Nachhaltig leben, aber
möglichst einfach
Gert Egle (2023)
So gut wie jeder weiß
es: Jeden Tag treffen wir Entscheidungen darüber, die Auswirkungen auf
das Klima, die Umwelt und die Natur haben. Fahre ich mit dem Rad, nehme
ich den Bus oder steige ich in mein Auto, um von A nach B zu kommen?
Kaufe und esse ich so gut wie jeden Tag Fleisch? Fliege ich
im nächsten Urlaub nach Thailand oder bleibe ich im Land? Kaufe ich
T-Shirts, die eine Reise um die halbe Welt hinter sich haben? Versuche
ich. das defekte Ding reparieren zu lassen, oder wandert es gleich auf den
Müll? Die Liste solcher Fragen lässt sich nahezu beliebig fortsetzen.
Die
einen kümmern solche Fragen wenig, andere nehmen sich vor, ihre
tagtäglichen Konsumentscheidungen und Verhaltensweisen bewusst zu treffen
und mit ihrem Lebensstil darauf zu achten, dass die natürlichen
Ressourcen so gut wie möglich geschont werden. Sie wollen sich nicht
mitschuldig daran machen, dass die Lebensgrundlagen der Menschheit und
aller anderen Lebewesen und Pflanzen weiter rücksichtslos oder mit immer
neuen Ausflüchten ruiniert werden und die Zukunft der nachfolgenden
Generationen verspielt wird.
Zugegeben, die
Aussichten dafür, dass dem wirklich Einhalt geboten werden kann, stehen
nicht gerade gut. Die Entwicklung des Erüberlastungstages (s. Abb.), des Tages, an
dem die Menschheit ihr Budget an natürlichen Ressourcen für das Jahr
aufgebraucht hat, ist dafür nur ein einziger Indikator für die
dramatische Schieflage, in den die Menschen weltweit ihren eigenen
Zukunftshorizont gebracht haben. Würden dazu noch alle Menschen
weltweit leben, wie wir dies in den Industriestaaten tun, wäre die
Zukunft noch düsterer. So jedenfalls, wie die Menschen 2022 in den USA
lebten, bräuchten wir fünf Erden, für den deutschen Lebensstil
hochgerechnet drei Erden.
Meist fehlt es am
politischen Willen, aber auch die Menschen selbst sind nicht immer
bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, einem nachhaltigen Lebensstil zu
folgen. Und wenn sie dies versuchen, verstricken sie sich in
vielfältige Widersprüche, die es auch dann auszuhalten gilt, wenn man
eigentlich etwas ganz anderes will.
Es ist indessen höchste
Zeit, auch die eigenen Anteile an den Problemen zu sehen und: danach zu
handeln. Es gibt die Menschen, die angesichts der Lage umdenken und
bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Und: Es werden immer mehr, die
ihren eigenen Lebensstil ändern wollen, um möglichst die Ressourcen
schonen und damit nachhaltig zu leben.
Oft ist es aber bei
genauerem Hinsehen auch ein Lippenbekenntnis, dem wenig Taten folgen,
die das eigene Verhalten in Frage stellen. Der Gedanke, den eigenen
Lebensstil zu ändern und auf Waren und Dienstleistungen zu verzichten,
ist natürlich keine Angelegenheit, die sich auf allen seinen Feldern so
einfach die eigene Praxis umsetzen lässt. Oft ist es schlicht auch eine
Frage des Geldbeutels. Wie so oft zahlen die Ärmsten die Zeche. selbst
wenn auch sie in manchem ihr Verhalten ändern könnten. Viele sehen
allerdings in einem nachhaltigen Lebensstil nur Rückschritt und
Verzicht, zumindest in den Bereichen, in denen ihnen Änderungen
besonders schwerfallen. Warum sollte man auf den eigenen SUV
verzichten, wenn der Hund des Nachbarn, wie man mal jemand errechnet hat,
zumindest einen gleich großen ökologischen Fußabdruck hinterlässt wie
die der eigene Oberklasse-SUV mit 300 PS?
Häufig hängt es aber
auch einfach vom Aufwand ab, den ein nachhaltiger Lebensstil hat. Das
gilt auch für die Menschen, die eigentlich suffizient leben wollen. Mit
dem Begriff Suffizienz bezeichnen Fachleute die Einstellung, einen
ressourcenschonenden Lebensstil ohne Einbußen an Lebensqualität zu
pflegen. Wer suffizient lebt, nimmt sich vor, "das eigene Handeln
bewusst danach auszurichten, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen als
unbedingt nötig – ohne dabei an Lebensqualität einzubüßen", erklärt
Laura Henn, die an der Universität Hohenheim Nachhaltiges Handeln und
Wirtschaften lehrt. "Oder vereinfacht ausgedrückt: Suffizient leben
bedeutet eigentlich gut leben – gut für einen selbst und gut für die
Umwelt."
Suffizient lebende Menschen kaufen bewusster, teilen, tauschen oder
lassen Defektes reparieren, um ihre Bedürfnisse mit weniger Ressourcenverbrauch genauso
gut zu befriedigen. Im täglichen Leben kann dies heißen, dass sie weniger
Flugreisen unternehmen, weniger Energie verbrauchen oder weniger Fleisch
essen, aber auch, dass diese Menschen auf den Besitz von Gegenständen
verzichten oder zumindest möglichst langlebige Produkte kaufen. So
sparen sie Ressourcen und halten ihren eigenen ökologischen Fußabdruck
möglichst klein. So jedenfalls die Theorie.
In der Alltagspraxis ist
dies aber von zwei Faktoren abhängig, weiß die Hohenheimer
Wissenschaftlerin. Die Wahrscheinlichkeit, "dass eine Person einen
stärker suffizienzorientierten Lebensstil führt, (wird) vor allem durch
zwei Faktoren bestimmt: Einerseits dadurch, wie stark sie einen solchen
Lebensstil befürwortet, und andererseits durch die Frage, welche
Hindernisse sie hat, das entsprechende Verhalten auch umzusetzen.“
Oft stehen der
Umsetzung auch Zielkonflikte zwischen konkurrierenden Werten, Wünschen
und sozialen Praktiken entgegen, von deren auch suffizienzorientierte
Menschen nicht gefeit sind.
So ist z.B. der
Verzicht auf Flugreisen eines von diesen Themen. Hier sehen sich auch suffizienzorientierte Menschen offenbar in einem Zielkonflikt, wenn es darum geht, für Fernreisen
in einen Flieger zu steigen. Ob sie sich letzten Endes dafür
entscheiden, hat wohl vergleichsweise wenig mit ihren
Suffizienzeinstellungen zu tun. Dies könnte, so Laura Henn, auch daran liegen, dass
sich auf der Grundlage persönlicher Normen und
Einstellungen zu Nachhaltigkeit das Fernreiseverhalten nicht vorhersagen
lässt: "Der völlige Verzicht auf Flugreisen erfordert ein starkes
Engagement und steht oft im Konflikt mit anderen Lebenszielen, wie
beispielsweise dem Sammeln von Reiseerfahrungen."
Ob es gelingt,
nachhaltig zu leben, hängt allerdings nicht allein von den persönlichen
Entscheidungen und Motivationen jedes Einzelnen ab. Dazu kommen nämlich
noch Faktoren, die außerhalb des Einflussbereiches der Betreffenden
liegen, weiß auch die Hohenheimer Wissenschaftlerin: "Wenn die
Infrastruktur und die Politik ein suffizientes Verhalten unterstützen,
ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass Menschen dies auch tun."
Uns alle entlässt dies allerdings nicht aus der Verantwortung.
(918 Wörter)
(Quelle:
u. a.
Pressemitteilung der Universität Hohenheim, v. 04.09.23)
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