"Unverkennbar steht hinter dem zunächst widersprüchlich erscheinenden
Eingangssatz des Gedichtes die Lehre von der "rechten Zeit", die in der
"Göttin der Gelegenheit", der Occasio, eine weite Verbreitung in der
Literatur und der bildenden Kunst der Zeit und einen hohen Grad von
Verbindlichkeit als Lebensmaxime für die Menschen besaß. [...]
Opitz kontrastiert die Gegenwart der schönen Blütezeit mit der sicheren
Zukunft ihres Verfalls. Schon bevor er den Beweisgang im einzelnen dafür
antritt, dass das Gesetz der Gelegenheit auch für die Liebe Gültigkeit habe,
stellt er thesenhaft fest:
"Das alles was wir haben
Verschwinden muß." ( Z 7f.)
Er erreicht damit eine doppelte Intensität seiner Aufforderung zum
Liebesgenuss: Was das Gesetz der Occasio ohnehin verlangt, das fordert das
Gesetz des Verfalls mit unabweisbarer Notwendigkeit. Das Carpe diem und das
Memento mori gehören aufs engste zusammen und rechtfertigen sich
gegenseitig. Das Liebeslied wird zur Todesmahnung, das
Vanitas-Gedicht
begründet die Bereitschaft zum Genuss des Lebens. Sowohl die Gegenwart als
auch die Vergänglichkeit der Schönheit dienen Opitz dazu, unwiderlegbare
Argumente für die Richtigkeit seiner Aufforderung und ihre thesenhafte
Begründung durch Hinweise auf die günstige Gelegenheit einerseits und die
unentrinnbare Vergänglichkeit andererseits folgt (9-16) eine
Exempla-Reihung, die das zunächst Thesenhafte konkretisiert und es so der
"Liebsten" vor Augen führt. Dabei nimmt sich Opitz mit unerbittlicher
Genauigkeit die einzelnen Schönheiten, vor allem des Gesichts der Geliebten
vor.
(aus: Wulf Segebrecht: Rede über die rechte Zeit zu lieben. Zu Opitz'
Gedicht Ach Liebste/laß vns eilen, in:
Meid 1982, S.
137)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
07.01.2025