Angststörungen können zahlreiche Ursachen haben
Warum viele Menschen unter ▪
Angsterkrankungen bzw. Angststörungen leiden, kann viele Ursachen haben.
Was die Forschung dazu zu sagen hat, hängt von der jeweiligen Perspektive
ab, mit der sie sich dem Phänomen nähert. Dementsprechend geht die
Ursachenforschung auch unterschiedliche Wege.
Ihre wichtigsten Ansätze und Modelle sind:
(vgl.
Zimbardo/Gerrig 2004, S. 656)
Meistens sind es mehrere Faktoren, die zur Entstehung einer
Angststörung führen
Warum Angststörungen entstehen, kann meistens nicht monokausal auf eine
einzige Ursache zurückgeführt werden. Stattdessen sind daran meistens
mehrere verschiedene Faktoren bzw. Vulnerabilitäten (Verletzlichkeiten)
beteiligt.
Diese Faktoren lassen sich als biologische, psychische und soziale
Faktoren voneinander unterscheiden. Meisten kommen noch aktuelle Belastungen
hinzu wie z. B. schwerwiegende Ereignisse im Leben, oft auch eine anhaltende
Überforderung. Kommen die ursächlichen Faktoren und solche Belastungen
zusammen, kann dies zu einer Angsterkrankung führen.
Wie diese Faktoren in einem Vulnerabilitäts-Stress-Modell zusammenwirken,
zeigt das
Strukturbild, das die »Deutsche
Angstselbsthilfe (DASH) in ihren »Materialien
zum Pressegespräch am 9. Juli 2018 im Münchner Presseclub vorgelegt hat:
Die Ursachen im Einzelnen
Lange Zeit konkurrierten die verschiedenen Ansätze der
Ursachenforschung für Ängste so miteinander, dass wenig
Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Forschungsrichtungen
erkennbar waren.
Dabei standen sich lange ▪
(neuro)biologische, ▪
behavioristische und ▪
kognitive
Ansätze auf der einen und ▪
psychodynamische Ansätze auf der anderen Seite vergleichsweise
unversöhnlich gegenüber. Dies scheint heute einigermaßen überwunden
zu sein.
Ängstliche Personen - Der biologische Ansatz
Dass wir überhaupt Angst empfinden können, scheint mit unseren
Erbanlagen zusammenzuhängen. So hat ein Forscherteam um »Gleb
P. Shumyatsky an der »Rutgers
University in »Piscataway,
(»New
Jersey) 2005 in Experimenten mit Mäusen herausgefunden, dass ein
bestimmtes Gen mit der Bezeichnung Stathmin
die angeborene und erlernte Angst steuert, uns also eher zu
"Angsthasen" oder zu Draufgängern machen könnte. (vgl.
Silbermann
2008,
Shumyatsky u. a. (2005): stathmin, a Gene Enriched in the Amygdala,
Controls Both Learned and Innate Fear )
Zudem scheint es, das haben u. a. Forschungen mit eineiigen
Zwillingen ergeben (vgl.
Zimbardo/Gerrig 2004,
S.672-675), auch angeborene Faktoren zu geben, "die die Entstehung einer
Angstkrankheit begünstigen können. So gibt es Menschen mit
angeborener Ängstlichkeit,
d.h. der Neigung, schneller und stärker mit Angst/Erregung zu
reagieren. Oder Menschen haben eine angeborene Verhaltenshemmung,
d.h. die Neigung, Neuem mit Unbehagen zu begegnen und sich
zurückzuziehen." (Deutsche
Angstselbsthilfe (DASH) 2018, S.10)
Ängste lernen - Der Ansatz von Behaviorismus und Kognitivismus
Gemeinsame Überzeugung von
Behaviorismus und
Kognitivismus
ist, dass Ängste erlernt werden.
Dabei ist die Angst als eine Reaktion auf einen bestimmten Reiz
zu verstehen, wobei egal ist, ob ihr eine unmittelbare Erfahrung
oder sie "nur im Kopf" entsteht, weil man sich bestimmte Angst
erzeugende Denkmuster zu eigen macht.
Eine Angststörung entsteht, wenn Situationen und Erfahrungen in
unangemessener Weise gefährlicher eingeschätzt werden, als sie in
der Realität wirklich sind.
Betroffene begehen dabei typische "Denkfehler".
Sie
-
überschätzen
Gefahren
-
unterschätzen
ihre eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen
-
neigen zu
Katastrophendenken und einer Art Dauerpessimismus (das
Schlimmste wird passieren)
-
folgen einem
strikten Entweder-Oder-Denken (entweder bin ich perfekt oder der
totale Versager) (vgl.
ebd.)
Alles zusammen endet meistens in einem »Teufelskreis
(lat. auch: circulus vitiosus), in dem alle Symptome der Krankheit
(z. B. Schwindel, Herzklopfen, Atmung, Konzentrationsprobleme)
ständig weiter verstärkt werden und der zu einer ausgeprägten
Erwartungsangst (= Angst vor der Angst, antizipatorische
Angst)führen kann. So reicht z. B. bei
Panikstörungen
oft einfach aus, dass man eine »Panikattacke
erwartet, um die Panikattacke
auszulösen. Das funktioniert wie bei einer
»selbsterfüllenden Prophezeiung.
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Angst als Reaktion auf innere Konflikte - Der psychodynamische
Ansatz
Der psychodynamische Ansatz der Tiefenpsychologie und die
Psychoanalyse im Sinne der Theorien von Sigmund Freud gehen dagegen von der Annahme aus,
dass verborgene psychische Konflikte oder Ängste die Ursache für die
Symptome von Angststörungen sind und dass Angstsymptome den
Betroffenen vor psychischem Leid bewahren sollen. »Panikattacken
werden so verstanden als plötzlicher Einbruch von ▪
unbewussten Konflikten
ins
▪
Bewusstsein.
In der Tiefenpsychologie ist Angst "das Resultat widersprechender
Ziele innerhalb einer Person. Zentral ist der Konflikt zwischen
Autonomie und Abhängigkeit. Der Mensch, besonders das Kleinkind ist,
das abhängigste aller Lebewesen, das ohne den Schutz und die
materielle Versorgung durch die Umwelt nicht überleben könnte. Das
Verlassenwerden ist daher die Urangst des Menschen. Zugleich strebt
er aber nach Autonomie und Selbstbestimmung, will sich den Eltern,
den Bezugspersonen nicht bedingungslos unterwerfen. Das ist die
Angst vor dem Ich-Verlust. Wenn diese Ziele nicht beide in
angemessener Weise erfüllt werden können, sondern das eine nur zu
Lasten des anderen realisiert werden kann, entsteht Angst. Diese
Angst wird (tiefenpsychologisch gesehen) ist Unbewusste verdrängt,
verschiebt sich auf andere Objekte und manifestiert sich als
Angststörung." (Deutsche
Angstselbsthilfe (DASH) 2018, S.10)
Angst als Auswirkung von unsicherer frühkindlicher Bindung an die
Mutter
Ob jemand dazu neigt, im Lauf seines Lebens Angststörungen zu
entwickeln, hängt auch von sozialen Faktoren ab.
Einer dieser Faktoren besteht in der »Qualität
der frühkindlichen Bindung des Kleinkindes an seine Mutter. Sie
hat maßgeblichen Einfluss darauf, "wie man später die Welt sieht:
als sicher und geordnet und daher bewältigbar, oder als unsicher und
chaotisch und daher gefährlich." (ebd.)
Erleben Kinder die Bindung zu ihrer Mutter als »sicher,
zeigen sie "später adäquateres Sozialverhalten im Kindergarten und
in der Schule, mehr Phantasie und positive »Affekte
beim freien Spiel, größere und längere Aufmerksamkeit, höheres »Selbstwertgefühl
und weniger »depressive
Symptome." (Wikipedia,
11.06.2019) Häufig sind sie auch für neue Sozialkontakte offener
und aufgeschlossener als Kinder mit problematischen
Bindungserfahrungen, wofür es sogar »neurobiologische
Befunde gibt.
»Unsicher-vermeidende,
»unsicher-ambivalente
oder »desorganisierte
bzw. desorientierte Bindung zeigen sich, je nach Art dieser
Bindungserfahrungen,
-
in einer Art "Pseudounabhängigkeit" von
der Bezugsperson,
-
in einem eher "auffällige(n)
Kontakt-Vermeidungsverhalten"
-
in
widersprüchlich-anhänglichem Verhalten gegenüber der
Bezugsperson
-
in irgendwie "bizarre(n)
Verhaltensweisen wie Erstarren, Im-Kreis-Drehen, Schaukeln und
andere(n) stereotype Bewegungen sowie völlige(r)
Emotionslosigkeit." (ebd.)
Angst als Folge von Erziehungsstilen
Die Entstehung von ⁞Angststörungen kann schließlich auch mit dem »Erziehungsstil
zusammenhängen, den Kinder und Jugendliche im Elternhaus anhand
elterlicher Einstellungen und elterlicher Verhaltensweisen erfahren.
Dabei ist sicher unumstritten, dass die Art der Erziehung, die
man erfährt, " erheblichen Einfluss darauf (hat), wie man sich
selbst als Person sieht: als kompetent und selbstwirksam oder als
ängstlich und defizitär." (Deutsche
Angstselbsthilfe (DASH) 2018, S.10)
Allerdings sollte man gerade bei diesem Faktor berücksichtigen, dass
auch Kinder nicht nur passive "Erziehungsobjekte" sind, sondern auch
selbst, z. B. mit ihren besonderen »Persönlichkeitsmerkmalen,
den Erziehungsstil ihrer Eltern aktiv mitbeeinflussen können.
Und
auch mit Vorbehalten gegenüber »autoritativen
(»≠
autoritären) Erziehungsstilen, sollte aufgeräumt werden:
"Kinder autoritativer Eltern zeigen bessere Schulleistungen und
verfügen über bessere emotionale Kompetenzen und soziale
Kompetenzen. Kinder von Eltern mit autoritären, permissiven oder
uninvolvierten E. weisen häufiger schlechte Schulleistungen,
Verhaltensprobleme und einen geringen Selbstwert (Selbstwertgefühl)
auf (Maccoby 2007; Parke & Buriel 2006) (Ziehm,
J., Trommsdorff, G. & Albert, I. (2019). Erziehungsstile)
Christine Saemisch (2012) hat in ihrer Dissertation die
zweidimensionale Klassifikation der Erziehungsstile im Anschluss an
Maccoby und Martin (1983) sowie Hock (2008) wie folgt modifiziert
und unter Berücksichtigung der Dimensionen elterlicher Erziehung
"hohe vs. niedrig ausgeprägte Forderungen/Kontrolle und hohe vs.
niedrig ausgeprägte (emotionale) Responsivität/Unterstützung" die
vier Erziehungsstiltypen klar herausgearbeitet:
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»Responsivität
bedeutet in diesem Zusammenhang, "die Bereitschaft vor allem von
Eltern, auf Interaktions- und Kommunikationsversuche eines Kindes
einzugehen. In der autoritären Erziehung sind Eltern wenig responsiv,
gehen also kaum feinfühlig auf ihre Kinder ein, und wirken der
Individualität und Selbstständigkeit ihrer Kinder entgegen. Als
Responsivität bezeichnet man daher die Abstimmung von kindlichen
Bedürfnissen und elterlichen Reaktionen. [...] Responsivität und
Anforderung gelten als günstige Voraussetzung für eine positive
kindliche Selbstwertentwicklung." (aus: Stangl, W. (2019).
Stichwort: 'Responsivität'. Online Lexikon für Psychologie
und Pädagogik.
WWW:
https://lexikon.stangl.eu/7470/responsivitaet/ (2019-06-11)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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