▪
Schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte
▪ Einen Erzähltext mit der Kategorientafel analysieren
▪
Erzählformen und Erzählverhalten
(Petersen)
▪
Überblick
▪
Erzählform
▪
Standort des Erzählers (point of view)
▪
Erzählperspektive (Sichtweise)
▪
Erzählverhalten
▪
Erzählhaltung
▪
Darbietungsweisen
Wenn
es bei ▪ schulischen Analyse und Interpretation erzählender Texte
um die Analyse der Perspektiven bzw. Erzählperspektiven geht,
empfiehlt sich, eine •
pragmatische Herangehensweise bei der Wahl des
Perspektivenmodells sowie der entsprechenden Terminologie, zumal
auch in der Literaturwissenschaft unterschiedliche Auffassungen
darüber, was die Kategorien
Perspektive und
Erzählperspektive
zu bedeuten haben, •
miteinander konkurrieren. In der
Schule geht es schließlich
nicht um eine letztlich widerspruchsfreie, kategoriale
Terminologie in einem geschlossenen erzähltheoretischen Universum,
schon gar nicht um terminlogische Vorherrschaft im Bereich der
Erzähltheorie geht, sondern darum bei der Interpretation von literarischen Texten, erzähltheoretische Kategorien, "verstanden als begrifflicher
Werkzeugkasten" (Köppe/Kindt
2014, S.33) "im Rahmen unterschiedlich ausgerichteter
interpretativer Erschließungen von Erzähltexten" zu nutzen.
Hier
nutzen wir den Begriff der Erzählperspektive nur als Arbeitsbegriff, zumal er als solcher in
der Schule wohl am weitesten verbreitet ist. Dabei sind wir uns der
Tatsache bewusst, dass der Begriff auch in dem von uns für die
schulische Analyse hier bevorzugten Merkmalkatalog der
▪ Erzähltextanalyse von
Jürgen H. Petersen
in dessen "Kategorientafel"
(Petersen
1993, S. 8) in einer sehr eingeschränkten Art und Weise verwendet.
Neben
den ▪
typischen Erzählsituationen Stanzels der
älteren
Erzähltheorie, die noch immer in der Schule verwendet werden, bietet
sich, zumindest für die ▪
schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte, an, auf das
Konzept der ▪
Erzähltextanalyse von
Jürgen H. Petersen
(geb. 1937) (1993,
72006)
zurückzugreifen. Mit seiner "Kategorientafel"
(Petersen
1993, S. 8), die "die geschlossene Typologie durch einen
offeneren Merkmalskatalog ersetzt, der mehr (wenn auch nicht alle)
Kombinationsmöglichkeiten und damit eine feinere Klassifizierung
ermöglicht" (Jahraus
2009, S.228), will Petersen keine Erzähltheorie sondern eine
"Deskriptionspoetik narrativer Texte fiktionaler Art" modellieren.
Sie unternehme den Versuch, "alle zur Erfassung dieser Texte
notwendigen Kategorien darzustellen und einander funktional
zuzuordnen." (Petersen
1993,
S.8).

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Der Roman ist in der •
Er-Form erzählt. Dabei spricht der Erzähler grundsätzlich von
Dritten und verwendet dafür gewöhnlich auch die Personalpronomina
der dritten Person. Auch wenn man als Leser den Eindruck gewinnen
kann, dass der Erzähler bei der Er-Form völlig verschwindet, bleibt
er mit einer offenkundig distanzierten Erzählhaltung vorhanden, wenn
er z. B. etwas ironisch kommentiert oder das Erzählte irgendwie
einfärbt, Allerdings ist er weder eine fiktive oder fingierte
Person, so dass er als solche eigentlich auch nicht verschwinden
kann.
Auch wenn der Erzähler
in der Er-Form in • Thomas
Manns
Roman •
Buddenbrooks keine Personalität besitzt, sondern stattdessen ein
personalitätsloses Medium darstellt, agiert er im Zuge des Romans bei
seinem
▪
Erzählverhalten überwiegend •
auktorial.
Das bedeutet allerdings
nicht, dass der Erzähler an verschiedenen Stellen des Romans auch hinter
seine Figuren zurücktritt, ohne dass er dabei gänzlich verschwindet. So
wählt er durchaus auch mitunter die Optik der Figur, erzählt
aus ihrer Sicht der Dinge, ohne sich an der jeweiligen Textstelle von der
Figur zu distanzieren. Dies ist, wie Petersen
(1993, S.74) darstellt z. B. der Fall, als •
Thomas Buddenbrook (1826-1875)
im Nachgang eines Gesprächs mit seiner Schwester •
Antonie (Tony) Buddenbrook, verh.
Grünlich, Permaneder (1827-?),
die ihn bittet, dem hoch verschuldeten Junker Ralf Maiboom die kommende
Getreideernte im Vorgriff "auf dem Halm" abzukaufen, darüber, über das
Geschäftsleben im Allgemeinen und seine charakterlichen Eignungen dafür,
seine • Gedanken
in Form der •
erlebten Rede reflektiert. (•
Textbeispiel)
Dass sich in den • »Buddenbrooks«
"die Kategorie der
Erzählsituation
... vermutlich... nicht zur Charakterisierung des gesamten Werks oder auch
nur eines größeren Abschnitts, sondern lediglich zur Klassifizierung
kleinerer Erzähleinheiten" herangezogen werden könne, hat
Jochen
Vogt (1990, S.52f.)
an einer anderen •
Textstelle aufgezeigt.
"Über weite
Strecken wird der Roman quasi von einem Chronisten und Porträtisten,
dann von einem Sozialhistoriker und Epochenmaler entworfen." (Jurgensen
1988, S.109)
"Der Erzähler dieses Romans
verfügt über eine Weite und Vielschichtigkeit des Ausdrucks, die auf häufig
wechselnde Perspektiven deuten.[...] Wie sinnvoll es ist, hier von einem
'auktorialen Kunstwerk' zu sprechen, mag dahingestellt bleiben: unübersehbar
bleibt die vielschichtig kompositorische Absicht des Autors, der über keine
'Allwissenheit', wohl aber über eine Vielfalt stilistischer
Ausdrucksmöglichkeiten verfügt, deren Reichweite, Subtilität und Verwendung
durch seine künstlerische Begabung bestimmt werden. Welche Stimme zum
Einsatz gelangt, hängt von der Dichte des Erzähltexts ab, derer sich der
Autor fähig erweist. Der Erzähler ist allenfalls so 'allwissend', wie es der
komponierte Text verlangt. Jede andere Form der 'Allwissenheit' entspräche
[...] den Ansprüchen einer epischen 'Guckkastenbühne', und gerade dieses
widerspräche dem Anliegen dieses Romans und seines Autors." (Jurgensen
1988, S.109f.)
Oft weiß der Erzähler nicht
mehr als seine Figuren. Dabei kommt es immer wieder zu einer
"Synchronisierung von Erzählerwissen und Figurenwissen" (Jurgensen
1988, S.111)
"Manns Figuren sind
variable Bezugspunkte einer kompositorischen Erzählperspektive. Gelegentlich
läuft der Roman Gefahr, eine vereinfachendem ja karikierende Darstellung zu
bieten, denn viele seiner Figuren nehmen den Charakter leitmotivischer
'Stimmen' an. Wie in einer Sprechoper kommt es dann zu sprachlichen
Figurenperspektiven, die ihrer kompositorischen Ergänzung bedürfen. Die
Erzählperspektive von »Buddenbrooks « ist wie bei allen großen
Sprachkunstwerken Komposition eines dialektischen Ausdrucks." (Jurgensen
1988, S.127)
Personales Erzählen bedeutet nun aber nicht, daß der Narrator stets
völlig verschwinden würde. Auch bei Büchner, auch bei Kafka erzählt sich die
Geschichte nicht selbst, und erst recht die Darbietungsform der erlebten
Rede, die als das klassische Mittel personalen Erzählens gilt, wird falsch
verstanden, wenn man meint, der Narrator wähle die Sicht der Figur und
verschwinde dabei stets hinter dieser, ziehe sich mithin als episches Medium
(vorübergehend) ganz zurück. In der erlebten Rede sind vielmehr beide
vorhanden, der Erzähler ebenso wie die Figur; der Narrator wählt die
Figurenoptik, d.h. er bleibt präsent. Allerdings ist diese Präsenz
außerordentlich unterschiedlich ausgeprägt, und nur wenn der Erzähler sich
von der Figur, deren Sicht er wählt, nicht distanziert hat oder jedenfalls
nicht in der Frage, die in der erlebten Rede behandelt wird, weicht seine
Sehweise ganz und gar der der Figur. Das ist z.B. an der folgenden Stelle
aus »Buddenbrooks« der Fall, an der Thomas Buddenbrook darüber nachsinnt, ob
er das risikoreiche Angebot, eine Partie Kom »auf dem Halm« zu kaufen,
annehmen soll oder nicht:

wird (z. B. durch Kommentare) mit quasi individuellen Eigenschaften
ausstaffiert werden, die aber dennoch auf keine Person zurückverweisen.
(vgl. ebd.,
S.59)
Thomas Mann nutzt den auktorialen Erzähler, wie er im Realismus
stilbildend war. Näher betrachtet, ist die Erzählerfigur aber nicht
allein auf diese Rolle beschränkt. Nicht nur, dass auch personale
Erzählpassagen vorhanden sind, die verschiedenen Perspektivierungen
und Positionierung des Erzählers lassen keine eindeutige Bestimmung
zu. Daher handelt es sich hier um ein komplexes Erzählen, das seine
Basis im auktorialen Erzählen hat, sich darin aber nicht erschöpft.
Die Erzählerfigur hat im Roman verschiedenste Mittlerrollen. Sie
tritt als Chronist auf (S.258), als reflektiert nachdenkend und
Einverständnis beim Leser suchend (S.694), als wortreicher Gestalter
von Stimmungsbildern (S.370), als eine Figur, die mit Nachdruck
Zwischenrufe in das Handlungsgeschehen einwirft (S.698), auch solche
des Bedauerns, was uns verdeutlicht, dass ihr das Schicksal der
Buddenbrooks nicht gleichgültig ist (S.177, 369, 466). Außerdem
tritt der Erzähler als die auktoriale, alles ordnende Instanz auf
(S.418), die über einen weiten Überblick über die Meinungen der
verschiedenen Figuren verfügt (S.643f., die hanseatische
Kaufmannsschicht über Gerda) und einen generationenübergreifenden
Vergleich zwischen den Figuren vornehmen kann (S.259).
Der Erzähler kann auch die sprachlichen Eigentümlichkeiten
erklären (etwa die besondere und eigentliche Bedeutung von ‚albern’,
S.87, S.294; der erläuternde Kommentar hinsichtlich Morten
Schwarzkopfs Redensart, S.133; oder die Erklärung der Klangfarben
von Bankier Kesselmeyers „Ahah“-Interjektion, S.201) und als
derjenige, der in den Passagen personalen Erzählens, in denen
erlebte Rede vorherrscht, hinter die Figuren zurücktreten kann (S.
54f., 265, 275f., 569, 469ff., 474f., 629, 657).

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Erzählformen und Erzählverhalten
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