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Aspekte der Schreibaufgabe

Vorsicht! Happy Ends und Katastrophen

Eine literarische Vorlage weitererzählen

 
FAChbereich Deutsch
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Surfbrett Weitererzählung

Hauptsache authentisch? Hauptsache einfallsreich?

Warum eine Geschichte nicht zu Ende erzählt werden muss

Manchmal liegt es an dem etwas unglücklich formulierten Schreibauftrag "Schreiben Sie die Geschichte zu Ende", wenn man meint, man müsse beim Weiterzählen, das was in der literarischen Vorlage nur angelegt ist, zu einem Ende führen. Das ist, so meint man, dann gelungen, wenn das Ganze irgendwie abgerundet wird, Konflikte oder Probleme, die in der literarischen Vorlage vorkommen, auf irgendeine Art und Weise gelöst werden.

Ein solcher Schreibauftrag führt aber in die Irre, auch wenn er vielleicht gut gemeint ist. So soll damit wohl darauf aufmerksam gemacht werden, dass man bei seiner eigenen Weitererzählung die Fäden in die Hand nehmen soll, die in einen klaren Bezug zur Vorlage verdeutlichen, wenn man die Geschichte weitererzählt. Vielleicht soll einen ein solcher Arbeitsauftrag auch davor bewahren, beim Weitererzählen nur seiner eigenen Fantasie Raum zu geben.

Aber schon der Gedanke, was ein Ende einer Geschichte sein könnte, kann einen auf seltsame Gedanken bringen. Ist damit die Lösung der in der Geschichte dargestellten Konflikte und Probleme gemeint oder einfach ein irgendwie folgerichtiges Ende bestimmter Ereignisse oder Handlungen, die doch immer irgendwie unabgeschlossen bleiben?

Zudem, wenn ein Autor bzw. eine Autorin aus bestimmten Gründen wie z. B. bei vielen modernen Kurzgeschichten seine Geschichte ganz unvermittelt und abrupt beginnen lässt, einen Höhepunkt der Geschichte vermeidet und einen offenen Schluss gestaltet, der vieles offen lässt, warum sollte das Weiterschreiben dann unbedingt den gordischen Knoten zerschlagen und alles zu Ende bringen?

Weiterschreiben kann also auch durchaus bedeuten, dem in der literarischen Vorlage Dargeboten einfach weitere inhaltliche Facetten abzugewinnen, die sich in der weiteren Entwicklung des dort erzählten Geschehens ergeben könnten, ohne dass damit alles auf ein geschlossenes Ende hinausläuft.

Warum Happy Ends und Katastrophen oft den Vorlagentext nicht wirklich fortführen

Eine Folge, die sich oft aus der Vorstellung, es gehe beim Weiterzählen stets darum, eine Geschichte irgendwie zu Ende zu erzählen, ist die Verbreitung von Happy Ends oder Katastrophen in Geschichten, die von Schülerinnen und Schülern fortgeschrieben werden.

Sie bieten in der Regel einfache Lösungen für das aufs Ende zielende Schreiben an und lassen sich nach Auffassung ihrer Schreiberinnen und Schreiber immer so gestalten, dass sie mit der entsprechenden Fantasie zu einer vorgegebenen Geschichte passen. Dies kann zwar im Rahmen einer • funktionalen Perspektive beim Verfassen derartiger Texte nicht nur zulässig, sondern auch in gewissem Rahmen erwünscht sein, wenn die Gestaltungen im Sinne des freien assoziativen und expressiven Schreibens Anstöße für die unmittelbare Anschlusskommunikation über die literarische Textvorlage und die produktiv-kreativen Gestaltungen der Schreiberinnen* im Unterricht leisten soll.

Hier geht es freilich um Gestaltungen der Weitererzählung, die die • plausible Rückbindung an den Text  zugrunde legen.

Denn auch bei solchen Schreibaufgaben kann es auch leicht passieren, dass die Textvorlage nur als Sprungbrett für die eigene Fantasiegeschichte verstanden und genutzt wird, die mit einem aufgesetzt und künstlich herbeierzählten Happy End die Geschichte zu einem "guten" Ende bringt.

Problematisch wird das, wenn man sich damit Inhalte und Strukturen des Ausgangstextes so hinbiegen muss, dass sie auf das Happy End, so wie man es sich gerne vorstellt, hinauslaufen können.

Um dies zu vermeiden, muss man die literarische Vorlage vor dem Niederschreiben der eigenen Weitererzählung eben genau unter die Lupe nehmen, sich ein angemessenes Textverständnis erarbeiten, auf dessen Grundlage man auch einschätzen kann, ob die eigene Gestaltungsidee zu der literarischen Vorlage passt und von einem Leser oder einer Leserin unter Bezugnahme auf die Vorlage auch nachvollzogen werden kann.

Mediale Muster sind oft schlechte Paten

Der Drang, Geschichten beim Weitererzählen mit Happy Ends und Katastrophen zu einem endgültigen Ende zu bringen, kommt oft nicht von ungefähr. Schließlich kommt man ja im Umgang mit Erzählungen nicht nur mit literarischen Vorlagen im Deutschunterricht in Berührung. Viele Muster, die vor allem Schülerinnen und Schüler über das Erzählen im Kopf haben, gehen auf andere mediale Formate im Fernsehen allgemein oder in Videos zurück, die sich oftmals mit waghalsigen, kaum motivierten Sprüngen in der Handlungsführung auszeichnen und Konflikte und Probleme in einem bestimmten Zeitrahmen lösen müssen. Alles, das kann sich auf produktiv-kreative Gestaltungen wie dies auch das Weitererzählen einer literarischen Vorlage bedeutet, auswirken.

  • In der Folge werden von gar nicht so wenigen Schreiberinnen* fast zwanghaft Happy Ends mit Candlelight-Dinners oder großen Versöhnungsevents äußerst fantasievoll in vielen anschaulichen Details erzählt, wenn die literarische Vorlage z. B. einen ungelösten Beziehungskonflikt zwischen Partnern enthält.

  • Katastrophen mit tragischem Ende (Unglücke jedweder Art bis hin zu Verbrechen von "Kettensägemonstern") werden oft in einer Art Kameratechnik erzählt, die vermeintlich bildstark in Szene gesetzt werden, um einer Geschichte ein dramatischen und "endgültigen" Schluss zu geben.

  • Fiktive Traumfantasien müssen herhalten, wenn kein erzählerischer Fortgang in der fiktionalen Welt des Vorlagentextes möglich zu sein scheint.

Abhilfe schafft hier vor allem eine genaue inhaltliche Erfassung des Vorlagentextes, die Analyse seiner Strukturen und das Durchdenken und / oder Skizzieren von Weitererzählungsvarianten, die neben die sich aufdrängenden medialen Schemata gestellt werden können.

Bei aller Kritik: Auch diese an anderen medialen Mustern orientierten Gestaltungen haben ihre Daseinsberechtigung. Sie gehören schließlich zu der Lebenswelt und den lebensweltlichen Erfahrungen der jeweiligen Schreiberinnen*. Und oft entspringen gerade solchen Gestaltungen auch anregende Impulse, sich mit anderen Schülerinnen* über das Verständnis der literarischen Vorlage und die jeweiligen Gestaltungen zu unterhalten und unterschiedliche Vorstellungen darüber auszutauschen und zu diskutieren.

Trotzdem: Auch Gestaltungsideen auf der Grundlage solcher medialer Muster sollten wohlüberlegt zum Einsatz kommen. Und am besten verständigt man sich schon im Vornherein bei Schreibaufgaben zum Weitererzählen, wie und nach welchen Kriterien die geschriebenen Weitererzählungen beurteilt und ggf. bewertet werden sollen. Hier kann auch eine Schreibgruppe, in der man sich darüber austauscht, wertvolle Hilfe leisten.

Hauptsache authentisch? Hauptsache einfallsreich?

Surfbrett Weitererzählung

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 02.07.2024

   
 

 
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