Die Konferenz als Organisationsform der Konfliktlösung
Auf der Grundlage der
humanistischen Psychologie von »Carl
Rogers (1902-1987)entwickelte der Psychologe »Thomas
Gordon (1918-2002) ein als »Gordon-Modell
bekannt gewordenes Modell zur Konfliktlösung im Alltag. Die
"Lehrer-Schüler-Konferenz" (TET®), erstmals 1974 veröffentlicht,
wird inzwischen weltweit wie eine Dachmarke als Teil eines
universellen Trainingskonzepts vermarktet.
Das Modell Gordons war "Ausdruck eines optimistischen,
reformorientierten pädagogischen Zeitgeistes". Seine Grundidee und
seine Prinzipien die "auf die
schöpferischen Selbstaktualisierungstendenzen der Menschen und die
Selbstregulierungskräfte von Gruppen vertraute" (Göppel
2007,S.130), waren "denkbar einfach und schlicht". Schon die
Verwendung des Titelbegriffs "Konferenz"
der zahlreichen Veröffentlichungen Gordons
signalisiert, worum es geht.
Eine Konferenz soll zur Konfliktlösung
abgehalten werden, d. h. "die Beteiligten setzen sich zusammen,
erörtern ihren Konflikt, ihre Meinungs- und Interessengegensätze,
sammeln Lösungsvorschläge und einigen sich schließlich auf einen
Kompromiss, der allen Interessen möglichst optimal gerecht wird." (ebd,
S.131)
Statt Konfliktlösungen, die auf der autoritären Durchsetzung
des Mächtigeren beruhen ("Methoden I") oder einem resignativen
Laissez-Faire ("Methode II") soll die "Konfliktlösung
ohne Niederlage", eine Win-Win-Situation, angestrebt werden.
Der Kern des Konzepts von Gordon
steckt in den Worten, die Gordon den Lehrern zur Einführung der
Schüler in die "Methode III" empfiehlt: " Ich weigere mich, aufgrund
meiner Machtposition auf eure Kosten zu gewinnen, aber ich weigere
mich gleichermaßen, euch auf meine Kosten gewinnen zu lassen. Ich
respektiere eure Bedürfnisse, aber ich muss auch meine eigenen
Bedürfnisse wahrnehmen. Versuchen wir also eine neue Methode, die
uns hilft, eine Lösung zu finden, die sowohl eure als auch meine
Bedürfnisse zufriedenstellt. (Gordon 1981, S.196, zit. n.
ebd.)
Die Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz verlangt ein förderliches
Gesprächssetting
Die konzeptuellen Vorstellungen zur Konfliktlösung Gordons bilden auch die Grundlage des Konzepts der
Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz (Teacher-student writing
conference), mit der das Schreiben von Schülern in der Schule in
einem förderlichen Klima und in einer partnerschaftlichen Beziehung
vorangebracht werden soll.
Der Erfolg der Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz hängt in einem ganz
entscheidenden Maß davon ab, in welchem Maße es den Beteiligten gelingt,
ein förderliches Gesprächssetting zu etablieren, bei dem sich Lehrperson
und Schüler in ihrer Arbeit und in ihren Intentionen vom jeweils anderen
ernst genommen fühlen.
Der Begriff
▪ Schreibkonferenz
wird ansonsten im Zusammenhang mit
▪
schreibdidaktischen Konzepten verwendet, die in der Hauptsache
auf einem Peer-Feedback im Rahmen eines
schrittweise kooperativen Schreibprozesses beruhen und bei denen
sich die Lehrperson im Allgemeinen im Hintergrund halten soll.
Wie
bei den anderen "Konferenzen" des Gordon-Modells steht der Begriff
Konferenz auch bei der Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz als
Bezeichnung für das individuelle, partnerschaftlich ausgerichtete
Gespräch zwischen Lehrkraft und Schüler, bei dem es über das
▪ Schreiben, den
Schreibprozess,
▪ Schreibstrategien,
▪ lernstrategische Orientierungen beim Schreiben
usw. oder um die Textproduktion in Teilen oder als Ganzes geht.
Lehrer und Schülerinnen* verständigen sich vorher über die
Ziele der Konferenz
Bei dieser Besprechung (Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz) bzw. des
der Hauptseite nach als Beratung geführten Gesprächs verfolgen Lehrperson und Schüler
Ziele, auf die sich vorab verständigt
haben.
Diese Ziele sind ganz allgemein gefasst:
Wichtige Voraussetzungen auf Lehrerseite
Die Lehrer-Schüler-Beziehung ist gemäß der
humanistischen psychologischen Fundierung der Methode der Schlüssel zum
Erfolg.
Diese zu gestalten ist in die pädagogische Verantwortung der
Lehrperson gestellt, die aber stets in einer die Autonomie und Würde des
Schülers anerkennenden Beziehung auszuüben ist.
Um eine möglichst
entspannte und förderliche Atmosphäre für die Durchführung der
Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz zu schaffen, wird daher aus solchen und
anderen gesprächsdynamischen Gründen empfohlen, die
"Konferenz" nicht
im gewohnten Klassenzimmer stattfinden zu lassen, um den
dialogischen Charakter zu unterstreichen.
Damit das Gespräch erfolgreich verlaufen kann,
müssen seitens der
Lehrperson darüber hinaus weitere Gesichtspunkte beachtet werden.
Die
Lehrkraft sollte
Die Lehrkraft muss über Berater-Skills verfügen und
ihre Rolle als Lernberaterin* ausfüllen
Neben der Kompetenz, "den Bratungsprozess sinnvoll zu strukturieren und
für eine zielorientierte Gestaltung des Beratungsgeschehens zu sorgen"
(Prozesskompetenz) (Schwarzer/Buchwald
2001, S.589) gehören dazu auch eine Reihe sogenannter
Berater-Skills, die auch im Konzept
der ▪
Lernberatung (Scaffolding) zusammengefasst werden.
Solche
Berater-Skills sind Fertigkeiten, die
von einer Lehrperson dabei erwartet werden müssen. Sie machen einen
wichtigen Teil ihrer allgemeinen pädagogisch-psychologischen
Beratungskompetenz aus und sind insofern auch Grundlage der
beratenden Lehrerrolle in einer Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz.
Nach
H. Will (1991,
zit. n.
Schwarzer/Buchwald 2001, S.589) zählen hierzu u. a. :
-
Sich in die
Problemlage des Gesprächspartners hineinversetzen zu können
-
Analytisches
Herausarbeiten des Beratungsproblems
-
Klären von
Zielen und Erwartungen
-
Klare
Strukturieren des Beratungsablaufs
-
Definieren
der Interventionsebenen
-
Aktives
Zuhören
-
Variabel
verfügbare Gesprächstechniken
-
Erkennen und
Vermeiden von 'Verstrickungen'
-
Didaktisches
Aufbereiten von Lösungsstrategien
-
Teamorientiertes Arbeiten
So gelingt die Durchführung der
Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz
Für den
Verlauf und die dialogische Gestaltung der
Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz werden verschiedentlich
Vorschläge gemacht (vgl.
Sperling 1991, Reid 1993,
Grabe/Kaplan
1996) , die hier in Anlehnung an
Bräuer (2010, S.5.)
knapp aufgelistet sind:
-
Um die Erwartungen von Lehrperson und Schüler in der Schreibberatung
erfüllen zu können, sind vorher konkrete Absprachen zu treffen.
-
Partnerschaftliche Festlegung von Verlauf und Inhalt des Gesprächs,
wobei die äußeren Rahmenbedingungen (Zeit, Zielvereinbarung ) von der
Lehrperson kontrolliert werden.
-
Schreibberatung sollte die individuellen Voraussetzungen des Schülers
(motivational und fachlich) berücksichtigen und sich möglichst auf einen
Aspekt des Schreibprozesses bei der Bewältigung der
Schreibaufgabe
beschränken (▪ Nicht-zuviel-auf-einmal-Feedback).
-
Der Gesprächsverlauf sollte von der Lehrperson in einem
Verlaufsprotokoll dokumentiert werden, die beratenen Schüler sollten
nach dem Gespräch ein
Ergebnisprotokoll verfassen, in dem die Inhalte
der Zielvereinbarung, ggf. mit Angabe der Begründung, und möglichst
genauen Arbeitszielen formuliert sind.
-
Die vom Schüler aufgrund der Schreibberatung vorgenommenen
Textrevisionen müssen von der Lehrperson gelesen werden und sollten,
wenn möglich in die abschließende Bewertung der Textproduktion
einfließen.
Wichtige Voraussetzungen auf Schülerseite
Eine der schülerseitigen Voraussetzungen ist das
Vorhandensein oder eine fortlaufende Entwicklung von Fähigkeiten zur Selbstreflexion
und Selbstbeurteilung (Metakognition),
die die Schülerinnen und Schüler auch in anderen schulischen
Lehr-/Lernprozessen entwickeln bzw. entwickelt haben.
Fehlen solche
altersgemäßen
metakognitiven Kompetenzen kann auch die von der
Lehrperson bestgemeinte und bestorganisierte
Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz, jedenfalls nicht ohne weiteres, zum Ziel
führen.
Und: ohne das vorherige Herstellen einer guten und förderlichen
Beziehung zur beratenden Lehrperson kann ein Schüler seine ▪
Rolle als
Feedbacknehmer in der Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz kaum so
ausfüllen, wie dies eigentlich nötig ist.
Varianten
Die Lehrer-Schüler-Konferenz lässt sich auch in einer schriftlichen
Variante durchführen. Dabei müssen die Bemerkungen der Lehrperson
-
schriftlich
notiert werden
-
aus der Sicht eines authentischen Lesers gegeben werden (je
neugieriger, unvoreingenommener und zuversichtlicher, desto besser)
(vgl. Baurmann 2002/2008, S.118)
-
nicht-direktiv, am besten in Form von Ich-Botschaften u. ä. gestaltet werden, um Wege für einen offenen und ehrlichen Dialog zu
ebnen (vgl.
Gordon
1974)
-
besonders präzise sein
-
sich stets konkret auf den Text bzw. eine bestimmte Textstelle
beziehen
-
die Art und
Richtung der erforderlichen oder angestoßenen Überarbeitung
anzeigen (▪
Überarbeitungsstrategien)
Nicht-direktive
Formulierungen sind beim schriftlichen Feedback besonders wichtig
Auf die Bedeutung nicht-direktiver Formulierungen auch beim
schriftlichen Feedback in Form von Rand- oder Abschlusskommentaren weist
Bräuer (2010, S.6)
ausdrücklich hin.
Also, statt im
Falle einer unzureichenden Argumentation schriftlich zu kommentieren:
"Diese Behauptung wird nicht begründet!" oder einfach das Korrekturzeichen "Bgr" für fehlende oder unzureichende Begründung
zusetzen, ließe sich auch schreiben:
"Du
behauptest hier …. Kannst du noch anführen, warum das so ist?"
Zudem
könnten Hinweise bzw.
Überarbeitungshinweise auch nicht-direktiv als
Wünsche formuliert werden ("Als Leser wünsche ich mir hier noch ….)
Die oft seitenlangen Lehrerkommentare am Ende eines Schreibprozesses, z.
B. als Abschlusskommentar am Ende einer Klassenarbeit mit einer
entsprechenden Zensur, haben im Übrigen, das haben entsprechende Studien
unter Beweis gestellt (vgl.
Ferris 2003), weitaus geringere Bedeutung
für die weitere, individuelle Schreibentwicklung als mündliche und
schriftliche Kommentare, die Schülerinnen und Schüler bei ihrem
Schreiben erhalten. (vgl.
Bräuer 2010,
S.6)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
07.01.2024
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