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Wer nach dem Lesen eines
(verständlichen)
Textes sagen kann, was er gerade gelesen hat, tut dies im Allgemeinen
ohne Wiederverwendung der im Text benutzten grammatischen Strukturen. Und
häufig erfolgt diese Reproduktion der Textinformationen auch mit einem
anderen Wortschatz oder wie man sagt: mit "eigenen" bzw.
"anderen" Worten.
Wenn wir uns also an einen Text bzw. die Textinformation erinnern, spielt
die ursprüngliche sprachliche Form - sieht man einmal vom Auswendiglernen
eines Gedichtes, dem Vortrag eines
Zitates
o. ä. ab - nur noch eine geringe Rolle. Somit
ist die Textoberflächenstruktur für den Vorgang des Texterinnerns kaum
wichtig.
Textoberflächenstruktur beeinflusst
Tempo und Art des Textverstehens
Und trotzdem: In den Begriffen der
Textlinguistik
gesprochen, hat diese
Textoberflächenstruktur
mit ihren Verknüpfungsmitteln (Kohäsionsmitteln)
doch eine wichtige Bedeutung. Sie beeinflusst eben sehr, ob ein Text schnell oder langsam, leicht
oder schwer zu verstehen ist.
Für die Herstellung eines
kohärenten
bzw. konsistenten
Textverständnisses ist aber eher die
Texttiefenstruktur
eines Textes entscheidend.
Experimente geben Aufschluss
Was auf den ersten Blick so unmittelbar einleuchtend erscheint, ist das
Ergebnis verschiedener Experimente, bei denen man die vergleichsweise
geringe Bedeutung der Textoberflächenstruktur nachgewiesen hat:
- Versuchpersonen können, wenn man ihnen unter Sätze, die gerade
gelesen worden sind, anders strukturierte, aber inhaltlich
gleichbedeutende Sätze "unterjubelt", die
"Originalsätze" nicht mehr herausfinden.
- Versuchspersonen behaupten nach der Lektüre eines Textes, dass
bestimmte Informationen im Text explizit gegeben worden seien, obwohl
sie sie in Wahrheit selbst erschlossen hatten. (vgl. im Film:
Kuleschow-Effekt) (vgl.
Linke
u. a. 1994, S.354f.)
Diese und ähnliche Experimente deuten daher darauf hin, "dass der
Prozess der Wort- bzw. Strukturerkennung, wenn er abgeschlossen ist, einen
Übergang von sprachlich kodierter Information zu einer anderen Form
von Kodierung ermöglicht, die dann in der Erinnerung gespeichert,
abgerufen und zur Grundlage neuer sprachlicher Formulierungen gemacht
werden kann. Die sprachliche Form der Nachricht wird sehr rasch vergessen
[...]. Gespeichert wird die Information, und zwar in einem »kognitiven
Kode«. Dieser ist kaum gänzlich sprachunabhängig, aber weitgehend nicht
an die Strukturen und Wortformen der Sprache gebunden." (Linke
u. a. 1994, S.356) Also:
Sprachlich kodierte Informationen werden
neu kodiert.
Diese Zusammenhänge lassen sich insbesondere an dem textorientierten,
propositionalen Modell des Textverstehens
von Walter
Kintsch (1974) aufzeigen. Vgl. auch:
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