Die Aufgaben und die gesellschaftliche Funktionen, welche der traditionellen
Familie und ihrer ehemals nötigen "Vorform" der Ehe zugewiesen werden, sind
das Ergebnis eines langen historischen Prozesses.
Im Verlauf der Geschichte
haben sich auch jene Normen entwickelt und weiterentwickelt, die bis heute
die sozialen Gebilde Ehe und Familie fundieren und rahmen. Dazu zählen
rechtliche, soziale und religiöse Normen.
-
Religiöse
Normen: Ehe als Sakrament (Katholiken), Haltung zur Scheidung und
Empfängnisverhütung (Katholiken)
-
Rechtliche
Normen: Ehemündigkeit, Ehescheidung und Erbrecht
-
Soziale Normen:
Partnerwahl, häufig bestimmt durch bzw. eingeschränkt durch
konfessionelle und statusbedingte Aspekte
Bis zur Reformation waren die Vorstellungen von Ehe und
Familie streng an die Vorstellungen der katholischen Kirche gebunden. Im
katholischen Kirchenrecht war das Sakrament der monogamen Ehe für Zeugung
und Erziehung da und diente auf diese Weise dem "Fortgang der Welt. Die Zeugung
von Nachkommen stellt nicht nur den Zweck der Ehe, sondern auch den Sinn und
die Legitimation von Sexualität dar." (Wienfort
2014,S.11) Damit einher ging freilich bei Katholiken und Protestanten
die noch stärkere Ausgrenzung unehelicher Kinder, die gewöhnlich weder
anerkannt wurden, noch Unterstützung erhielten. (vgl.
Schmohl o. J.)
Trotzdem: Martin Luther und die Reformation setzten dagegen andere Akzente.
Indem sie den sakramentalen Charakter der Ehe verneinten, sahen sie in ihr
auch kein in die Transzendenz entrücktes "Geheimnis religiösen Glaubens
mehr", sondern ein Vertragsverhältnis. Sie ließen darüber hinaus den Zölibat
(seit dem 12. Jh. obligatorisch), die Pflicht für Priester unverheiratet zu
bleiben, das auch mit einer ungeheuren Abwertung des Sexuellen einherging,
hinter sich und "begriffen die Ehe zwischen Mann und Frau als grundlegendes
Verhältnis der Gesellschaft, als Basis für die soziale und politische
Vergemeinschaftung in Familie und Verwandtschaft, in der Kirche, in Stadt
und Gemeinde, schließlich im Staat." (ebd.)
Naturrechtsdenken und Vertragslehre in der frühen Neuzeit und der Aufklärung
machten die Ehe zu einem bürgerlichen Vertragsverhältnis, deren Aufgabe
darin zunächst einmal darin bestand, Sinnlichkeit gewissermaßen einzuhegen
und damit Sexualität und die dabei gezeugten Kinder rechtlich abzusichern.
Als dieser Prozess weitgehend abgeschlossen war, versachtlichte sich die
Definition von Ehe im Zusammenhang mit einer zunehmenden
Verwissenschaftlichung von Liebe und Sexualität, dass bis Ende des 19.
Jahrhunderts Ehe mehr und mehr zu einer auf einer vertraglich geregelten
Lebensform wurde, die Rechte und Pflichten der Ehepartner genau beschrieb. (vgl.
ebd.)
In Ideologie und Politik des Nationalsozialismus spielte die Ehe
eine überaus wichtige Rolle. Sie war Keimzelle der rassistisch definierten
Volksgemeinschaft und hat getreu der eugenisch-rassistischen Ziele des
Regimes für den arischen Nachwuchs zu sorgen.
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges rückte das reine Vertragsverhältnis wieder
in den Mittelpunkt: Wie um 1900 schon üblich, "zog sich das Rech auf das
Formale zurück. Es hält sich die Liebe vom Leibe. Das Ideal der Liebesehe
schrumpft auf die Freiwilligkeit der Eheschließung zusammen." (ebd.
S.12)
Heute stellt die Ehe eben vor allem ein rechtliches Verhältnis dar,
das per Unterschrift vor dem Standesbeamten Namen und Wohnsitz der Eheleute
ebenso wie ihre (vermögens-)rechtliche Beziehung zueinander, Erbfragen,
elterliche Sorge und die Versorgung der Partner nach einer möglichen
Scheidung regelt. Und selbst wenn Ehescheidungen heute längst die nichts
Ungewöhnliches mehr sind, werden sie, und auch das zeigt ihre historische
Bedingtheit und Verwurzelung noch immer an der Formel ausgerichtet »bis dass
der Tod euch scheidet«, es gibt also bis heute keine Möglichkeit, von
vornherein eine Ehe auf Zeit einzugehen.
Doch das Rechtsverhältnis prägt das Erscheinungsbild der Ehe nicht allein.
So wie die rechtlichen und religiösen Normen geschichtlich bedingt sind und
sich verändert haben, so ist die Ehe auch immer wieder von unterschiedlichen
kulturellen Leitbildern und ökonomischen Aspekten beeinflusst worden. Ihre
verschiedenen historischen Formen bringen verschiedene Bezeichnungen zum
Ausdruck, die unterschiedliche Aspekte von Ehen akzentuierten. (Liebesehe,
Konventions- oder Kameradschaftsehe,
Sachehe,
arrangierte Ehe,
psychologische
Ehe, Hausfrauenehe, Zivilehe, Mischehe, Scheinehe, Zwangsehe
usw.)
Und auch in unserer Gegenwart verändern sich die Vorstellungen darüber, wer
miteinander ein vertragliches Verhältnis eingehen kann, das der Ehe
gleichzustellen ist. Die Rede ist von der Einführung eingetragener
Lebenspartnerschaften für gleichgeschlechtliche Partner, die, seit sie 1989
in Dänemark eingeführt worden ist, in vielen Ländern möglich geworden ist
(2001: Lebenspartnerschaftsgesetz in Deutschland). Auch wenn damit noch
keine Ausweitung der Ehe als solche auf homosexuelle Paare, wie dies in den
Niederlanden seit 2001 gilt, vollzogen ist, komme es aber, so Wienfort, "zu
einer Ausdehnung des Vertragsverhältnisses auf Gruppen, die bisher
ausgeschlossen waren." (ebd.,
S.13) Wie traditionelle heterosexuelle Paare feiern nun auch homosexuelle
Paare Hochzeit und übernehmen selbstredend und genauso gut Funktionen, die
man früher lediglich heterosexuellen Ehepartner zugeschrieben hat: Sie
tragen gegenseitig Verantwortung für die Existenzsicherung, geben sich
Geborgenheit und Nestwärme und erziehen Kinder.
Lange Zeit war die Ehe aber auch ein Übergangsritus von der Kindheit ins
Erwachsenenleben. Wer heiratete, galt damit auch als erwachsen. Dabei hingen
die Rollen, welche Männer und Frauen in ihren Ehen übernahmen, auch in hohem
Maße von ihrer sozialen Lage und Stellung ab. Über die sozialen Schichten
hinweg spielten Männer indessen die Rolle des Ernährers, während Frauen sich
um Haushalt und Kinder zu kümmern hatten. Insbesondere für bürgerliche
Mädchen wurde die Ehe zur zentralen Lebensperspektive überhaupt, weil ihre
Lebenschancen häufig allein an diese gebunden waren. Dies erklärt auch, so
Wienfort, "warum im 19. Jahrhundert die Braut in den Mittelpunkt der
Hochzeitsfestlichkeiten getreten ist und das Brautkleid bis zu den
faszinierendsten Themen gehört. Bürgerliche Frauen sahen in der Hochzeit
zunehmend den wichtigsten Übergangsritus überhaupt. Als schönsten Tag
sollten sie die Heirat erleben und ihn als den Tag begreifen, der über das
Gelingen des Lebens entschied." (ebd.,
S.14) Die Ehe war für bürgerliche Frauen, die noch kaum Ausbildungs- oder
Berufschancen besaßen alternativlos und die Überhöhung des Hochzeitstags
dessen fast logische Konsequenz und die Mutterschaft schließlich das Ziel,
auf das ihr eheliches Leben hinsteuern sollte. Auch wenn man die bürgerliche
Ehe nicht nur unter dem Blickwinkel der Herrschaft der Männer über die
Frauen betrachten kann (vgl.
Nipperdey
1990, S. 49), entpuppt sich das Ganze aber auch als Weg hin zu einem
"patriarchalisch-hierarchischen Geschlechterverhältnis" (Kritik
der Ehe, o. J.), das die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verschärfte.
Der "faktische Entscheidungsvorrang, um nicht zu sagen, das
Entscheidungsmonopol des Mannes" bzw. "sein
paternalistischer
Patriarchalismus" ergab sich jedenfalls fast problemlos
aus der Hochstilisierung der Frau - sie war das bessere menschliche Wesen,
im Höheren zuhause" (ebd.,
S. 49) So führte letztlich auch die "die Aufspaltung in Privatheit und
Öffentlichkeit (...) zu einer Neudefinition der Geschlechterrollen. Dem Mann
wurde die Rolle als Ernährer zugeschrieben, er war zuständig für die
'Außenwelt'. Der Frau fiel die dienende Rolle in der 'Innenwelt' der Familie
zu: sie war für die häusliche Gemütlichkeit verantwortlich, hatte die Kinder
zu erziehen und - möglichst liebevoll - für den Ehemann zu sorgen." (Kritik
der Ehe, o. J.) Während die bürgerliche Gesellschaft sich die
bürgerliche Frau idealisierte und "das Ideal der Ehe als einer
Gefühlsgemeinschaft" predigte , "in der sich Gemüt und Verstand, jeweils
vertreten durch Frau und Mann", gleichwertig ergänzen sollten" (Schenk 1995,
S.93), führte der "strukturelle Machtvorsprung des Mannes" auch in der
bürgerlichen Institution der Ehe dazu, "dass sich günstigenfalls eine
Art Vater-Tochter-Verhältnis und im negativen Fall die Beziehung
zwischen einem Familientyrannen und einer vom Gefühl ihrer eigenen
Minderwertigkeit durchdrungenen Dienerin entwickeln konnte." (ebd.,
S.93).
Aber immerhin "(versuchte)
das aufstrebende Bürgertum des 18. Jahrhunderts (...) erstmals, Liebe,
Sexualität und Ehe zu einem Gesamtpaket zu schnüren." Dies sei zugleich "das
Neue am bürgerlichen Ehemodell" gewesen, wie es in der Romantik mit
seiner Flut von Eheratgebern vermittelt worden sei. "Die (romantische) Liebe
wurde allmählich zum einzig gültigen Anlass und Motiv. (Nichts desto trotz
waren auch materielle Aspekte bei der Eheschließung durchaus bedeutsam.)
Erstmals war auch sexuelle Erfüllung wichtiger Faktor einer guten Ehe, die
allgemein eine Emotionalisierung und Intimisierung erfuhr. Zärtlichkeit
zwischen den Partnern wurde integriert und es gab einen starken
Bedeutungszuwachs der Rolle des Kindes. Erstmals sprachen sich die Ehegatten
mit Du an, später auch die Kinder ihre Eltern Die Kindheit als
Lebensabschnitt wurde entdeckt, von der Erwachsenenwelt fürsorglich
abgetrennt und zur pädagogischen Provinz erklärt. Es gibt nicht länger nur
Prügel; jetzt genießt das Kind Erziehung. Ebenfalls entwickelte sich die
Betonung eines häuslichen Ehe- und Familienlebens nach gutbürgerlicher
Sittlichkeit." (Kritik
der Ehe, o. J.)
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▪ Baustein:
Welche gesellschaftlichen Aufgaben erfüllt die Familie?
▪
Das Liebes- und
Lebenskonzept der bürgerlichen Ehe
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
17.11.2019