Ich empfinde fast ein Grawen
Daß ich / Plato2
/ für vnd für
Bin gesessen über dir;
Es ist Zeit hinauß zu schawen /
Vnd sich bey den frischen Quellen
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In dem grünen zu ergehn /
Wo die schönen Blumen stehn /
Vnd die Fischer Netze stellen.
Worzu dienet das studieren
Als zu lauter Vngemach?
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Vnter dessen laufft die Bach
Vnsers Lebens das wir führen /
Ehe wir es inne werden /
Auff jhr letztes Ende hin /
Dann kömpt ohne Geist vnd Sinn
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Dieses alles in die Erden.
Hola / Junger / geh’ vnd frage
Wo der beste Trunck mag seyn /
Nimb den Krug / vnd fülle wein.
Alles Trawren / Leid vnd Klage
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Wie wir Menschen täglich haben
Eh’ vns Clotho3
fort gerafft
Will ich in den süssen Safft
Den die Traube gibt vergraben.
Kauffe gleichfals auch Melonen
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Vnd vergieß deß Zuckers nicht;
Schawe nur daß nichts gebricht.
Jener mag der Heller4
schonen /
Der bey seinem Gold’ vnd Schätzen
Tolle sich zu krencken pflegt /
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Vnd nicht satt zu Bette legt:
Ich wil weil ich kann mich letzen.
Bitte meine gute Brüder
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Auff die Music vnd ein Glaß:
Kein ding schickt sich / dünckt5
mich / baß6 /
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Als ein Trunck vnd gute Lieder.
Laß’ ich schon nicht viel zu erben /
Ey so hab ich edlen Wein;
Wil mit andern lustig seyn /
Wann ich gleich allein muß sterben.
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Verwendet wurde die
Ausgabe letzter Hand: Martini Opitii Weltliche Poemata. Der Ander Theil.
Zum vierdten mal vermehret vnd vbersehen herauß gegeben. Franckfurt / In
Verlegung Thomae Matthiae Goetzen / Im Jahr M. DC. XXXIV.
Quelle: Martin
Opitz: Gedichte. Hg. Jan-Dirk Müller. Philipp Reclam Jun. Stuttgart 1995
(1. Ausgabe 1970), S. 167–168. Scans auf den Commons: Seite 167, Seite
168)
https://de.wikisource.org/wiki/Ode_„Ich_empfinde_fast_ein_Grawen”
Worterklärungen
1
Carpe diem: lat. Pflücke / nutze den Tag
2 Plato:
griechischer Philosoph »Plato(n)
(428/427-348/347 v. Chr.)
3 Clotho:
griech. Schicksalsgöttin »Klotho,
einer der drei »Moiren,
deren Aufgabe es ist, den »Lebensfaden
zu spinnen; dieser wird von »Lachesis bemessen
und von »Atropos abgeschnitten.
4 Heller:
Münze, das als früheres deutsches Zahlungsmittel
»Heller (= halber »Pfennig)
im Umlauf war; Redensart: auf Heller und Pfennig
5 dünkt:
von dünken (gehobene, aber heute veraltete Form für: 1) jemandem so
vorkommen, scheinen 2) sich dünken: sich zu Unrecht etwas einbilden,
sich für etwas halten, einen Dünkel haben
6 baß:
besser (Adverb