Schriften haben eine emotionale Wirkung
Jede Schrift bzw. ▪ Schriftgestalt
kann auf ihre Leser
oft ganz unterschiedlich wirken. Was dem einen gefällt, missfällt dem anderen. Eine
Schrift, die der eine für sehr sympathisch hält, ist dem anderen weniger
oder ganz und gar unsympathisch.
Vom Schriftbild jedenfalls geht eine
emotionale Wirkung aus, die unter Umständen über die eigentliche
Zeichenbedeutung hinausgeht. Diese Wirkung wird als Anmutung
bezeichnet.
Wie nun eine Schrift im einzelnen emotional auf ihren Leser wirkt, lässt
sich kaum rational bestimmen. Zu sehr hängt dies von den Lesegewohnheiten
und Einstellungen des Leser selbst ab.
Und doch führt der von der Anmutung
einer Schrift rührende Schriftcharakter dazu, dass Assoziationen und Gefühle
ausgelöst werden können. (vgl.
Felser 1997, S.287f.)
Daher kann man wohl sagen, dass der
Schriftcharakter eine Art Eigensprache entwickelt, die, je nachdem wie stark
sie ausgebildet ist, simultan mit der Rezeption des Inhalts kommuniziert
wird.
Wer also die textlichen Informationen liest, schaut auch zugleich auf
das Schriftbild und reagiert auf die vom Schriftcharakter ausgehenden
Wirkungen. (vgl.
Schulz-Anker 1984, S. 23)
Schriften haben eine Anmutung
Für die schriftliche Kommunikation hat der Anmutungscharakter von
Schriften große Auswirkungen.
-
Sowohl der Inhalt, als auch die Text- bzw. Schriftgestaltung kann
eine
▪
Aktivierung beim Leser
auslösen. Diese versetzt ihn in jene Spannung und Erregung, die nötig
ist, um überhaupt bereit für das Lesen eines Textes zu sein.
-
Der Grad der Aktivierung bzw. der Eindruck, den die Anmutung der
Typographie eines Textes hinterlässt, entscheidet letzten Endes darüber,
ob ein Text überhaupt gelesen wird.
Dass sich auch hier die Rezeptionsgewohnheiten ändern, weiß jeder, der
z.B. aus seiner Schulzeit die mitunter bis zur Unleserlichkeit
weiter(hektografierten) Blaumatritzenkopien erlebt hat, die wohl heute in
den Händen von Schülern kaum mehr die gewünschte Aktivierung auslösen
könnten.
-
Leser neigen dazu nur das angenehm Wirkende zu lesen und das
Unangenehme zu ignorieren.
-
Schriftbild und Inhalt sollen in der Regel miteinander harmonieren,
die Schrift sollte die Aussagen unterstützen.
Im Falle der
konkreten Poesie oder
anderer stark bildhafter Typografie wird dies in besonderer Weise zum
Ausdruck gebracht. Aber aus den gleichen ästhetischen Gründen kann Schrift
natürlich auch mit dem Inhalt kontrastieren.
-
Der Schriftcharakter
muss zu dem Printmedium passen, in dem die Schrift verwendet wird.
Im Allgemeinen geht man
davon aus:
-
Groteskschriften (z. B. Arial, Verdana)
haben eher die Anmutung von
Wissenschaft und Technik, also den harten Fakten.
Sie wirken eher nüchtern, sachlich und zeitlos.
-
Antiquaschriften (z. B. Times New Roman, Garamond)
zeichnen sich eher durch die
Anmutung von Kunst, von Kommentaren oder Emotionen
aus.
Verschiedene Schriftarten können über eine unterschiedliche
Anmutung und Wirkung verfügen.
Einige der wichtigsten Zusammenhänge stellt die nachfolgende
Tabelle dar:
Schriftbeispiele |
Schriftarten/Schriften |
Anmutung, Wirkung und Verwendung |
|
z.B. Book Antiqua, Times New Roman
(Antiquaschriften) |
-
wirken elegant, mitunter auch konservativ
-
sehr gute Lesbarkeit beim Printmedium, schlechtere Lesbarkeit am
Computerbildschirm
-
individuelle Wirkung bei kursivem Schnitt, aber schlechter lesbar
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z. B. Arial, Tahoma (Groteskschriften) |
-
wirken sachlich-nüchtern und zeitlos
-
sehr gute Lesbarkeit am Computerbildschirm, schlechtere Lesbarkeit
beim Printmedium
-
im Printbereich gut geeignet für Texte, die die
Lesegeschwindigkeit zu Gunsten des Inhalts herabsetzen wollen
|
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z.B. BN Jinx, Eras Ultra ITC (Groteskschriften) |
-
drücken Dynamik und Bewegung aus, meist durch kursiven oder
schrägen Schriftschnitt
-
schwer lesbar, daher nur für Überschriften, nicht jedoch für
Fließtext geeignet
|
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z. B. Eras Bold ITC (Groteskschrift) ,
Antique Olive Compact (Antiquaschrift) |
-
drücken Gewicht, Masse oder Schwere aus
-
schwer lesbar, daher nur für Überschriften, nicht jedoch für
Fließtext geeignet
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z. B. Eras Light ITC, BritannicEFExtra
Light (Groteskschriften) |
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wirken leicht, luftig, zierlich und dünn
-
vglw. schwer lesbar, daher nur kleine Texte geeignet
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z. B. Kabel Bk BT, Bauhaus 93
(Groteskschriften) |
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z. B. LineaEF, Gill Sans MT Condensed
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z. B. BernhardEFFashion, Chiller |
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signalisieren Individualität, Persönlichkeit und Dynamik
-
gut als Blickfang verwendbar
-
schwer lesbar, daher nur für Überschriften, nicht jedoch für
Fließtext geeignet
|
(vgl.
Köhler
2002, S.75f.)
Eine besondere Rolle spielen dabei Konventionen, die Schriften mit einem
spezifischem Schriftcharakter und einer besonderen Anmutung nur
bestimmten
gesellschaftlichen Bereichen oder Medien (Printmedien, elektronische Medien)
zuordnen.
Allerdings sind diese Konventionen nur bedingt verbindlich und die
Wahrnehmungs- und Rezeptionsgewohnheiten
der Leser befinden sich in einem steten Wandel. Was heute unmöglich
erscheint, ist schon morgen "trendy".
Schriften haben mitunter auch eine große Symbolwirkung
Bestimmte Schriften
eignen sich nicht unbedingt zu jedem Mitteilungszweck.
So passen bestimmte altertümliche
Schriftarten mit ihren Schriftfamilien (Fonts), z. B. Fraktur, normalerweise
nicht in den Werbeprospekt einer Firma, die ein fortschrittlich-dynamisches
Image pflegen will. Und in einem ▪
Privaten
Geschäftsbrief
wird er abgesehen von bestimmten gesellschaftlichen
Kommunikationsbereichen werden sie ebenfalls nicht gern gesehen.
Denn
manche dieser Schriften besitzen eine große
Symbolwirkung.
Dies ist z. B. bei
Frakturschriftarten oder ähnlichen Schriftarten der Fall, die im
rechtsextremistischen Milieu
üblich sind und das Wir-Gefühl der Szene stärken und Gegner einschüchtern
sollen. Und die typographische Gestaltung zahlreicher CD-Covers so genannter
Rechts-Rock- oder
Skin-Bands lassen mit den in Frakturschrift
gesetzten, aus der altgermanischen Mythologie entnommenen Bandnamen keinen
Zweifel an den Vorbildern und Feindbildern der Szene. Die Schriftgestaltung
"schreit“, wenn man so will, schon hinaus, was die im Liedtext meist ebenso
hinausgeschrienen rassistischen und fremdenfeindlichen Inhalte propagieren
sollen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.01.2024
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