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Die menschlichen Figuren in Franz Kafkas
Parabeln sind keine modernen Paradiesvögel
Die menschlichen Figuren - wir nehmen seine "Tiere" mit ihrer
Sonderrolle zunächst einmal aus -, die in den Werken ▪
Franz Kafkas, hier vor allem in seinen ▪
Parabeln auftauchen, haben Interpreten
schon immer in besonderer Weise beschäftigt.
Sie sind als
individuelle Personen nicht greifbar, handeln meistens zumindest
merkwürdig und lassen offen, was die Antriebe ihres Handelns sind
und wohin sie dieses führt oder führen könnte.
Keine guten
Aussichten also für einen Leser oder eine Leserin, sich den Sinn
dieser Geschichten zusammenzubasteln und dabei kaum Angebote im Text
findet, den Sinn des Denkens, Fühlens und Handelns der Figuren mit
den gewohnten Schemata zu verstehen.
Kafkas Figuren wirken, psychologisch
ausgedrückt, auf uns weder echt, noch stimmig und ihr Sein und
Handeln oft nicht kongruent. Die Figuren Franz Kafkas irritieren und
verstören. Sie haben Störpotential und legen sich unserer gewohnten
Sicht auf die Welt und die Menschen quer, wirken, um es ganz salopp
zu sagen, einfach "schräg".
Dabei sind sie keine "Paradiesvögel",
sind eher grau als bunt in der äußeren Erscheinung und ihrem Habitus
eher angepasst als unangepasst, eben gar nicht so, wie uns
Paradiesvögel allenthalben in einer multikulturellen Gesellschaft
mit ihren unterschiedlichsten Lebensformen und Lebensentwürfen
begegnen oder medial zur Anschauung gebracht werden. Sie sind aber
anders und uns oft von Grund auf fremd, eigentlich weit mehr als nur
"schräg". Was tun?
- Keine schlechte Idee, wenn man sich einfach fragt, warum die
Figuren einen irritieren, was sie also in einem ansprechen, dass
man eine ihnen gegenüber eine abweisende und abwehrende Haltung
einnimmt, wenn man zunächst mit ihnen einfach nicht
zurechtkommen will. Irgendwoher muss es schließlich kommen, wenn
man die Figuren einfach nicht so zu fassen bekommt, wie man das
gewohnt ist.
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Aber
natürlich hilft es auch, wenn man mit geeignetem Vorwissen über
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Merkmale,
▪
Themen,
▪
Kennzeichen der Erzähler-Leser-Kommunikation und anderen
Besonderheiten und Strukturen ▪
moderner Parabeln
darangehen kann, die Figuren zu verstehen. Trotzdem kann es auch
dann noch sein, dass einem dies oft nicht vollständig gelingt,
weil manches, was die Figuren tun oder erleben einfach trotzdem
unverständlich bleibt. Aber vielleicht gelingt es einem damit
auch, auf der Textebene so genannte ▪
implizite Transfersignale
zu identifizieren, die einen auffordern, den Text in eine andere
Richtung zu lesen und der eigenen Sinnzuschreibung eine andere
Bedeutungsrichtung zu geben, die sich von der ersten Sinngebung
dem Wortsinn nach unterscheidet.
Unterschiedliche
Zugänge zu Kafkas Parabeln zu erproben und im Austausch mit anderen
zu thematisieren, das Unsagbare also
zur Sprache zu bringen, kann dabei sehr spannend sein. Dazu ist es
auch legitim, auf fachwissenschaftliche Ansätze zur Interpretation
der Figuren zurückzugreifen, um die Figuren in einer bestimmten
Parabel besser verstehen zu können.
Die werkimmanente Sicht: Figuren, die heimat- und orientierungslos
unterwegs sind
Im Hinblick auf die Figuren in Kafkas Parabeln ist die These von
der "kosmologische(n) Obdachlosigkeit" (Yun
Mi Kim 2012, S.22), der menschlichen Figuren in
modernen
Parabeln, "die sich auf dem Weg zu dem nicht vorhandenen bzw. nicht
erreichbaren Absoluten verirren" (ebd.,
S.20) in der Literaturwissenschaft immer wieder formuliert
und belegt worden. Auf der Textebene von Kafkas Parabeln zeigt
sich dies auch bei einer
werkimmanenten Betrachtung der Figuren auf unterschiedliche Art
und Weise, wie Thomas Söder (2008,
S.228) analysiert und zusammengefasst hat.
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Alle Figuren, so sagt er, seien
"heimatlos", "vertrieben" und "isoliert".
Dabei sei diese Isolation zweifach: eine Isolation von der
Gesellschaft und als Isolation von sich selbst. Beides können
sie nicht überwinden.
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Ihre
immerwährenden Versuche, Bindung an die Gesellschaft zu
bekommen, misslingen und die Art und Weise, wie sie versuchen,
"innerhalb der Gesellschaft Einlass zu finden", entfremde sie
dieser und sich selbst immer mehr. Indem sie sich immer weiter
von ihren eigentlichen Zielen und Wünschen entfernten, agierten
sie auch zusehends in Abhängigkeit von Umständen, die sie gar
nicht verstünden.
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Seine
Figuren, so betont Söder weiter, können nichts in einem ausgewogenen
Gleichgewicht sehen. Sie seien ständig unterwegs, kämen niemals an
und würden fortwährend gestört. So könne es passieren, dass einem
die Figuren Kafkas "wie Puppen aus einem Wachsfigurenkabinett"
vorkommen könnten: "Wirklichkeitsgetreu nachgebildet, bis ins letzte
Detail genau modelliert, aber ohne Leben. Abgezogen und weltfremd
ähneln sie Personen, die nur entworfen sind, ohne irgendeine
Entscheidung zur Tat."
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Allen Figuren sei gemeinsam, dass sie
sich nicht zum Handeln, zu einer Tat, durchringen könnten. Wenn sie
dennoch eine "scheinbare Tat" zustande bringen, dann treibe
sie "ihre
Einsicht, dass sie nichts in der Wirklichkeit ausrichten können,
(...)
wieder zurück in ein tatenloses Leben. [...] Sie kommen nie zu sich
selber, da sie nur mit sich selber beschäftigt sind."
Kafkas Figuren in einer Traumwelt und als psychische
Instanzen
Neben der Auffassung, dass Kafkas Werk insgesamt als
"Darstellung seines 'traumhaften inneren Lebens' (Kafka
1951, 420)" anzusehen ist, das Dinge zum Ausdruck bringt,
die rational (noch) nicht greifbar und auch (noch) nicht
verbal artikulierbar sind, hat sich in der modernen
Kafka-Forschung die Auffassung verbreitet, in den Figuren
und Gegenständen seiner literarischen Texte innerpsychische Instanzen
am Werke zu sehen, die "nicht
mehr stellvertretend für soziale Gruppen oder Phänomene" seien.
Dementsprechend seien auch die dargestellten "Ereignisse und Handlungsabfolgen"
als "innere Konflikte" der Figur(en) zu verstehen. (Nickel-Bacon
2014.,
S.94f.)
Die daraus erwachsende Eigendynamik prägt damit auch Kafkas
Figuren, die auf eine verstörend undurchschaubare, sich oft
als " entmutigend bis indifferent, häufig auch strafend"
erweisende Umwelt träfen.
Diese Sichtweise verändert auch den Blick auf bestimmte
▪
erzähltechnische Mittel, die in Kafkas Parabeln verwendet
werden. Das geht soweit, dass man die These aufgestellt hat, Kafka
lasse seinen Erzähler völlig "unabhängig von der gewählten
grammatischen Form" das Geschehen nicht in
Außensicht darbieten, sondern
"konsequent aus dem Blickwinkel der erlebenden Figur" (ebd.,
S.95) in personaler Innensicht. Wenn man so will, handelt es
sich, wenn grammatisch Außensicht gestaltet ist, nur um eine Art fingierte
Außensicht oder strukturbedingte Innensicht.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
21.03.2024
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