Der nachfolgende Parallelkonspekt zu ▪
Angela Stachowa
Kurzgeschichte ▪»Ich
bin ein Kumpel« kann als Quelle für mögliche Interpretationshinweise
verwendet werden.Die
Darstellung zeigt, wie durch
▪
Markierungen und Hervorhebungen ,
sowie durch Anmerkungen zum Text
(▪
Annotationen) die ▪
inhaltliche Erfassung des Textes
in Form eines
▪
Parallelkonspekts aussehen könnte.
Ich bin ein Kumpel.
Seit zehn Jahren sitze ich
emanzipiert regelmäßig nach
Feierabend in einer Runde von Männern. Ich trinke das
gleiche Quantum Bier und Schnaps. Ich bemühe mich, genau wie sie
schallend, brüllend und wiehernd zu lachen und nicht durch weiblich-melodisches
Lachen aufzufallen. Verfalle ich doch einmal in ein Kichern, sehe ich
scheu um mich und hoffe, dass keiner es bemerkt hat.
Frauen und Mädchen, die an unserem Tisch vorbeigehen, beurteile ich
ebenso fachmännisch wie alle anderen in der Runde. Ich lächle
wohlwollend, wissend und kennerisch, wenn einer der Rundenfreunde mit
einem Mädchen davongeht. Wir Zurückbleibenden zwinkern uns
verständnissinnig zu und das Gespräch und das Gelächter gehen
weiter. |
I.
Die letzten zehn Jahre als Kumpel
unvermittelter Beginn
Feststellung aus der
Erzählergegenwart: Kumpel - Ergebnis eines Emanzipationsprozesse?
Merkmale eines Kumpels:
erzählt im
historischen
Präsens (iterativ-durative
Raffung) -
grammatischer
Parallelismus (Ich) betont den gleichförmigen
iterativen Aspekt
Manchmal "Rückfall" in
weibliche Verhaltensweisen - erzeugen Angst (erstmals ein Gefühl der
Ich-Erzählerin!)
Gruppenrituale sichern
gegenseitiges Einverständnis und Gruppenzusammenhalt
("Wir")
|
Wie ich Kumpel wurde? Ich liebte einen, der
mit in der Runde sitzt. Ich wollte immer in seiner Nähe sein. Ich
setzte mich in seinen Kreis und gedachte, ihn so zu gewinnen. Es
brauchte damals anderthalb Jahre, bis sich die Männer an mich
gewöhnten. Heute, so glaube
ich, haben sie Gottseidank vergessen, dass
ich eine Frau bin. Ich lege auch kein Make-up mehr auf, tusche nicht
mehr die Wimpern, färbe nicht mehr die Haare; ich bevorzuge flache
Büstenhalter.
Übrigens hat der Mann, den ich liebte, zwei Jahre nach meinem
Eintritt in die Runde geheiratet. Nicht mich. In der Folgezeit weilte
er vorübergehend nur selten unter uns. Aber irgendwann später ist er
dann endgültig heimgekehrt in unseren Kreis. |
II.
Die Gründe für die Preisgabe der weiblichen Identität
erzählt im
Erzähltempus
Präteritum zur Betonung der Abgeschlossenheit des Vorganges
Tempuswechsel - präsentisches -
historisches
Präsens: Männer gewöhnen
sich erst nach eineinhalb Jahren an die Frau in der Runde - ob
sie wirklich akzeptiert ist, bleibt unklar - Ich-Erzählerin
"glaubt", dass sie ihre weibliche Identität vergessen
hätten - immerhin: Männer bestehen nicht darauf, dass sie die Runde
wieder verlässt
Anpassungen an Männlichkeit =
Verzicht auf weibliche Erscheinung
Die weitere Entwicklung: zwei Jahre
nach dem ersten Erscheinen in der Gruppe heiratet der Mann eine andere
lapidare Bemerkung (übrigens=
Rangierpartikel mit ordinativer Funktion im Sinne von "so
nebenbei gesagt") , (elliptisch) ohne Gefühlsregung, oder eben
gerade dadurch erst als Fassade erkennbar ("Nicht mich")
Rückkehr in die Runde ohne genaue
zeitliche Angabe: "Irgendwann"
|
Meist sitze ich neben ihm. Seine Frau
begleitet ihn nie. Ich kann mich schon ganz kumpelhaft nach ihr und
den Kindern erkundigen. Er sieht mich dann an wie Hans und Franz und
gibt Auskunft. Wir sind ja alle nur Menschen. |
III.
Der kumpelhafte Umgang mit dem ehemals verehrten Mann in der
Runde
historisches Präsens
-
Ich-Erzählerin sitzt trotzallem
meist neben ihm (Grund?)
-
ist stolz, dass sie ihre ehemaligen
Gefühle verdrängen und sich kumpelhaft erkundigen kann
-
Mann sieht in ihr ebenfalls keine
Frau mehr (Hans und Franz)
-
Kommentar der Ich-Erzählerin, der
ihre Distanzierung sichtbar machen soll, die sich aber dadurch als
vordergründig und brüchig erweist
|
Seit zehn Jahren bin ich ein
vollwertiges
Mitglied der Runde. Letzte Woche sah ich im Waschraum
im Spiegel ein
seltsam fremdes Gesicht. Muss aber wohl doch meins gewesen sein.
Ich bin ein Kumpel. Nur Witze erzählen kann ich noch nicht.
Irgendwann reiße ich kumpelhaft den Stuhl, auf dem ich sitze, in die
Höhe, zerschmettere ihn und schlage mit einem Stuhlbein meinen
Kumpels die Köpfe ein.
(aus: Angela Stachowa, Stunde zwischen Hund
& Katz, Erzählungen, Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig, 2.
Aufl. 1976, S.179?180)
|
IV.
Gegenwart und Zukunft des "weiblichen" Kumpels
Behauptung, sie sei seit 10 Jahren
vollwertiges Mitglied der Gruppe trifft nicht zu (Widerspruch: Es
dauerte eineinhalb Jahre, ehe die Männer sich an sie
"gewöhnten")
Spiegelerlebnis "letzte
Woche"
-
seltsam, fremdes Gesicht
-
lapidare, lakonische Bemerkung, die
das Befremden abtut (warum sieht sie sich erst nach 10 Jahren
einmal so?)
-
will keine Selbstzweifel aufkommen
lassen
Gegenwart und Zukunft
-
es gibt keinen Weg zurück: Betonung
ihrer Kumpelidentität
-
Kumpelidentität kann noch
verbessert werden (Witze erzählen) - Warum fällt ihr gerade das
so schwer?
-
Rebellionsgelüste gegen ihre Lage
werden nicht wirklich wahrgenommen, eigene Anteile nicht gesehen -
männliche Lösung ihres noch immer weiblichen Unbehagens an ihrer
aufgestülpten Kumpelidentität
|
Urheberrechtliche
Hinweise
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.01.2025
|