Wer sich schon einmal - anscheinend ohne Grund - ängstlich oder depressiv
gefühlt hat, seine Sorgen im Alkohol zu ertränken versucht hat oder gar in
seiner Not Gedanken an den Selbstmord nicht mehr so leicht loswerden konnte,
weiß aus eigener Erfahrung, was eine
psychische Störung ist.
Allerdings ist nicht jedes, auch über längere Zeit schwer zu
bewältigende seelische Problem eine psychische Störung. Wer z.
B. einen geliebten Menschen verliert, kann lange Zeit brauchen, bis
er den Verlust überwindet. Das Gleiche gilt auch für andere
Reaktionen auf eher übliche Problemlagen und Stressoren, die einem
zu schaffen machen.
Insbesondere aber ist jemand der politisch anderer Ansicht ist, anderen
religiösen Überzeugungen folgt oder seine Sexualität anders auslebt als die
Mehrheit, nicht irgendwie "gestört", auch wenn wir mit dem Begriff in der
Alltagssprache oft recht leichtfertig umgehen.
Andererseits haben aber auch viele Betroffene keine Ahnung, was mit ihnen
los ist, auch wenn sie längst auch unter den möglichen physischen und
psychosozialen Folgen ihrer seelischen Krankheit leiden.
Dies alles und die Tatsache, dass viele Betroffene keine Hilfe bekommen,
machen psychische Störungen immer auch zu einem gesellschaftlichen Problem.
Wer unter psychischen Störungen leidet, ist meist an Leib und Seele
krank
Sie
-
beeinträchtigt uns in unseren Emotionen
-
bestimmt unser Verhalten
-
greift in unsere Denkprozesse ein
-
nimmt uns
damit nicht selten auch die Kraft und Möglichkeit gesteckte Ziele zu
erreichen
Heutzutage ist Menschen,
die unter psychischen Störungen zu leiden haben, sehr groß. Ob ihre
Zahl, insbesondere in Deutschland zunimmt oder stagniert, ist umstritten
und kann an dieser Stelle nicht nachvollzogen werden. Wer sich
informieren will, findet dazu im Internet reichlich Material.
»Serie:
Psychisch krank auf ZEIT online
In Deutschland zählen
jedenfalls psychische Erkrankungen nach HerzKreislaufErkrankungen, Krebs
und Erkrankungen der Muskeln und des Skeletts zu den vier Hauptursachen für
den Verlust gesunder Lebensjahre.
Das besagen statistische
Daten, bei denen "die Beeinträchtigung des normalen, beschwerdefreien Lebens
durch eine Krankheit, erfasst wird. Mit diesem Maß werden nicht nur
verlorene Lebensjahre durch verfrühten Tod, sondern auch subjektive
Belastung und Beeinträchtigung einbezogen." (Dossier:
Psychische Erkrankungen in Deutschland 2018, S.19) Und: wer schwer
psychisch krank ist, hat eine deutlich geringere Lebenserwartung, die von
Fachleuten auf 1 bis 32 Jahre geschätzt wird. (vgl.
ebd.)
Statistische Indikatoren für
den Umfang psychischer Erkrankungen liefert auch die
Gesundheitsberichterstattung der Krankenkassen. Sie zeigt, dass
Krankschreibungen aufgrund psychischer Diagnosen vor allem seit dem Jahr
2006 kontinuierlich ansteigen. Dabei nehmen inzwischen die psychisch
bedingten Fehlzeiten von Berufstätigen auffällig zu.
Der Begriff: Psychische Störung
Eine »allgemein
anerkannte Definition des Begriff Psychische Störungen
gibt es nicht. Und welche Verhaltensweisen und Figuren wir im
Alltag mitunter als "gestört" bezeichnen, hat mit dem Begriff nicht
das Geringste zu tun.
Hier werden ganz allgemein unter psychischen Störungen zunächst
einmal behandlungsbedürftige seelische Leiden verstanden. In der
Medizin und Psychiatrie spricht man eher von psychischer Krankheit.
(vgl. Wirtz, M. (2019). Psychische Störung. In M. A. Wirtz (Hrsg.),
Dorsch – Lexikon der Psychologie. Abgerufen am 09.06.2019, von
https://portal.hogrefe.com/dorsch/psychische-stoerung-1/
In der klinischen Psychologie, die sich "mit dem Verständnis der
Grundlagen geistiger, emotionaler oder verhaltensbezogener Störungen
beschäftigt" (Zimbardo/Gerrig
2004, S. 653) können ▪ psychische Störungen als abweichendes
Verhalten beschrieben werden, das mit sieben Kriterien charakterisiert werden kann.
(vgl.
Zimbardo/Gerrig 2004, S.
653f.)
Die verschiedenen Formen psychischer Störungen werden nach
bestimmten Kriterien klassifiziert.
Psychische Störungen -
ein Seitenblick auf den Markt
Schon immer hat sich die
belletristische Literatur mit Figuren beschäftigt, die psychische Probleme
oder unter ausgeprägten seelischen Krankheiten zu leiden haben. Und auch
auch die Gegenwartsliteratur hat sich des Themas auf vielfältige Weise
angenommen.
Viele Leserinnen und Leser
wollen offenbar über literarische Gestaltungen des Themas mehr über Ursachen
und Auswirkungen psychischer Störungen erfahren und erhoffen sich damit wohl
auch oft Hilfe bei der Bewältigung des eigenen seelischen Leidens.
Dementsprechend groß ist das
Angebot vor allem an ◊ Romanen, die psychische Erkrankungen zum Thema haben
und Ratgeber in Buchform füllen Regale.
Dennoch: Der Markt und die
Nachfrage nach belletristischer Literatur und Ratgeberliteratur zum Thema
sagt natürlich nur wenig aus über die Anzahl derer, die hierzulande
wirklich psychisch krank sind.
Dabei kann einen schon das
existimatorische, weil den ganzen Sachverhalt psychischer Erkrankungen quasi
als Äußerung zur Äußerung einschätzende Adjektiv "wirklich" (vgl.
Engel 1996,
S.226ff.) im Umfeld der "Wohlfühldiktatur", wie »Amelie
Fried das zuspitzt, bereits in die Bredouille bringen.
Trotzdem auch der kritische
Fingerzeig auf einen Markt, auf dem sich auch "psychotherapeutische
Krankheitserfinder" tummeln, "die mit immer aberwitzigeren Kreationen eine
ganze Gesellschaft mit System erst durchpsychologisieren und dann
psychopathologisieren" (Burkhard
Voß, 2018), kann nicht verhehlen, dass es eine sehr große Anzahl von
Menschen gibt, die in unterschiedlichem Maße mit psychischen Problemen zu
kämpfen haben oder seelisch krank sind.
Statistische Indikatoren für
den Umfang psychischer Erkrankungen liefert auch die
Gesundheitsberichterstattung der Krankenkassen. Sie zeigt, dass
Krankschreibungen aufgrund psychischer Diagnosen vor allem seit dem Jahr
2006 kontinuierlich ansteigen. Dabei nehmen inzwischen die psychisch
bedingten Fehlzeiten von Berufstätigen auffällig zu.
Abweichendes Verhalten - eine problematische Kategorie
So nötig es ist, dass sich die klinische Psychologie um eine
möglichst objektive Beschreibung abweichenden Verhaltens bemüht, so nötig
ist es allerdings auch zu betonen, dass die Beurteilung psychischer Gesundheit und
psychischer Krankheit, die sie dabei jeweils vornimmt, stets selbst von
ihrer eigenen Forschungsperspektive bestimmt ist. Was normal und was
abnormal gilt, ist stets ein (gesellschaftliches) Konstrukt. In der Geschichte hat die Festlegung dessen, was als abweichendes oder
abnormales Verhalten jeweils festgelegt worden ist, stets eine große Rolle
bei der Ausübung von Herrschaft und ihrer Legitimation gespielt. Um die
Sklaverei zu festigen, schrieb man z. B. im 19. Jahrhundert den schwarzen
Sklaven eine Sinneskrankheit zu, die sie angeblich unempfindlich gegen die
Peitschenhiebe ihrer Besitzer machten. Und um zu rechtfertigen, dass
entflohene Sklaven in jedem Fall wieder einzufangen seien, unterstellte man
Sklaven einen krankhaften Wahn nach Freiheit. Solcher Rassismus führte
insbesondere auch im deutschen Nationalsozialismus mit seinen Rassegesetzen,
aber auch in anderen Diktaturen dazu, politische Gegner als "abnormal" zu
bekämpfen oder gar umzubringen. (vgl.
Zimbardo/Gerrig 2004, S. 654) Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.01.2021
|