Posts und Tweets als Wahlkampfmittel
Die ▪ Parteien in
Deutschland haben mehr und mehr erkannt, dass der ▪
Wahlkampf auch mit Hilfe von ▪
sozialen
Netzwerken geführt werden muss, wenn es darum geht, bestimmte
Zielgruppen zu erreichen und zu mobilisieren.
So wird ohne Ende "gepostet"
und "getwittert", um die eigenen netzaffinen Anhänger möglichst direkt
anzusprechen. Was der demokratische Präsidentschaftsbewerber »Barack
Obama (*1961) in seinem Wahlkampf 2004 vormachte und bei seiner
Wiederwahl 2013 erneut praktizieren ließ, hat längst auch in deutschen
Landen Wirkung gezeigt. Dabei hat die Internetnutzung in Wahlkämpfen der
USA schon eine lange Geschichte (Auflistung bei
Jungherr/Schoen 2013, S.72-75)
Und seitdem
»Donald Trump (*1946) 2017 sein Amt als Präsident der USA angetreten
hat, hält er seine Anhängerinnen und Anhänger mit einer Art
Dauerwahlkampf mobilisiert und nutzt dazu auch seine Tweets, mit denen
er Millionen von Followern manchmal mehrmals täglich mit seinen
"Nachrichten" versorgt.
Die wissenschaftlich verlässliche Datenlage über die politische
Internetnetzung in Deutschland ist dagegen wegen der sehr
unterschiedlichen Art und Weise der Nutzung der User und der
Innovationsgeschwindigkeit des Netzes noch vergleichsweise spärlich.
(vgl.
Jungherr/Schoen 2013, S.38f.)
Eine vom Institut für Demoskopie
durchgeführte Studie aus dem Jahr 2011 (Infosys-Studie 2011) ermittelte,
dass sich etwa 26 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren mehrmals in der
Woche über Politik im Netz informieren (Köcher
und Bruttel 2011, S.16, zit. n.
ebd., S.52). Insofern lässt sich sagen, dass das Internet ist "eine
durchaus wichtige Quelle für politische Informationen" darstellt und
zwar zunehmend auch auf Augenhöhe mit dem Fernsehen (ebd.,
S.52) Dahinter steht wohl ein gänzlich anderes Informationsverhalten,
die sich als Information auf Knopfdruck darstellt. Politische
Informationen werden von knapp der Hälfte der Internetnutzer inzwischen
erst dann abgerufen, wenn sie in bestimmtes Thema oder Ereignis wirklich
interessiert. Das Informationsverhalten insgesamt wird dadurch "stärker
interessens- und ereignisgetrieben" und ist nicht mehr so sehr von
festen Gewohnheiten, wie z. B. beim Fernsehen, geprägt. (vgl.
Köcher und Bruttel 2011, S.16, zit. n.
ebd.,
S.54) ▪ Online-Partizipationsformen
spielen indessen, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, noch keine größere
Rolle.
Die Bundestagswahl 2013
Schon bei den Bundestagswahlen 2009 richtete man
in den parteizentralen den Blick auf die Methoden des »viralen
Marketings und hat die Anstrengungen in diesem Bereich für die
»Bundestagswahl
2013 erhöht. Die neuen Kommunikationskulturen stellen dabei
neue Herausforderungen dar.
Für die Wahlkampfstrategen der Parteien ist dabei klar, dass die Wahlen,
zumindest noch nicht, im Internet entschieden werden. Das hat allein
schon demographische Gründe. Was heute "Masse macht" unter den
Wählerinnen und Wählern sind eben nicht primär die jungen netzaffinen
Wahlberechtigten, sondern Altersgruppen, für die die
E-Mail-Kommunikation vielleicht inzwischen eine gewissen Normalität
erlangt hat, die aber den translokalen Kommunikationskulturen in
sozialen Netzwerken heute noch fern stehen. Schließt man allerdings die
mittlerweile schon als traditionell zu bezeichnende E-Mail-Kommunikation
ein, dann ist die Reichweite sicherlich noch größer, auch wenn man
berücksichtigt, dass ältere Internetnutzerinnen wahrscheinlich nicht
unbedingt dazu neigen, Newsletter zu abonnieren oder ihre E-Mail-Adresse
auf einer Internetseite einer Partei zu hinterlassen, sofern sie nicht
echte Anhänger der jeweiligen Partei sind.
In den neuen Kommunikationskanälen zielen die Parteien auch nicht nur
auf die eigene Anhängerschaft. Gerade die Nutzerinnen und Nutzer
sozialer Netzwerke, die weder ein Parteibuch besitzen oder zur
Stammwählerschaft der jeweiligen Partei zählen, haben für die Parteien
besonderes Gewicht. Der Netzwerkeffekt führt nämlich gerade bei diesen
dazu, dass damit bisher kaum erreichte Wählerinnen und Wähler direkt
angesprochen werden können. So wird der "Schwarm" der "Liker" immer
größer und, was seine Angehörigen jeweils für (politisch) gut und
richtig halten, wird zudem mit dem ganzen persönlichen Gewicht des
jeweiligen "Likers" in die Wagschale geworfen. Und vor allem, darauf hat
der Mediensoziologe »Jan-Hinrik
Schmidt (twitter) hingewiesen, beobachten die Parteien in den
sozialen Netzwerken "die Alltagskommunikation der Menschen und
versuchen, in sie einzudringen" (zit. n.
Krause 2013)
Ganz unabhängig davon eignet sich das Internet in ganz außerordentlicher
Weise dafür, Wahlkampfaktionen zu organisieren und zu koordinieren.
Insbesondere aber kann man die Reichweite der Online-Kampagnen präzise
erfassen. So kann ganz leicht ermittelt werden, wie viele Nutzer/-innen
die Seiten aufrufen, wie lange sie auf der Webseite bleiben, welche
Beiträge von ihnen angeklickt werden, woher sie auf die Internetseite
gelangen, wo sie die Seite wieder verlassen ...etc. Und sie können sich
natürlich leicht einen Überblick darüber verschaffen, was in den
sozialen Netzwerken gerade diskutiert wird. Auch wenn viel mehr aufgrund
der deutschen Datenschutzregelungen rechtlich nicht gestattet ist, zeigt
die Praxis in den USA wohin es ganz leicht gehen kann. Denn »Barack
Obamas (*1961) Kampagnenteam konnte mit Browser-Cookies persönliche
Daten von rund 200 Millionen Bürgern sammeln und für die direkte
Kommunikation mit ihnen nutzen. Zum Einsatz kam dabei "auch eine
Handy-App, die den lokalen Wahlkämpfern verriet, in welchem Haus
potenzielle Wähler wohnen." (Krause
2013)
Alles in allem gibt es aber bei der Nutzung des Internets für den
Wahlkampf noch genügend Luft nach oben, denn außer den Piraten nutzen
wohl nur die Grünen, allerdings in geringerem Umfang, die partizipativen
Möglichkeiten, die das soziale Netz bieten. Auf den Seiten der beiden
Parteien können z. B. Kommentare zu bestimmten Beiträgen gepostet
werden, und zwar ohne dass man "vorher einen Account mit einem Klarnamen
einrichten muss" (ebd.) Für die Piraten ist
der Internetwahlkampf absolut selbstverständlich, weil sie aufgrund
ihrer dezentralen Struktur ohnehin auf die Online-Interaktion der
Mitglieder untereinander setzen.
SPD
(Sozialdemokratische Partei Deutschlands)
Die ▪SPD
hat auf der »Webseite der
Bundespartei (»Wahlkampf
virtuell) im Zusammenhang mit der »Bundestagswahl
2013 über den Umfang ihrer in sozialen Netzwerken erreichten
Kommunikationspartner - darunter sind natürlich nicht nur Anhänger -
ausgeführt (Stand 30. Juli 2013), dass ein erfolgreicher "Wahlkampf ohne
das Internet (...) schlichtweg nicht mehr möglich (ist)." Das Internet
biete die Chance vor allem Jung- und Erstwähler
anzusprechen. Aus diesem
Grund habe die SPD ihre Aktivitäten verstärkt und "im Internet eigene
Kanäle aufgebaut, die eine große Reichweite erzielen". Nach SPD-Angaben
habe die Facebook-Seite der
Partei - Stand 30.7.2013 - 41.000 Fans und stehe damit an
erster Stelle der Bundestagsparteien. Die Reichweite der
Facebook-Aktivitäten der Partei gehen dabei nach Angaben der SPD weit
über diese 41.000 "Fans" hinaus. Mit der viralen Verbreitung hätten
"einzelne
auf Facebook gepostete Motive bereits mehr als 600.000 Facebook-Nutzer
erreicht". Was da mit gemeint ist, ist allerdings nicht näher
ausgeführt. Natürlich sind auch der SPD-Kanzlerkandidat 2013
»Peer
Steinbrück (seit 2010) und der Parteivorsitzende
»Sigmar Gabriel mit eigenen Facebook-Accounts aktiv. Auf der
Facebook-Seite von
»Peer Steinbrück
(*1947) wurden Mitte August 2013 genau 27.195 "Gefällt
mir"-Angaben ausgewiesen und 5.044 User, die darüber sprechen.
(Stand:13.8.2013). Für den SPD-Vorsitzenden »Sigmar
Gabriel (*1959) finden sich zum gleichen Zeitpunkt 17.086
"Likes" und 2.932 Konversationen. Was der
»SPD-Parteivorstand
"twittert", erreicht 37.306 Follower,
bei
»Peer
Steinbrück
sind es 41.019, bei
»Sigmar Gabriel
30.432 Follower (Stand: 11.8.2013). Aber auch die
Bloggerszene wird bedient. Mit dem
"schwarzgelblog – wir sehen jede „Merkelei!",
den die Online-Redaktion
der SPD betreibt, soll die Politik von der schwarz-gelben Koalition auf
den Prüfstand gestellt und "entlarvt" werden. Der von der Partei
eingerichtete
»SPD-YouTube-Kanal:
SPD:vision
hat Mitte August 3.854 Abonnenten und 691 Videos. Wer den Suchbegriff
"SPD" in das YouTube-Suchfeld eingibt, erhält etwa 666.000 (!)
Ergebnisse, die allerdings von ganz unterschiedlicher Qualität sind und
mit dem Suchbegriff "verschlagwortet" sind.
Das Rezo-YouTube-Video "Die Zerstörung der CDU" (2019)
Am 8. Mai 2019 stellte 26-Jährige "Rezo", einer der erfolgreichsten
deutschen YouTuber, dessen sonstige Videos von Klamauk bis Politik
mindestens 1,6 Millionen Menschen regelmäßig anschauten, ein über 55
Minuten langes Video mit dem Titel ▪
"Jetzt reicht's - Die Zerstörung der CDU" ins Netz.
Darin nimmt er die CDU regelrecht mit einer populär-krawalligen und
zum Teil auch prolligen Sprache regelrecht auseinander. Er will zeigen,
wie die CDU grundlegend auf allen wichtigen Politikfeldern versagt.
Exemplarisch führt es sie mit Quellen vor, die dieses Totalversagen vor
allem in der Klimapolitik, bei sozialen Fragen, der Friedens-, Bildungs-
und Netzpolitik zeigen sollen.
Die CDU unterschätzte die Wirkung des Videos, das bis heute (Janur
2020) weit über 16 Mio. mal angeklickt worden ist zunächst
grundlegend und reagierte erst vier Tage, nachdem schon über eine
Million Menschen das Video angesehen hatten, mit einer offiziellen
Stellungnahme.
Die wenigen Antworten, die einzelne Abgeordnete der Partei bis dahin
dazu getwittert hatten, beschränkten sich darauf, dem YouTuber
"Populismus" vorzuwerfen, von "Fake News" zu sprechen und ihn als
Produzent einer "Meinungsdiktatur" hinzustellen. Ihr Grundfehler:
Sie behandelten Rezo wie einen rechtsradikalen Politiker, der der
AfD-angehört und striten ab, dass er ein Teil der Jugendkultur
darstellt.
Das Beispiel zeigt, dass mit den Mitteln, die das Internet
bereitstellt, es sogar gelingen kann, eine große Volkspartei vor sich
herzutreiben, die es nicht versteht, in den Formaten der neuen digitalen
Welt zu agieren.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.01.2020
|