Neben
den ▪
typischen Erzählsituationen Stanzels der
älteren
Erzähltheorie, die weiterhin in der Schule verwendet werden, bietet
sich, zumindest für die ▪
schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte, an, auf das
Konzept der ▪
Erzähltextanalyse von
Jürgen H. Petersen
(geb. 1937) (1993,
72006)
zurückzugreifen.
Mit seiner
▪ "Kategorientafel"
(Petersen
1993, S. 8), die "die geschlossene Typologie durch einen
offeneren Merkmalskatalog ersetzt, der mehr (wenn auch nicht alle)
Kombinationsmöglichkeiten und damit eine feinere Klassifizierung
ermöglicht" (Jahraus
2009, S.228), will Petersen keine Erzähltheorie, sondern eine
"Deskriptionspoetik narrativer Texte fiktionaler Art" modellieren.
Sie unternehme den Versuch, "alle zur Erfassung dieser Texte
notwendigen Kategorien darzustellen und einander funktional
zuzuordnen." (Petersen
1993,
S.8).
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Bernhard Schlinks Roman •
Der Vorleser ist in der •
Erzählform
einer •
Ich-Erzählung gestaltet. Die •
Ich-Form besitzt eine
• bipolare Zweidimensionalität, bei der das Ich, so
Bode
(2005, S.153) "doppelt auf(tritt): als Erzähler seiner
Geschichte 'jetzt' und als Figur seiner Geschichte 'damals'".
Aus der Tatsache, dass der Ich-Erzähler •
Michael Berg
die erzählte Geschichte aus der Retrospektive
erzählt, ergibt sich eine
zweipolige Ich-ich-Struktur,
die das grundlegende Strukturelement des Romans darstellt. Einmal
erzählt also der fünfzigjährige •
Michael Berg
als erzählendes
bzw. sich
erinnerndes Ich die Geschichte, ein andermal kommt der
Fünfzehnjährige als
erlebendes bzw.
erinnertes Ich
zu Wort.
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Die Aufspaltung des Ichs bringt die beiden Pole in ein
Spannungsverhältnis zueinander. Dieses ergibt sich prinzipiell dadurch,
dass eine zeitliche Distanz zwischen dem
erzählenden und dem
erlebenden Ich liegt.
Was Michael Berg in der Retrospektive erzählt, liegt eben schon 35 Jahre
zurück. Daraus können sich - wie im richtigen Leben auch -
Erinnerungslücken ergeben. Zugleich gibt das erzählende Ich vor, dass es
sich wortwörtlich an Dialoge zwischen ihm und •
Hanna Schmitz
erinnern kann, die sich vor Jahrzehnten in etwa so zugetragen
haben. (vgl. Bode
2005, S.153).
Das •
erzählende (sich erinnernde) Erzähler-Ich (Michael Berg im Alter
von 50 Jahren) und das •
erlebende (erinnerte) Erzähler-Ich (Michael Berg zwischen 15 und 50
Jahren) stehen allerdings nicht nur in einer zeitlichen Distanz zueinander.
Das Spannungsverhältnis
zwischen beiden, wobei freilich das •
erzählende Ich ja streng genommen der Erzähler der ganzen Geschichte
ist, rührt prinzipiell daher, dass das
erzählende
Ich immer mehr weiß als das
erlebende Ich.
Allerdings legt es dieses Mehrwissen aber nicht von Anfang an offen,
sondern hält es "künstlich" zurück (Lahn/Meister 2013, S.71),
um die •
zweipolige Ich-ich-Struktur fzur Spannungserzeugung und für den
"Echtheitsausdruck" (Bode
2005, S.153) des in Retrospektion erzählten Geschehens zu nutzen.
Dabei beansprucht das erzählende Ich im
Vorleser stets die Rolle einer Figur, die über das vergangene,
aber auch gegenwärtige Geschehen reflektiert und dadurch eine
prinzipiell kritische Stellung einnimmt. Diese •
Reflektorrolle des erzählenden Ichs
rückt sein Erzählverhalten immer wieder in die Nähe •
auktorialen Erzählens, bei dem das erzählende Ich markant
hervortritt.
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•
FAQ: Was bringt eigentlich die Unterscheidung von erzählendem und
erlebendem Ich
Baustein: Wer erzählt die Geschichte?
Erzählendes und erlebendes Ich (Romanende und Romananfang)
▪
Schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte
▪ Einen Erzähltext mit der Kategorientafel analysieren
▪
Erzählformen und Erzählverhalten
(Petersen)
▪
Überblick
▪
Erzählform
▪
Standort des Erzählers (point of view)
▪
Erzählperspektive (Sichtweise)
▪
Erzählverhalten
▪
Erzählhaltung
▪
Darbietungsweisen