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Aspekte der Erzähltextanalyse

Aspekte der Interpretation

Wolfgang Borchert (1921-1947) KurzgeschichtenDie Küchenuhr

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Wolfgang Borchert Überblick Kurzgeschichten Didaktische und methodische Aspekte Überblick Historischer Hintergrund Nachts schlafen die Ratten doch Die KüchenuhrText Didaktische und methodische AspekteÜberblick [ Aspekte der Erzähltextanalyse Überblick Text mit Annotationen Inhaltsangabe Erzähltechnische Mittel  • Sprachliche und stilistische Gestaltung Die Figuren der Geschichte: Ein traumatisiertes KollektivDie Küchenuhr als Symbol Aspekte der Interpretation Textnahe Interpretation ] BausteineFragen und Antworten (KI)An diesem Dienstag Die KirschenDas BrotDie drei dunklen KönigeLesebuchgeschichten Mein bleicher Bruder ▪ Die Katze war im Schnee erfrorenDer Kaffee ist undefinierbar Die lange lange Straße lang Die Mauer Das GewitterDie traurigen Geranien Im Schnee, im sauberen Schnee Bleib doch, Giraffe ▪ Gottes Auge Bausteine Links ins Internet Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

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Würde man den jungen Mann in • Wolfgang Borcherts Geschichte »Die Küchenuhr« mit dem heutigen Wissenstand psychologisch diagnostizieren, so ginge man wohl davon aus, dass er an einer starken ▪ posttraumatischen Belastungsstörung, mit deutlichen ▪ konstriktiven Symptomen leidet. die vor noch nicht allzu langer Zeit als Zustand des Wahnsinns bezeichnet worden ist. Er gälte dementsprechend als psychisch krank. Sein Verhalten ist auffällig: Er zeigt angesichts der Ereignisse der Bombennacht, die ihm seine Mutter und sein Zuhause genommen hat, in einer heiteren Grundstimmung, weil er mit der defekten Küchenuhr, die offenbar genau zu dem Zeitpunkt stehen geblieben ist, als die Bombe eingeschlagen ist, in gewisser Weise auch die fortlaufende Zeit zum Stehen gebracht hat, indem sie die Erinnerung an die "paradiesischen" Zustände vor den tragischen Ereignissen wach hält und in die Gegenwart einbringt.

Neben der Küchenuhr als Symbol ist es vor allem das seltsame und auffällige Verhalten des jungen Mannes, das die Interpreten als Schlüssel zu einem tieferen Verständnis der Geschichte ansehen.

Die ver-rückte Perspektive des jungen Mannes

Wilhelm Große (1995/2017, S.56) spricht davon, dass der junge Mann, auch wenn Borchert seinen psychischen Zustand nicht konkret beschreibe, nach dem Verlust seiner Eltern und seines Elternhauses unter Schock stehe und "wahnsinnig" geworden sei. Er sei "zwar nach normalen Maßstäben verrückt, aber diese ver-rückte Position" lasse ihn "vieles anders und damit vielleicht sogar wahrer sehen." Orientiert an seiner von der normalen Perspektive weggerückten bzw. ver-rückten Sichtweise, sei es "gerade der Verrückte, "der die Situation wieder zurechtrückt" und als "Außenseiter" als der "aus der Norm Gerückte", einer Gesellschaft aufzeige, "wie sie sich wieder ins Lot rücken kann", selbst er dies unbewusst tue. (ebd. S.57)

Um das Wortspiel weiterzutreiben: Verrückt eigentlich!

So bedarf es nach Ansicht Großes dieser ver-rückten Perspektive, dass am Ende der Geschichte doch noch über den gegenwärtigen Zustand der Zerstörung hinausweisend, der Gedanke der Humanität spürbar werde, die als "Möglichkeit und Notwendigkeit, einen Grundstein für eine neue Gesellschaft" lege. (ebd. S.57) "In der Küchenuhr", so betont er, "ist jener vergangene, paradiesische Zustand aufgehoben im Sinne der Bewahrung; er ist in der Uhr festgestellt, und indem die Erinnerung an das Paradies so überdauert, leuchtet das Paradies wieder als erreichbarer Zustand am Ende des Zustandes der Zerstörung auf. Innerhalb eines verwüsteten Ortes verweist die Uhr somit indirekt auf eine Möglichkeit, eine humane Gesellschaft zu begründen."

Die entrückte Perspektive des jungen Mannes

Werner Zimmermann (1962) wendet sich gegen eine "naturalistisch-nihilistische Deutung", die die vermeintliche Fröhlichkeit, mit der der junge Mann seine traumatischen Erfahrungen von sich abspaltet, als "Symptome des ausbrechenden Wahnsinns" (ebd., S.131) verstehe. Was der junge Mann ausstrahle, sei weniger ein Verrücktsein als ein Entrückstein (vgl. ebd.,S.133).

Die These vom Verrücktsein bzw. Verrücktwerden widerspreche dem Symbolcharakter der Küchenuhr. Sie gebe ihm nämlich, weil sie für die Angabe der "normalen" ´Zeit unbrauchbar geworden sei, die Möglichkeit, "eine andere, höhere Wirklichkeit" zu sehen, "die eben der gewohnte Ablauf der Zeit verdeckt und die auch nicht mit dem Maß dieser Zeit zu messen ist." (ebd.) So zeige die Art und Weise, wie der junge Mann mit der defekten Uhr spreche, de(n) höhere(n) Wert des Bleibenden gegenüber dem des Vergänglichen" und damit den "Vorrang der übersinnlichen gegenüber der sinnlichen Wirklichkeit" und verkünde auch dort und gerade dort, "das Paradies der Liebe [...], wo äußerlich nur die Hölle der Zerstörung 'sinnlos waltet". So gesehen erinnere die Küchenuhr nicht nur an die in der Vergangenheit empfangene Liebe. Darüber hinaus werde sie zu einem geheimnisvollen Zeichen dafür, "dass diese Liebe nun auch wirklich ausstrahlt als unmittelbar gegenwärtige Kraft, die sich als so mächtig erweist, dass sie den Schmerz über den leiblichen Tod derer, die Liebe schenkten, vergessen macht." Auf diese Weise sei die Küchenuhr auch mehr als ein bloßes Erinnerungsstück. Für den jungen Mann sei sie vielmehr ein Gegenstand magischer Heilkraft. Für den Leser  hingegen stelle sie eine Chiffre dar, deren eigentliche Bedeutung sichtbar werde, wenn man den Handlungszusammenhang in seiner symbolischen Deutung verstehe. Damit lasse sich auch der Gegensatz zwischen der äußeren Wertlosigkeit und dem inneren Wert der Küchenuhr in ihrer Symbolik auflösen und mache sie als eine "verwandelnde Kraft, [...] einer Reliquie vergleichbar" sichtbar.

Der junge Mann selber entpuppe sich am Ende als  "Tor", der "zum Weisen" werde oder als "Wahnsinniger", der  zum Hellsichtigen werde wie der Blinde zum Seher. (vgl. ebd.) Die Erkenntnis, die der junge Mann auf der Grundlage und in seiner Art der Verarbeitung leidvoller Erfahrungen gewonnen habe, habe ihn letztlich auch aus seiner Einsamkeit herausgeführt, wie die Kontaktaufnahme mit den anderen Personen auf der Bank verdeutlicht, mit denen er mit seiner inneren Heiterkeit über die Küchenuhr und seine Zeit vor den tragischen Ereignissen spricht. So könne auch sein Lachen nichts anderes bedeuten, als dass auch in ihm etwas 'kaputt' sei. Zugleich mache diese innerliche Zerstörung aber erst die Erleuchtung möglich, die aus dem Toren den Weisen, aus dem Wahnsinnigen den Hellsichtigen oder aus dem Blinden einen Seher werden lasse.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 25.05.2025

 
 

 
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