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"Wie kann man das denn überhaupt noch essen?" fragt sich mancher
Zeitgenosse, wenn er mitansieht, dass ein offenkundig Obdachloser vor
dem Supermarkt, einer Fastfood-Kette oder sonstwo eben aus einem
Mülleimer die Reste von Mahlzeiten fischt, die andere nicht mehr
hinuntergebracht haben. Und nicht selten beschleicht den
unbeabsichtigten Zuseher eines so genannten "Mülltauchers" eine soziale
Scham darüber, dass dies in unserem Land überhaupt nötig ist, in einem
Land, in dem jeden Tag Tonnen von Lebensmitteln in den Müll wandern.
Schnell werden angesichts solcher Umstände alte Vorsätze neu gefasst:
Lebensmittel, so ruft das Gewissen, darf man nicht wegwerfen.
"Brotverderber", hat man früher Leute genannt, die so etwas taten,
gesellschaftlich fast geächtet derjenige, der sich dabei erwischen ließ.
Rund 20 Millionen Tonnen essbarer Lebensmittel landen in Deutschland
jedes Jahr auf der Müllkippe. Das ist in etwa ein Drittel bis die Hälfte
aller Lebensmittel insgesamt. Wo es Lebensmittel im Überfluss gibt, in
Europa und Nordamerika, wirft somit jeder einzelne Bürger etwa 100 kg
Essen und Trinken in die Tonne. In Deutschland haben sie schätzungsweise
einen Wert von 330 Euro, pro Person versteht sich.
Dabei sind dies keineswegs Lebensmittel, die verdorben sind, wegen
Schimmelbefalls oder ähnlichem, ein Gesundheitsrisiko beim Verzehr
darstellen, denn 30% der weggeworfenen Lebensmittel sind noch nicht
einmal ausgepackt. Originalverpackt wandern sie - Mülltrennung hin,
Mülltrennung her - in die Tonne. Ein beträchtlicher Teil davon wird
einfach deshalb entsorgt, weil das angegebene Mindesthaltbarkeitsdatum
(MHD) überschritten ist. Im Rahmen einer Forsa-Umfrage über das
Einkaufsverhalten der deutschen Verbraucher hat das »Bundesverbraucherministerium
(BMELV) im Frühjahr 2011 auch das Wegwerfverhalten der Bundesbürger
untersuchen lassen (»PM
Nr. 168 vom 30.08.11). Dabei geben rund 84 Prozent der befragten
Verbraucher an, sie werfen Lebensmittel weg, weil das Haltbarkeitsdatum
abgelaufen oder die Ware verdorben sei. 19 Prozent nennen zu große
Packungen als Hauptgrund. 16 Prozent der Bürger werfen Lebensmittel weg,
weil sie ihnen "nicht schmecken". Und rund ein Viertel gab an, zu viel
gekauft zu haben. In der Erhebung sagten 58 Prozent, dass in ihrem
Haushalt regelmäßig Lebensmittel weggeworfen würden. 69 Prozent der
Bürger sagen, sie haben beim Wegwerfen von Lebensmitteln ein schlechtes
Gewissen.
Die zuständige Ministerin, Ilse Aigner (CSU) bemerkte dazu in einem
»Interview
vom 9.5.2011: "Wir werfen einfach viel zu viel weg. Diesen Trend
müssen wir stoppen. Nach uns vorliegenden Schätzungen wandern in
Deutschland pro Jahr bis zu 20 Millionen Tonnen Nahrungsmittel in den
Abfall",. Nicht nur angesichts stetig wiederkehrender Hungerkatastrophen
in der Welt sieht die Politik auf diesem Gebiet Handlungsbedarf. Ihr
geht es vor allem um die Verringerung des Abfalls, dessen Beseitigung
eine Menge Geld verschlingt. Wer die Verschwendung von Lebensmitteln
reduzieren will, muss, wie der Marktforscher Stephan Grünewald in der
Süddeutschen Zeitung vom 1./2./3. Oktober 2011 betont, "unser generelles
Verhältnis zum Essen [...] verändern." Denn, so fährt er fort, "die
meisten Menschen wissen nicht mehr, wie Obst und Gemüse wächst, wie
unsere Lebensmittel überhaupt entstehen. Diese Entfremdung sollten wir
anpacken."
Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) für Lebensmittel und unser Umgang
mit ihm gehört dazu. "Es dient", spricht Grünewald im Klartext, "der
Absolution. Psychologisch gesehen ist es die Lizenz zum Wegwerfen."
Was viele Verbraucher nicht wissen: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist
nicht das Verbrauchsdatum. Und beides voneinander zu unterscheiden ist
beim vernünftigen Umgang mit Lebensmitteln äußerst wichtig.
Das Mindesthaltbarkeitsdatum gibt den Zeitpunkt wieder, bis
zu dem ein Lebensmittel unter angemessenen Aufbewahrungsbedingungen
seine spezifischen Eigenschaften behält. Ist die angegebene
Mindesthaltbarkeit nur bei Einhaltung bestimmter Temperaturen oder
sonstiger Bedingungen gewährleistet, so ist ein entsprechender Hinweis
anzubringen (§ 7 Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung (LMKV). Nach
Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums ist die Ware nicht automatisch
verdorben. Sie darf noch verkauft werden, wenn sie einwandfrei ist. Die
Verantwortung, dass sie einwandfrei ist, trägt der
Lebensmittelunternehmer, der die Ware in Verkehr bringt.
Verbrauchsdatum - steht für verbrauchen! - Bei in
mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblichen Lebensmitteln, die
nach kurzer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit
darstellen können, ist anstelle des Mindesthaltbarkeitsdatums ein
Verbrauchsdatum anzugeben ("Verbrauchen bis…"). Dem Lebensmittel ist
dazu eine Beschreibung der einzuhaltenden Aufbewahrungsbedingungen
hinzugefügt. Lebensmittel dürfen nach Ablauf des Verbrauchsdatums nicht
mehr verkauft werden (§ 7a Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung (LMKV).
In diese Kategorie fallen z.B. Hackfleisch, Vorzugsmilch (Rohmilch) oder
frisches Geflügelfleisch.
Eigentlich ist das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht mehr als ein
Gütesiegel, denn mit der eigentlichen Haltbarkeit im Sinne der
gesundheitlich unbedenklichen Verzehrbarkeit eines Lebensmittels hat es
nichts zu tun. "Es garantiert" wie ein Experte des
Verbraucherministeriums erklärt. "dass die Produkte genauso aussehen und
schmecken, wie es der Hersteller beabsichtigt hat." (SZ v.
1./2.3.10.2011) Und natürlich sieht das die Lebensmittelindustrie ganz
anders. Für Peter Loosen vom Bund für Lebensmittelrecht und
Lebensmittelkunde, einem der wichtigsten Verbände der Branche, ist das
Mindesthaltbarkeitsdatum "einer der wichtigsten Orientierungspunkte für
Verbraucher beim Einkaufen." Und mit Verschwendung habe das nun wirklich
nichts tun, zumal es schließlich "mindestens haltbar bis" und nicht
"längstens haltbar bis" heiße. (ebd.)
Der Lebensmittelunternehmer legt das Mindesthaltbarkeitsdatum und
das Verbrauchsdatum in eigener Verantwortung fest. Dabei ist das Datum
so zu wählen, dass das Lebensmittel mit Ablauf der angegebenen Frist die
vom Verbraucher erwarteten spezifischen Eigenschaften besitzt und nicht
gesundheitsschädlich ist.
Viele Lebensmittel sind aber auch weit über ein abgelaufenes
Mindesthaltbarkeitsdatum genießbar, auch wenn sie dem vom Hersteller
ausgewiesenen Gütesiegel nicht mehr gänzlich entsprechen sollten.
Mitunter ist es eben nur wie beim Bier, das den meisten natürlich am
besten schmeckt, wenn das Getränk genau jene goldgelbe Farbe aufweist,
die ihm in der Werbung so richtig Durst darauf macht. Aber obwohl Bier
gemeinhin nur eine Mindesthaltbarkeit von 6-12 Monaten aufweist, ist es
eigentlich mehrere Jahre lang konsumierbar. Werden Lebensmittel mit
einem bestimmten MHD im Kühlschrank sogar statt bei ca. sieben Grad
Celsius so um die Null Grad herum gekühlt, verlängert sich die
Haltbarkeit der Lebensmittel noch deutlich, sofern die Produkte
originalverpackt bleiben und sachgemäß gelagert sind. Eine Garantie
dafür, dass originalverpackte Waren mit einem gültigen MHD aber auch
wirklich unverdorben sind, hat man trotz allem nicht. Ist die Kühlkette
bei der Herstellung oder dem Transport mal länger unterbrochen oder die
Verpackung beschädigt, kann eben auch ein gültiges MHD nichts daran
ändern, dass die Lebensmittel verdorben sind.
Stephan Grünewald weiß das wohl, wenn er dennoch rät, "bei
abgelaufenen Lebensmitteln die Sinne zu gebrauchen, zu riechen und zu
schmecken." Und Lennart Prytz setzt in seinem Artikel "Das ist
doch noch gut" (SZ v. 1./2./3.10 2011) den Schlusspunkt, den man hier
nur wiederholen kann: "Vielleicht erlebt er [der Verbraucher, d. Verf.]
sogar eine angenehme Überraschung: Bier kann in hohem
Alter eine leichte Sherrynote entwickeln." - Wer's mag ...
Umdenken hilft immer.Gert Egle, 3.10.2011, zuletzt
bearbeitet am:
16.08.2023
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Gert Egle
2.10.2011, zuletzt bearbeitet am:
16.08.2023
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