Der deduktive Weg zu Verständlichkeitsdimensionen
Im Gegensatz zum induktiv-empirischen Ansatz des
Hamburger
Verständlichkeitskonzeptes hat
N.
Groeben (1972) den theoretisch-deduktiven Weg eingeschlagen und auf
der Basis verschiedener sprachpsychologischer, lerntheoretischer und
motivationspsychologischer Ansätze vier verschiedene Verständlichkeitsdimensionen
entwickelt. Sie stellen "in erster Linie zunächst einmal generelle
Richtlinien zur Erreichung optimaler Verständlichkeit bei der
Textproduktion dar. "(Christmann
u.a. 1999, S.182)
Davon abgeleitet ergeben sich bestimmte verständlichkeitsfördernde Elemente der Textgestaltung. Im
Konzept der Verständlichkeitsdimensionen kommt dem Kriterium der
kognitiven Strukturierung nach
Ansicht Groebens die größte Bedeutung bei der Herstellung von
Textverständlichkeit zu. (vgl.
ebd.)
Die besondere Leistung der kognitiven Strukturierung,
die sich auch in so genannten
Vorstrukturierungen zur Aktivierung von Vorwissen (z.B.
Lead in einem
Zeitungsartikel), oder in (vorgeschalteten)
Textzusammenfassungen (z. B.
Abstracts)
niederschlagen können, hilft vor allem dabei, Textinhalte in einer
hierarchisch-sequenziellen Art
und Weise zu arrangieren.
Dies geschieht z. B. dann, wenn wie z. B.
bei der schulischen
freien Sach- und Problemerörterung oft praktiziert, die Argumente nach dem
Prinzip vom Allgemeinen zum Besonderen oder auch umgekehrt angeordnet
werden. (▪
Reihenfolge
der Gliederungspunkte) Ebenso leisten
Textmuster,
die als Superstrukturen (van
Dijk 1980a) fungieren, einen großen Beitrag zur kognitiven
Strukturierung. Sie entlasten dabei zudem den
Schreibprozess
in seiner Planungsphase.
Weitere Ergebnisse des Forschungsansatzes
-
Die Dimension
der inhaltlichen bzw. kognitiven Strukturierung erwies sich in den
empirischen Untersuchungen als die eindeutig wichtigste. Sie
rangierte deutlich vor der stilistischen Einfachheit (vgl. dazu im
Gegensatz das
Hamburger
Verständlichkeitskonzept)
-
Semantische Redundanz nur in Kombination mit stilistischer
Einfachheit verständnisfördernd.
-
Inhaltliche, kognitive Strukturierung verbessert das Behalten von
Textinformationen, am besten in Kombination mit der Dimension des
kognitiven Konfliktes.
-
Eine mittlere Verständlichkeit - nicht die maximale! - ist
für Lernen mit Texten aus motivations- und
kognitionspsychologischen Gründen am besten.
(vgl.
Christmann
u.a. 1999, S.181)
Kritik an dem Verständlichkeitskonzept
Die Verständlichkeitsdimensionen wie auch die in
textimmanenten Verständlichkeitskriterien mündenden
Verständlichkeitsstrategien
des
Hamburger Verständlichkeitskonzepts (sprachliche
Einfachheit,
Kürze
/Redundanz,
Gliederung/Ordnung,
Motivationale
Stimulanz) berücksichtigen allerdings
die situativen Bedingungen, unter denen ein Text rezipiert wird, nicht.
-
Außerdem wird vernachlässigt, "dass die Verständlichkeit eines Textes nicht
ohne Einbezug des Rezipienten realisiert werden kann." (Fix
2006/2008, S.83)
-
Weiter wird gegen "die
pauschale Bevorzugung der Einfachheit" eingewendet, dass "(sich)
Beziehungen zwischen schwierigen Sachverhalten (...) z. B. nicht immer über
einfachste Sätze klarer ausdrücken (lassen) als in komplexen Satzgefügen." (ebd.)
-
Hinzukomme, so Fix (2006/2008,
S.83) weiter, dass die vier Dimensionen unterschiedliche sprachsystematische
Ebenen vermischten. Einfachheit sei schließlich ein Kriterium, das,
linguistisch gesehen, auf der Satz- und Wortebene angesiedelt sei, während
gliedernde Strukturen der Textebene zuzuordnen seien.
-
Aus diesem Grunde
plädiert er dafür, die Analyse der Verständlichkeit auf der "Makro-Ebene"
des gesamten Textes, wozu auch die äußere Darstellung gehöre, von der
Verständlichkeit "einzelne(r) Formulierungen auf der Satz- und Wortebene"
voneinander zu unterscheiden.
-
Dementsprechend hängt seiner Vorstellung nach
die Verständlichkeit einer Formulierung "von der Angemessenheit im
Hinblick auf die Voraussetzungen des Rezipienten (inhaltlich, sprachlich)
und der gewählten kommunikativen Funktion des Textes ab." (Hervorh. d.
Verf.)
Konsequenzen für die schulische Aufsatzerziehung bzw.
Schreibdidaktik
Aus der Kritik an den gängigen Verständlichkeitskonzepten ergeben sich für
Fix Konsequenzen für die schulische Aufsatzerziehung bzw.
▪
Schreibdidaktik,
die von rein textimmanenten Kriterien bei der Herstellung von
Verständlichkeit wegführt.
-
So hält er es im Rahmen eines prozessorientierten
Schreibkonzepts für "sinnvoll, mit Schülern Schreibziele und Textfunktionen
zu erarbeiten, indem nicht nur die eigene Absicht, sondern auch der
Rezeptionskontext geklärt und mögliche Adressaten antizipiert werden."
-
Zudem
könne ein Bewusstsein über Textsorten (Textmusterwissen)
dabei helfen und entsprechende Übungen zur Herstellung von Kohärenz auf
thematischer, struktureller und grammatischer Ebene seien dazu nötig.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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