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Geschichte des Aufsatzunterrichts und des Schulaufsatzes

Die kommunikative Wende in den 1970er Jahren

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Schreibformen Schreibformen in der SchuleÜberblick Didaktische und methodische Aspekte schulischer Schreibformen  [Geschichte des Aufsatzunterrichts
Überblick Rhetorische Vorgeschichte von der Antike bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts Die "Verschulung" des Schreibens ab dem 18, Jahrhundert Das reformpädagogische Konzept des freien Aufsatzes (Beginn des 20. Jh.) Das Konzept des sprachgestaltenden Aufsatzes (Marthaler 1962) Die kommunikative Wende in den 1970er JahrenGanzheitlichkeit und Handlungsorientierung (subjektive Wende in den 1980er Jahren)Reflexives, expressives und kommunikatives Schreiben in der Schule (Fritzsche 1994) ▪ Kompetenzorientierte Konzepte des Schreibens ] Beurteilung schulischer Textproduktionen und Schreibprozesse Texte zusammenfassen ▪ Sachtexte analysieren (Textanalyse) Texte erörtern (Texterörterung) Texte interpretieren (Textinterpretation) Materialgestütztes Schreiben Offizielle Briefe schreibenErzählenBerichtenBeschreiben SchildernErörtern: Erörterndes Erschließen und Schreiben Einen Essay schreiben Kreativ schreiben Sonstige schulische Schreibformen  Operatoren im Fach Deutsch
 

Für andere und an andere schreiben

Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mehrten sich indessen Stimmen, die der traditionellen Aufsatzlehre ein neues Konzept entgegenstellten.

Fortan rückte die kommunikative Funktion des Schreibens in den Vordergrund. Die mit der  "kommunikativen Wende" (Becker-Mrotzeck/Böttcher 2006/2011, S.22, Hervorh. d. Verf.) vollzogene Neuausrichtung der Aufsatzdidaktik forderte statt der Innenschau ein an realen Kommunikationssituationen und am Adressaten orientiertes Schreiben, dem auch die sprachliche Gestaltung zu entsprechen hatte.

Die ▪ sozialen Schreibfunktionen - neben dem ▪ An-andere-Schreiben vor allem das ▪ Für-andere-Schreiben (kommunikatives Schreiben) - drängten damit die übrigen Schreibfunktionen in die zweite Reihe ab.

Die Ausrichtung schulischer Schreibformen an diesen pragmatischen Prinzipien basierte z. T. auch auf emanzipatorischen Vorstellungen, die auf die mündige Teilnahme und Teilhabe am politisch-gesellschaftlichen Leben zielten. Statt von Aufsätzen sprach man in der Folge vom "Verfassen von Texten" oder von "Textproduktion", um sich auch begrifflich von der herkömmlichen Aufsatzlehre abzuheben.

Kriterien: Gesellschaftliche und kommunikative Relevanz der Textproduktion

Den höchsten Stellenwert gewann in den neuen Konzepten, je nach Akzentuierung, das Kriterium der gesellschaftlichen bzw., im weniger politischen Sinne, das Kriterium der kommunikativen Relevanz.

Dabei konnten die neuen Konzepte, so sehr sie sich wie im Falle des emanzipatorischen Ansatzes der Förderung von Mündigkeit und Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe auch verschrieben, ohne hinreichende Berücksichtigung personal-kreativer Aspekte des Schreibens ihre hochgesteckten Ziele nur zum Teil erreichen.

So lange z. B. die affektiven Aspekte des Schreibens nur dann akzeptiert wurden, wenn sie mit der bevorzugten appellativen Textfunktion beim Schreiben von Stellungnahmen, Erörterungen, Aufrufen u. ä. m. in Einklang zu bringen waren, lag auch den kommunikativen und/oder emanzipatorischen Ansätzen ein Argumentationsmodell zugrunde, das sich über die Maßen an den rationalisierten Regeln vernunftorientierter Argumentation orientierte, die das jeweils schreibende Subjekt im Idealfall dazu verpflichtete, ▪ "emotionale Hindernisse" zu "kontrollieren.

Daher blieb auch die strenge Gesellschaftsorientierung der geforderten Textproduktionen aus unterschiedlichen Gründen nicht lange unbestritten und musste sich den Vorwurf eines überzogenen Utilitarismus gefallen lassen.

Gleichzeitig hielt man dem emanzipatorisch-kommunikativen Ansatz entgegen, dass schulisches Schreiben, auch wenn man die Schreibaufgaben an realen gesellschaftlichen Sachverhalten und Problemen ausrichte, den angestrebten Emanzipationszielen schnell Grenzen setzten.

Wenn Schülerinnen und Schüler beim schulischen Schreiben einer ▪ lernstrategischen Orientierung folgen, bei der die soziale Abhängigkeitsorientierung (von der beurteilenden Lehrperson) dominiert oder eine große Rolle spielt, zeigt sich eben auch, dass sich Emanzipation ohne Berücksichtigung der (schulischen) Verhältnisse nur schwerlich mit Hilfe schreibdidaktischer Orientierungen voranbringen lässt.

Angesichts dieses unlösbaren Dilemmas, in dem sich die emanzipatorisch-kommunikative Aufsatzdidaktik verfing, wurden Anfang der 1980er Jahre z. T. unter Rückgriff auf reformpädagogische Konzepte, die schreibenden Schülerinnen und Schüler wieder stärker ins Zentrum schreibdidaktischer Überlegungen gerückt. Diese "subjektive Wende“ ging einher mit Begriffen und Konzepten, die  aus einem entsprechenden gesellschaftlichen Diskurs der achtziger Jahre bezogen wurden. Sie gaben, bei aller schon mehrmals betonten Gleichzeitigkeit von schreibdidaktischen Konzepten, zumindest für eine Weile den Takt in der nun einsetzenden Diskussion vor: Ganzheitlich und vor allem handlungsorientiert sollte das Schreiben in der Schule fortan angelegt sein. Mit Lehr-Lernkonzepten wie dem entdeckenden Lernen, Freiarbeit, offenem Unterricht und Projektunterricht fanden daher Mikro- und Makromethoden Eingang in den Unterricht, die dem einzelnen schreibenden Subjekt im Rahmen von Differenzierungsprozessen einen höheren Stellenwert beimaßen. Auf diese Weise kam das aus der Reformpädagogik stammende freie Schreiben, vor allem in der Grundschule, wieder zu neuen Ehren, für das subjektive Sichtweisen und der Ausdruck von Gefühlen kennzeichnend sind (vgl. Fix 2006/2008, S.114)

Müßig, zumindest aber redundant, noch einmal zu betonen: Die dargestellten schreibdidaktischen Konzepte lösten sich indessen keineswegs gegenseitig ab, sondern "bestehen in der Unterrichtspraxis bis heute fort." (Fix 2006/2008, S.115). Im Zusammenhang mit der Formulierung von Bildungsstandards, die mehr oder weniger exakt beschreiben, was Schülerinnen und Schüler zu lernen haben, gibt es, worauf Fix (ebd.) hinweist, eine Tendenz zur Aufwertung traditioneller Schreibformen in der Schule, da deren Merkmale normativ vorgegeben werden können und damit auch bei der Leistungsevaluation leichter zu handhaben sind als Formen des personal-kreativen Schreibens. Dabei ist interessant, dass die Verwendung des noch von Fix (ebd., S. 14) aus guten Gründen vermiedenen Begriffs "Aufsatzunterricht" in neueren Veröffentlichungen als Teil einer allgemeinen "Rückbesinnung" auf "die Leistungen des klassischen Aufsatzunterrichts"  (ISB (Hg.) (2010), Neues Schreiben, Bd.1, S.14) angesehen wird.
Die vermeintliche Rückbesinnung auf den "guten, alten" Aufsatzunterricht, das sei an dieser Stelle kritisch angemerkt, kann  allerdings nicht allein als eine schreibdidaktisch begründete Gegenbewegung gegen andersgeartete "Auswüchse" verstanden werden. Denn damit verabschiedete sich die Schreibdidaktik von der eingangs zumindest eingeforderten Rückbindung ihrer Konzepte an gesellschaftliche Entwicklungen im nationalen wie globalen Maßstab. Stattdessen tauchen unter dem Mantel von Kompetenzorientierung wieder Formulierungen auf, die in dieser Form seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schon obsolet erschienen. ("Dass junge Menschen in der modernen Leistungsgesellschaft auf schriftliche Examina vorbereitet werden müssen", ISB (Hg.) (2010), Neues Schreiben, Bd.1, S.14) So muss schließlich sogar die Unterstellung herhalten, die Lehrkräfte wollten einfach mit der herkömmlichen Aufsatzlehre weitermachen, um den politisch gewollten, restaurativen Tendenzen in der Didaktik zur nötigen Akzeptanz zu verhelfen.

Reproduktions- und Produktionsaufsatz bürgerlicher Prägung

Der Reproduktionsaufsatz spiegelte hingegen, allmählich beginnend mit der Neuzeit, die Ambitionen des aufstrebenden Bürgertums wieder, das sich aus den feudalgesellschaftlichen Fesseln befreien wollte. Das Bürgertum war daher auch einem Aufsatzunterricht interessiert, der sich unter Betonung des bürgerlichen Individuums kritischer Stellungnahme und gesellschaftlichem Fortschritt gleichermaßen verpflichtet sah.

Der Produktionsaufsatz schließlich, der um 1900 herum allmählich Verbreitung findet, wird "als bürgerliche Reaktion auf die sozialen Bewegungen des 19. Jahrhunderts" (ebd. S.259) verstanden, das sich mit seinem höherem Gestaltungswillen verpflichteten Schreiben am Gymnasium von dem nur zur Wiedergabe von Sachverhalten taugenden Schreiben an den Volksschulen abhob. (vgl. sprachgestaltender Aufsatz)

Auch wenn die von diesen Epochen geleiteten Überlegungen auch nicht vollends befriedigen können, liefern sie doch wesentliche Anhaltspunkte für eine gesellschafts- und ideologiekritische Analyse des Aufsatzunterrichts vom Mittelalter bis in die Gegenwart hinein.

Das Nebeneinander der Aufsatzformen

Geht man die Geschichte des deutschen Aufsatzunterrichts als Ganzes an, ergibt sich natürlich ein um ein Vielfaches differenzierteres Bild.

Sieht man nämlich genauer hin, dann lassen sich weder die dargestellten Aufsatzformen streng voneinander scheiden, noch bestimmten linearen Zeitabläufen im Sinne eines Vorher oder Nachher zuordnen. Im Grunde bestehen die genannten Formen, sieht man einmal von der NS-Zeit in Deutschland ab, nach ihrer Einführung nebeneinander und wirken sogar bis in unsere Zeit hinein.

Und selbst das von Fix (2006/2008, S.112) vorgenommene, an vergleichbaren Äußerungen von (Fritzsche 1994, S. 259) (s. o.) angelehnte (Phasen-)Modell der Schreibdidaktik (von der "Aufsatzerziehung zur "Didaktik des Textschreibens" bzw. "Schreibdidaktik") kann hier nur eine gewisse Orientierung geben.

Andererseits: Wird darauf verzichtet, löst sich das Ganze, wie so oft in solchen Fällen, u. U. in einer unüberschaubaren Komplexität auf. Für Didaktiker naturgemäß noch schwerer zu ertragen wie für andere Wissenschaftler.

 

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 07.01.2024

       
 

 
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