bei den Berichtungen werden meisten nur
sequenzielle
Revisionen vorgenommen,
die an der
Textoberfläche
liegen.
So werden meistens nur Mängel "verbessert", die mit
bestimmten Korrekturzeichen verbunden sind. Sie signalisieren Mängel bei der
Textkohäsion, z. B. Rechtschreibung (R), Zeichensetzung (Z),
Wortwahl (Spr/Gr),
Satzbau (Spr/Gr/Sb), Ausdruck (A) und Stil (St).
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Die Inhalts- und Strukturebene (Texttiefenstruktur)
des Textprodukts (Kohärenz)
bleibt hingegen weitgehend unberücksichtigt.
Konzeptionelle Revisionen, die umfangreichere
Revisionshandlungen
in unterschiedlichen
Revisionsklassen
erforderlich machen, finden kaum statt.
So bleibt die
konzeptuelle Ebene meistens außen vor: Themabezug der Ausführungen (Th)
inhaltliche Auffälligkeiten (I/Ihn), Probleme bei der
thematischen Entfaltung, logische Probleme (Log),
fehlende oder unzureichende Begründungen (Bgr),
unzulässige Verallgemeinerungen (uV), Mängel beim
Textbezug (Bez) oder Schwächen im Aufbau (Afb)
werden meistens bei der Berichtung nicht berücksichtigt.
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Die Motivation der Schülerinnen und Schüler, einen schon
benoteten Text ohne Aussicht darauf, die erteilte Zensur durch Berichtigungshandlungen noch verbessern zu können, ist sehr gering
und die Wirkung solcher erzwungener Schreibhandlungen für die
allgemeine Schreibmotivation eher negativ.
Ein mehrstufiges Verfahren könnte helfen
Hier könnte ein mehrstufiges Verfahren, das auch die Überarbeitung des
Textes nach erfolgter Schreibberatung durch die Lehrperson in die
Gesamtnote einfließen lässt, wohl am ehesten Abhilfe leisten.
Ein
solches Zweiphasenmodell könnte "die in den Lehrplänen fixierte
herkömmliche Einphasenklausur, die das Spontanschreiben in einem Zug
ohne Berücksichtigung des Schreibprozesses geradezu herausfordert",
ablösen. (Dahmen 2010,
S.34)
Ob
allerdings Klassenarbeiten und Klausuren, die ja "vor allem der Lern-
und Leistungskontrolle (...) am Ende einer Unterrichtseinheit" (Fritzsche (1994,
S.202) dienen, die geeigneten Textprodukte sind, um die individuelle
Schreibentwicklung und Schreibkompetenz zu fördern, muss ernsthaft
bezweifelt werden.
Wenn aber schon, vor allem im Bereich der Rechtschreibung und Grammatik,
nicht auf die Berichtigung verzichtet werden soll, wofür ebenso manches
spricht, dann sollten Korrekturzeichen mehr als nur ein
"Versagensnachweis" (
Fix 2006/2008,
S.173) bei einem Rechtschreib- oder Grammatikproblem sein.
Insbesondere
schwächere Schüler benötigen Hilfe dabei, wie sie künftig derartige
Fehler vermeiden können. Hier können die Randzeichen auch mit Hinweisen
auf Übungen auf Arbeitsblättern oder auf Online-Plattformen versehen
werden, die ein Schüler machen sollte, wenn er die bezeichneten Fehler
künftig abstellen möchte. (vgl.
Fix 2006/2008,
S.173)
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So könnte z. B. zu dem Korrekturzeichen "Gr" ein Hinweis in
Klammer gesetzt werden, der auf eine bestimmte Übung verweist (Gr
(2-12)).
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Noch besser wäre es indessen, wenn der Fehler schon genauer
bezeichnet und mit einer bestimmten Übung verknüpft werden könnte. Dies
könnte dann z. B. folgendermaßen aussehen:
Gr-22 (2-12).
Natürlich muss auch nicht jeder Fehler, der Aufwand bei
der Korrektur wäre gewiss zu hoch, so genau schon vom Lehrer
identifiziert und diagnostiziert werden. Hier kommt es sicherlich auf
Schwerpunktsetzungen an, die mit der Einschätzung des Lernvermögens und
der Lernmotivation des betreffenden Schülers zusammenhängen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
04.03.2023
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