Der Uhr kommt in der ▪
Kurzgeschichte
▪ »Die
Küchenuhr«
von
▪
Wolfgang Borchert
eine besondere Bedeutung zu. Sie ist ein
Dingsymbol d. h. ein
bedeutungsvoller Gegenstand, der als Symbol über sich hinausweist und einen
allgemeinen Sinn oder Gedanken durchscheinen lässt, der über seinen
Charakter als Ding mit bestimmten (Gebrauchs-)Eigenschaften auf einen
höheren geistigen Zusammenhang verweist.
Für
Zimmermann (1962,
S.129f.) erschließt sich der symbolische Gehalt der Küchenuhr "aus der
Betrachtung zweier stilistischer Eigentümlichkeiten, die im Zusammenhang mit
ihm auftreten: der antithetischen Verknüpfung und der [...] Wiederholung
bestimmter Wendungen." Um dies zu verdeutlichen hat er die gegensätzlichen
Aussagen des Textes über die Küchenuhr analysiert und dabei bestimmt, ob sie
der Küchenuhr nur einen geringen gegenständlichen Wert geben (unten gelb
markiert) oder ihr einen "hohen Gefühlswert" geben, ohne dass diese in einer
gefühlsbetonten Sprache zum Ausdruck komme. Lediglich einmal äußere der
junge Mann ein zaghaftes Wohlgefallen ("Aber die blauen Zahlen sehen doch
ganz hübsch aus" und zweimal erinnere er sich ("wie immer") an die Zeit, in
der sein Elternhaus noch nicht zerstört gewesen sei.

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Vor allem die
charakteristischen Wiederholungen stellen nach Ansicht Zimmermanns einen
Schlüssel zum Verständnis der Bedeutung dar, die die Küchenuhr in der
Geschichte besitzt: "Abgesehen von der mehrfachen Feststellung, dass
sie ›übriggeblieben‹, findet sich am häufigsten die Wiederholung dass sie um
halb drei stehengeblieben ist (fünfmal). Dann folgt – der Häufigkeit nach –
die damit unmittelbar zusammenhängende Aussage, daß der junge Mann ›immer‹
um diese Zeit nach Hause kam, daß die Mutter ihm ›immer‹ barfuß das
Abendbrot wärmte, daß er all das bisher für selbstverständlich hielt und daß
ihm diese Vergangenheit erst jetzt als das Paradies erscheint." (ebd.,
S.130)
Dass der junge Mann aus der
"Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit [...], mit der er die Zeichen der
mütterlichen Liebe als selbstverständlich hingenommen hatte", herauskommt,
liegt daran, dass die Uhr ausgerechnet beim Bombeneinschlag stehengeblieben
ist. "Die Uhr", fährt Zimmermann fort, die für die Angabe der 'normalen'
Zeit unbrauchbar geworden ist, vermag ihm gerade dadurch die Augen öffnen
für eine andere, höhere Wirklichkeit, die eben der gewohnte Ablauf der Zeit
verdeckt und die auch nicht mit dem Maß dieser Zeit zu messen ist. Die
rational-vordergründige Erklärung, daß die Ihr zur Zeit des Bombenabwurfs
stehengeblieben sei, lehnt der Mann darum auch ›überlegen‹ ab." (ebd.,
S.131)
Dass der junge Mann sein
Schicksal mit einer seltsamen Heiterkeit trage, lege zwar eine
naturalistisch-nihilistische Deutung nahe, die den jungen Mann an der
Schwelle zum ausbrechenden Wahnsinn sehe. Dies widerspreche aber dem
Symbolgehalt der Küchenuhr, weil sich "die Verwandlung vom Bild zum Sinnbild
(...) nur dort einstellen (kann), wo ein 'Sinn' waltet. Wenn aber dem jungen
Mann die äußerlich wertlose ›kaputte‹ Küchenuhr ›doch noch ganz wie immer‹
erscheint und wenn er zu dieser Uhr wie zu einem Menschen ›ins weißblaue
runde Gesicht‹ spricht: ›Jetzt, jetzt weiß ich, daß es das Paradies war. Das
richtige Paradies‹, dann wird hier mit den unscheinbaren, bescheidenen
Ausdrucksmitteln der Alltagssprache der höhere Wert des Bleibenden gegenüber
dem Vergänglichen, der Vorrang der übersinnlichen gegenüber der sinnlichen
Wirklichkeit bezeugt und das Paradies der Liebe auch dort und gerade dort
verkündet, wo äußerlich nur die Hölle der Zerstörung 'sinnlos waltet'.
Daher zieht
Zimmermann (1962,
S.132) den Schluss, dass die Küchenuhr nicht nur daran erinnere, welche
Liebe der junge Mann in der Vergangenheit erfahren habe. Mit ihrer Bedeutung
strahle sie auch in die Gegenwart, weil sie als geheimnisvolles Zeichen eine
"unmittelbar gegenwärtige Kraft" symbolisiere, die sogar den Schmerz über
den Verlust derer, die diese Liebe geschenkt hätten, vergessen mache.
So sei die Bedeutung der
Küchenuhr mehr als ein Erinnerungsstück oder ein
Dingsymbol.
Auch wenn sie äußerlich wertlos erscheinen mag, habe sie einen verborgenen
inneren Wert, der sie zu einer
Reliquie, einem
"Gegenstand von magischer Heilkraft' für den jungen Mann werden lasse und
für den Leser zu einer symbolischen
Chiffre
für den höheren Sinn der Geschichte.