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teachSam-Projekt
Neujahr
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Brot und Bäume gegen Böller? - Die Kontroverse um das
Silvesterfeuerwerk
von Gert Egle (2016)
Die
"Bild"-Zeitung
vom 1.1.2016 kürte den Mann zum größten "Knallkopp" von Berlin, weil
er in der Silvesternacht über mehrere Stunden hinweg nach eigenen
Angaben Feuerwerkskörper im Wert von 6.000 Euro zum Explodieren brachte
und in den Nachthimmel verschoss. Ein Wunder fast, dass dabei nichts
passierte. Denn schnell ist, wie übrigens in Hunderten von Fällen bei
jedem Jahreswechsel, die ganze Neujahrsfreude dahin, wenn wegen
unsachgemäßer Böllerei Hände und Gesichter aufs Schwerste verbrannt werden oder
Menschen ein Knalltrauma erleiden.
Was den Berliner Feuerwerker veranlasst hat, es sieben Stunden lang
"krachen" zu lassen, ist nicht bekannt. Dass er damit aber dafür sorgte,
dass der Umsatz der pyrotechnischen Industrie weiter auf hohem Niveau
blieb, ist für ihn sicher auch nicht weiter wichtig. Fakt ist allerdings,
dass die Freude am Zünden diverser Feuerwerkskörper außergewöhnlich groß
ist. Selbst in Krisenzeiten, in denen es vielen Menschen nicht so gut
geht oder die allgemeine Stimmung im Hinblick auf die Zukunft eher
gedämpft ist, heften die Menschen ihre Hoffnungen an die Zündschnüre
von Raketen oder vertreiben ihre Sorgen mit dem Knall eines
Kanonenschlages. Fehlt lediglich noch die individualisierte Variante des
Feuerwerks, bei der man sich z. B. übers Internet Leucht- und
Knallfarben nach Wunsch zusammenstellen, die Rakete online mit einem
Spruch eigener Wahl versehen kann, um den vom eigenen Feuerwerk
erhellten Platz am Nachthimmel auch wirklich persönlich für die eigene
Zukunft in Besitz zu nehmen. Der Silvesterumsatz mit Feuerwerksartikeln jedenfalls soll nach
Schätzungen des Verbandes der pyrotechnischen Industrie
2015 in Deutschland wie im Vorjahr bei etwa 129 Millionen Euro liegen.
Zehn Jahre zuvor waren das noch 96 Millionen gewesen, 2007 wurde die
100-Millionen-Grenze erreicht. Seitdem ist der Umsatz zumindest im
2-Jahres-Rhythmus weiter gestiegen (2009: 113 Mio., 2011: 115 Mio.,
2013: 124 Mio.) Feuerwerke anderer Art, die bei großen
Massenveranstaltungen, aber mittlerweile auch kleineren Dorf-,
Stadtteil- oder Straßenfesten veranstaltet werden, nicht mit
eingerechnet. Gründe, warum die Menschen in so großer Zahl von Feuerwerken im
Allgemeinen und dem Silvesterfeuerwerk im Besonderen fasziniert sind,
gibt es viele und einige hängen unmittelbar mit der Tradition und
Bräuchen zusammen. Die ersten Feuerwerke gab es wohl in China, wo es aller
Wahrscheinlichkeit nach Mönche waren, die es im 6. oder 7. Jahrhundert
erfunden haben. Über arabische Händler kam das Feuerwerk im 14.
Jahrhundert nach Europa. In Italien entwickelte sich im späten 14.
Jahrhundert eine besondere Feuerwerkskunst, die sich von da aus in
Europa weiterverbreitete. Insbesondere im Zeitalter des Barock wurden
Feuerwerke an den Höfen von Fürsten und Königen in ganz Europa
hochgeschätzt. Sie standen oft im Mittelpunkt der Feste an den Höfen,
die auch mit solchen pyrotechnischen Attraktionen europaweit miteinander
wetteiferten. Allen voran gingen dabei die Feuerwerke, die am königlichen
Hof in
Versailles veranstaltet wurden.1770 fand unter
Ludwig XV.(1710-1774) im Schlosspark das für seine Zeit wohl größte
Feuerwerk statt, bei dem der absolutistische Herrscher Frankreichs zur
Begrüßung seiner Schwiegertochter »Marie
Antoinette (1755-1793) 20.000 Raketen, 6.000 Feuertöpfe und Vulkane
und mehrere Dutzend Sonnen mit einem Durchmesser von bis zu 30 m zünden
ließ. (vgl.
Huo-Pau - Die Geschichte des Feuerwerks) Zur absolutistischen
Prachtentfaltung und Repräsentation von Macht waren solche Feuerwerke
besonders gut geeignet, weil sie „den Sieg des Lichts über die
Dunkelheit“ verkörperten. Indem man so das Feuerwerk mit Blitz und
Donner ineins setzte, wurde es als göttliche Gewalt verstanden, an der
der absolutistische Fürst oder König mit seinem Feuerwerk, und zwar je
größer und prächtiger, desto mehr teilhatte. (vgl.
Kircher-Kannemann, o.J.) Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden Feuerwerke zu einem Vergnügen
größerer Teile der Bevölkerung. Nun fanden sie im öffentlichen Raum
statt, bald schon in Städten in der Silvesternacht und auch bei anderen
Veranstaltungen unter freiem Himmel. Aber erst im 20. Jahrhundert
konnten Feuerwerkskörper von jedem, der dafür das nötige Kleingeld
besaß, gekauft werden. In der letzten Zeit ist ein Trend
festzustellen, der vom privaten Kleinfeuerwerk im Kreis der Familie und
von Freunden wegführt. Outdoor-Silvesterpartys mit Hunderttausenden von
Teilnehmerinnen und Teilnehmern trotzen Wind und Wetter und lassen sich
unter dem Schutz von Polizeikräften, auch bei Angst vor
Terroranschlägen, ihr
Vergnügen beim gemeinsamen Feiern und Böllern in der Öffentlichkeit
nicht nehmen. Vielleicht schließt sich dieses Verhalten auch an die
Tradition an, mit der man in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr
schon seit Menschengedenken Dämonen, Hexen und Geister mit allerlei Lärm
und Geräuschen vertreiben wollte. Und für das, was von dem Spuk
zurückbleibt, nämlich abertausend Tonnen von Müll, sind schließlich der
Staat und die Gemeinden zuständig. Der Luft selbst tut die ganze Böllerei im Übrigen auch nicht besonders
gut. So hat man z. B. in Baden-Württemberg am Neujahrstag 2016 gemessen,
dass die Feinstaubbelastung deutlich angestiegen war. (vgl.
Stuttgarter Zeitung, 2.1.2016) Die Schadstoffe, die mit jeder in den
Himmel gejagten Rakete in der Luft verteilt werden und in unsere Atemluft
zurückkehren, machen vielen Menschen gesundheitlich kurz- oder auch
längerfristig zu schaffen. Dass die Böllerei für viele Tiere ein
Albtraum
ist, Hunde, Katzen oder Pferde in Angst und Panik versetzen
können, kann aber auch eingefleischte Liebhaber der Vierbeiner kaum
davon abhalten, den Jahreswechsel mit Kanonenschlägen "einzuläuten".
Schließlich gibt es ja noch den Tierarzt, der einem ein Mittel
aushändigt, mit dem man seinen Hund ein paar Stunden lang einschläfern
kann. Aber nicht bei allen, und beileibe nicht nur bei den notorischen
"Spaßbremsen", kommt die Silvesterknallerei nicht gut an. Schon
seit 1981 ruft die Hilfsorganisation
Brot für die
Welt dazu auf, wenigstens einen Teil der ansonsten für
Silvesterfeuerwerk ausgegebenen Geldsumme für die Entwicklungshilfe zu
spenden. Die Präsidentin der Organisation Cornelia Füllkrug-Weitzel will
mit der Aktion die Menschen dazu einladen, "das neue Jahr mit einem
Geschenk an Menschen in Not zu beginnen." (Brot
statt Böller, 18.02.2015) Für sie steht fest: "Der Spaß, den ein
Feuerwerk macht, ist nur kurz. Die Freude, die durch Teilen entsteht,
ist von Dauer." Und auch andere Organisationen sind der Ansicht, dass
sich das ganze Geld, das an Silvester im wahrsten Sinne des Wortes
verpulvert wird, anders besser angelegt ist. So hat z. B. der
Tourismusverband die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern in diesem Jahr
schon zum neunten Mal dazu aufgerufen, statt Geld für Silvesterböller
auszugeben, dieses Geld in Waldaktion anzulegen. Die Aktion "Bäume statt
Böller" sorgt z. B. dafür, dass mit zwei Waldaktien im Wert von je 10
Euro auf einer Fläche von zehn Quadratmetern Bäume gepflegt werden. (http://www.focus.de/regional/rostock/brauchtum-fuer-ein-gruenes-gewissen-an-silvester-baeume-statt-boeller_id_5178509.html)
Allerdings sind solche "Statt-Böller-Kampagnen" keineswegs unumstritten
und ihre Kritiker kommen nicht aus den Reihen der pyrotechnischen
Industrie oder sind irgendwelche Pyromanen oder "Knallköppe". (s.o.) So erklärt z. B. die Berliner
TAZ den "Zusammenhang zwischen
dem Hunger in Afrika und dem Geböller" für schlichtweg "konstruiert" und
beruft sich auf die Aktion Dritte Welt Saar, die darin eine Beliebigkeit
sieht, die genauso gut in einer Kampagne wie "Brot statt Jogginganzüge"
fortgeführt werden könne. Auf die eigentlichen Ursachen für den Hunger
in der Welt werde jedenfalls während der Brot-statt-Böller-Kampagne
nicht hingewiesen. Um an Spenden zu kommen, werde damit dem Normalbürger
ein schlechtes Gewissen gemacht, indem man ihm einrede, sein punktuelles
und persönliches Verhalten "habe irgendwie was mit dem Elend in Afrika
zu tun". Für die Aktion Dritte Welt Saar ist das Ganze aber auch eine
typisch protestantische "Lustfeindlichkeit".
zu Abbildung 1: "Feuerwerk, Welches Auf des Hochwürdigst Hochgebohrnen des H. Röm.
Reichs Fürsten und Herrn, Herrn Sigmund, Erzbischoffen zu Salzburg,
Legaten des heiligen Apostol. Stuhls zu Rom, und Primaten von
Deutschland aus dem uralten Geschlecht deren Reichsgrafen von
Schrattenbach, meines gändigsten Fürsten und Herrn, Hernn Gnädigsten
Befehl, und zur Ergötzung des erstmals anwesenden Neu vermählten Paars
... Dahier im May 1768 abgebrennet werden ... ausgearbeitet aber, Von
sämtlich alten und neugelernten Ernst- und Luftfeuerwerkern in Der
Hauptfestung Hohen Salzburg ...."
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Gert
Egle: Brot gegen Böller (Inhaltsangabe)
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Gert
Egle, Knallkopp oder Spaßbremse.
Ein Silvester-Essay
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Brot und Bäume gegen Böller? - Den Text mit
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023
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