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Petrarkismus und barocke Liebesauffassung
▪
Petrarca und die
Überbietungspoetik des Barock
Die
▪
barocke Lyrik
bevorzugt bei der Gestaltung von Liebesgedichten jene
▪ Wort-, Satz-, Gedanken- und Klangfiguren,
die auch Gedichte mit anderen
▪
Themen verwenden. Zugleich
greift sie
auf besondere Muster und einen
▪
Bildstil zurück, die sie aus der
▪ Nachahmung literarischer Vorbilder
(Imitatio-Poetik) gewinnt und positioniert sich damit im »literarischen
Feld (Bourdieu) der Zeit als "neue" ▪ "Kunstdichtung".
Die ambitionierte
▪
Dichterelite
(Gelehrte und einzelne Adelige) produziert jedenfalls eine, eigenem Verständnis nach, "kunstvoll 'gemachte'
Gesellschaftslyrik" (Braak 1979, Teil IIb,
S.14, vgl. u. a. auch: (Binneberg
2009, S.121) und will sich dabei ganz und gar von der ▪"Popularliteratur"
(Willems (2012, Bd. I,
S.72) bzw. Volkspoesie in deutscher Sprache abheben und der ▪
neulateinischen humanistische Gelehrtendichtung auf Dauer den Rang
ablaufen.
Als eine Art "beamteter" Hofdichter stehen ihre Verfasser, am ▪
Lebenslauf von ▪ Martin Opitz
(1597-1639) und ▪ seiner
gesellschaftlichen Lage lässt sich dies gut zeigen, an den absolutistischen
barocken Fürstenhöfen immer wieder und jederzeit zur Verfügung, wenn es die
▪
Repräsentationsbedürfnisse des Hofes
bei Hoffesten, Feiertagen,
Friedensschlüssen o. ä. erfordern.
Daraus resultiert auch die
theatralische Gebärde barocker
Lyrik, die um der öffentlichen Anerkennung und Bewunderung willen jedes
Gedicht bzw. dessen Vortrag zu einem Auftritt macht. (vgl.
ebd., S.14)
Die Repräsentationsbedürfnisse einer Kultur der fürstlichen Höfe, die
darin in einer geographisch weiträumigen Konkurrenz zueinander stehen,
fordert Sprache und Bildern der Dichtung Objektivität statt Gefühlsausdruck
ab. Sie erreicht dies, wie auch ▪ Martin Opitz
(1597-1639) meint, dann am besten, wenn die
Dichtung sich den grundlegenden Kategorien der Rhetorik, nämlich
Überredung,
Belehrung und Unterhaltung (lat.
persuadere, docere und delectare -
überreden, belehren, unterhalten) gleichermaßen verpflichtet sieht.
Für
Opitz wie die anderen gelehrten Dichter steht dabei unzweifelhaft fest, dass
die Dichtkunst Teil der Redekunst
ist. Nicht umsonst folgen die maßgeblichen
Poetiken der Zeit in ihrem Aufbau dem der bekannten rhetorischen Lehrbücher:
Inventio, Dispositio und Elocutio.
Schon die Inventio, die Erfindung,
besser: "Findung, Auffindung des Stoffes und der Argumente" (Meid 2000,
S. 32) verlangt nach dem Gelehrten als Dichter (poetus
doctus), denn gefragt
ist dabei nicht einfach Phantasie oder ein zündender Gedanke, sondern eine
möglichst umfangreiche und fundierte Sachkenntnis in möglichst zahlreichen
Wissenschaften, die es dem Dichter letztlich ermöglicht, die einem
Gegenstand bzw. Sachverhalt innewohnenden Möglichkeiten mit Hilfe der ihm
bekannten
Topik überhaupt zu erkennen und in einer vielseitigen und
kombinationssicheren Weise sprachlich zu arrangieren und zu präsentieren.
Dass die Verskunst logisch der letzte Teil der Rhetorik sein muss, die Form
ohne Gedanke nicht denkbar, macht »Georg
Friedrich Harsdörffer (1607-1658) klar:
"Wann ich einen Brief schreiben will/ muß ich erstlich
wissen / was desselben Inhalt seyn soll / und bedencken den Anfang / das
Mittel / das End /und wie ich besagten Inhalt aufeinander ordnen möge /
daß jedes an seinem Ort sich wolgesetzet / füge: Also muß auch der
Inhalt / oder die Erfindung deß Gedichts erstlich untersucht / und in
den Gedanken verfasset werden / bevor solcher in gebundener Rede zu
Papier fliesse. Daher jener recht gesagt: Mein Gedicht ist fertig / biß
auf die Wort." (zit. n. Meid 2000,
S. 31)
Dichten ist diesem Verständnis nach "lehr- und lernbar. Nicht subjektiver
Gefühlsausdruck, Originalität im modernen Sinne machen Wert und Qualität
eines Gedichts aus, sondern der Grad der Fähigkeit, aus vorgegebenem
Material mit größtem Kunstverstand und oft geradezu raffiniertem Geschick
neue Gedichte zu kombinieren." (Braak 1979, Teil IIb,
S.13) Folgerichtig sind es auch häufig literarische Vorbilder, die von barocken
Dichtern nachgeahmt werden, wenn man nach dem Ursprung eines barocken
Gedichts fragt (vgl.
Wehrli 1962, S.2003, zit. bei
Braak 1979, Teil IIb, S.13).
Gerade für die neue Kunstdichtung des
17. Jahrhunderts ist es kennzeichnend, dass sich barocke Autoren mit der
Nachahmung (Imitatio), z. B. von Werken von »Francesco
Petrarca (1304-1374, nicht nur einfach fremder Inhalte und Formen bedienen, sondern
auch erproben, ob und inwieweit sich diese auch in deutscher Sprache
gestalten lassen. (vgl.
Niefanger
2006, S.109)
Dazu sieht man im Nachgeahmten ohnehin kein Plagiat,
sondern ist der Überzeugung "dass die Imitatio
nachahmungswürdiger Werke der Vergangenheit und Gegenwart letztlich zu etwas
Neuem, Eigenem führt, »das zwar das Alte nicht verleugnet, aber doch den
Wert einer künstlerischen Neuschöpfung hat« (Conrady
1962, S.48)" (Meid
2000, S. 30)
Nachgeahmt wurde von den italienischen Dichtern vor allem das Werk von »Francesco
Petrarca (1304-1374), der mit seinen volkssprachlichen Gedichten
besonders der europäischen Liebeslyrik, für
lange Zeit seinen Stempel aufdrücken kann. Aber auch in anderen Formen zeigt
sich das nach dem Italiener
▪
Petrarkismus
genannte System der Bildsprache in Deutschland. In einem weiteren Sinne
bezeichnet der Begriff "jede Übernahme von sprachlichen oder motivischen
Elementen" (Borgstedt
2007, S. 60) aus dem »Canzoniere,
einem Zyklus von Liebesgedichten des italienischen Renaissance-Dichters, der
wahrscheinlich zwischen 1338 und 1369 entstanden ist.
Dabei lassen
sich nach
Niefanger
(2006, S.112f.) vier Formen sind des Petrarkismus unterscheiden
-
Der
weltliche Petrarkismus, wie er z. B., bei »Paul
Fleming (1609-1640) zu finden ist.
-
Der
geistliche Petrarkismus, bei
dem nicht mehr eine irdische Geliebte Ziel der Anbetung ist, sondern
Gott oder der Sohn Gottes (z. B. »Friedrich
von Spee, 1591-1635).
-
Der
erotische Petrarkismus, der die
Liebeswerbung zum Teil sehr detailreich ausmalt und die Geliebte oft mit
frivolen Angeboten und Aufforderungen überhäuft (z.B. ▪
Christian
Hofmann von Hofmannswaldau (1616-1679).
-
Der sog.
Antipetrarkismus, bei der die
aussichtlose Liebe zu der unerreichbaren Geliebten so ironisch
"umgedreht" wird, dass nicht mehr die Schönheit der Geliebten, sondern,
angesichts nicht erwiderter Liebe, deren Hässlichkeit oder ▪
Vergänglichkeit
der Schönheit (▪
Hofmannswaldau)
besungen wird.
Im Antipetrarkismus hat der Petrarkismus jedenfalls seinen
kritisch-parodierenden Antipoden gefunden, der zwar den stilistischen
und rhetorischen Vorgaben des petrarkistischen Systems folgte, zugleich
aber z. B. dessen Liebes- und Schönheitsideal umwertete, ohne dabei die
"petrarkistische(n) Gegenstände in einem niederen, spöttisch-derben
Stil" burlesk-travestierend zu behandeln. (vgl.
Borgstedt 2007,
S. 59) Beispielhaft dafür ist auch ▪
Paul Flemings (1609-1640) Parodie
▪ Wie? ist die Liebe
nichts? auf das Mustersonett Francisci Petrarchae
( ▪
Sonnet. Aus dem Italienischen Petrarchae), das ▪ Martin Opitz
(1597-1639) der Nachwelt zur Nachahmung und zum Übertreffen mit
eigenen Umdichtungen in seiner Übersetzung/Umdichtung der Vorlage von »Francesco
Petrarca (1304-1374) anpries.
Ebenso können die von ▪
Hans Assmann von Abschatz (1656-1699) übersetzten ▪ "Schertz-Sonette"
(1704) als thematisch besonders herausragende Beispiele des
antipetrarkistischen Hässlichkeitslobes gelten.
Auch das "Überzwerche Lob einer
schönen Dame", das
▪
Grimmelshausen (1622-1676) in seinem Roman ▪
Simplicissmus Teutsch
(1668) gestaltet hat, stellt dabei, allerdings in der oben
bezeichneten burlesk-travestierenden Art und Weise eines
spöttisch-derben Stils, eine Parodie des ▪
petrarkistischen Schönheitspreises dar (vgl.
Willems 2012,
Bd. I. S.235), ist aber i. e. S. keine antipetrarkistische Gestaltung,
die es ästhetisch mit einem bestimmten
Prätext aufnehmen und
diesen gar noch übertreffen will, sondern dient
satirischen Zwecken.
Auch wenn die Rezeption Petrarcas
der Komplexität seiner Werke nicht unbedingt gerecht wird, lassen sich aus
ihnen
feste klischeeartige Vorstellungen, Bilder und Motive gewinnen, die
besonders in die ▪ barocke Liebeslyrik Eingang gefunden haben.
Stereotype Vorstellungen über das Äußere von Frauen gehören ebenso dazu wie
Vorstellungen "von der Liebe als Kampf, Feuer, Leben und Tod." (Meid 2000.,
S.28)
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Gert Egle.
23.12.2023
▪
Petrarkismus und barocke Liebesauffassung
▪
Petrarca und die
Überbietungspoetik des Barock
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023