Text 1:
Die Funktion
der Versform
Hansjürgen Popp (1995)Selbstverständlich ist für das klassische
Drama die Bindung an den Vers. Die Sprache hat das manchmal forciert
Originale, die genialische Maßlosigkeit des Sturm und Drangs abgelegt; die
Sprache des klassischen Dramas bleibt "gebändigt" auch noch in stark
emotionalen Szenen wie der
Begegnung der Königinnen. Die Neigung zu "zitatverdächtigen" Sentenzen
verweist auf das Streben des klassischen Textes nach Beispielhaftigkeit
und Allgemeinverbindlichkeit.
(aus:
Popp 2001, S. 104)
Text 2:
Theatralischer Stil
Melitta Gerhard (1950)
Wie der Aufbau des Werkes, so verrät auch seine Sprache diese teilweise
Herkunft aus dem Willen zur theatralischen Wirkung. War es Schiller im
Wallenstein auf weite Strecken gelungen, die Neigung seines Stils zum
Rhetorischen zu dämpfen, so tritt dieser Zug in der Maria Stuart wieder
stark hervor. Er zeigt sich etwa in der in diesem Drama besonders
vorherrschenden antithetischen Zuspitzung des Dialogs. Diese verschärft
und unterscheidet den Gegensatz und den Zusammenprall der Meinungen und
erhöht damit den Eindruck solcher Szenen auf der Bühne. [...] Die
gereimten Verszeilen, die Schiller im Allgemeinen nach dem Vorbild
Shakespeares, dem er sie entnimmt, nur am Ende der Szene verwendet, finden
sich in Maria Stuart häufig auch mitten im Dialog, so besonders im
fünften Akt oder in der
Mortimer-Szene des dritten Aktes. Führen sie eine gewisse Steigerung
des Tones herbei, so wirkt doch auch diese zumeist als rhetorischer
Redeschmuck, denn als unmittelbarer, gemäßer Gefühlsausdruck. Die
Abweichung der gereimten Strophen mit wechselnden Rhythmen am
Beginn des dritten Aktes von dem übrigen
Versmaß will den hoffenden Überschwang von Marias Empfinden bezeichnen
[...]. Aber sie sind nicht Widerklang seelischer Schwingung [...], sondern
erscheinen als ein ohne innere Notwendigkeit willkürlich eingefügtes
Mittel theatralischer Wirkung und Belebung. Höchstens die
Abendmahlsszene entspricht der freilich auch hier ziemlich regellos
auftauchende Reim in der Tat einem Wandel des Gefühls, gibt die
Sprachgestalt etwas von der lithurgischen Feier und kultischen Bindung,
die die Szene versinnbildlichen will.
(aus:
Melitta Gerhard (1950, zit. n.
Ibel 1981, S.46)
Text 3
Rhetorisierung der Sprache
Gert Sautermeister (1979)
Die Personen reden nicht, sondern halten Reden, argumentieren nicht,
sondern schmücken Argumente aus, bekämpfen einander nicht, sondern führen
die Waffen der
Rhetorik ins Feld: die Wiederholung, die Variation, den Parallelismus,
die Steigerung, die
Sentenz. Die [...] Intellektualität des Dramas von rhetorischer
Pracht, die im Bunde mit der üppigen Bildsprache den Streitgesprächen
Sinnlichkeit verleiht. Die Streitenden ziselieren ihre Reden für ein Forum
– das Theaterpublikum wird zur richtenden Öffentlichkeit, die "Redekunst"
von Kläger und Angeklagten (z. B.
Burleigh versus Maria Stuart), Kläger und Verteidiger (z. B.
Burleigh versus Shrewsbury) beiwohnt. Der prozessuale Charakter
zahlreicher Auftritte gestattet es den Personen, die Logik ihrer
Argumentation mit plastischer Anschaulichkeit zu Gehör zu bringen.
(aus:
Sautermeister 1979, S. 292, zit. n.
Popp 2001, S. 97)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023