Wissensunterschiede, die in einem
Drama eine Rolle spielen, können
▪ handlungsübergreifend (diachron) oder handlungsintern
(synchron) sein.
Handlungsübergreifend sind sie dann, wenn sie das
Verständnis des Leser bzw. Publikums bzw. ihren Grad der
Informiertheit im Hinblick auf die weitere Entwicklung
der Ereignisse betreffen. (vgl.
Asmuth
62004, S. 114)
Meistens handelt es sich dabei um
Wissensunterschiede, die dem Rezipienten einen
Informationsvorsprung gegenüber den Figuren verschaffen.
Von dieser
(besseren) epistemologischen Position aus versteht ein Zuschauer
mit den aus unterschiedlicher Informiertheit entstehenden,
verschiedenen Wahrnehmungen und Sichtweisen von Figuren
umzugehen. Dadurch kann er sie gegeneinander abwägen, beurteilen und
nach eigenem Gutdünken zu bewerten.
Handlungsübergreifend in
diesem Sinne sind ▪ Vorausdeutungen und die so genannte
▪ dramatische Ironie. (vgl.
ebd., S. 114f.)
Spricht man im alltagssprachlichen Kontext von Ironie, dann
ist damit gewöhnlich eine Form von uneigentlichem Sprechen
gemeint, bei dem vereinfacht ausgedrückt, etwas anderes gesagt
wird, als "eigentlich" gemeint ist. Insoweit entspricht die
Bedeutung der »altgriechischen
Herkunft des Wortes (εἰρωνεία
eirōneía), das wörtlich etwa Verstellung oder
Vortäuschung bezeichnet. Als ▪
rhetorische Sinnfigur, bei der ein Sprecher etwas, das
seiner wahren Einstellung oder Überzeugung nicht entspricht,
äußert, lässt sie aber für Rezipienten, die aus
unterschiedlichen Gründen dazu in der Lage sind, auch ganz oder
teilweise durchscheinen lässt, was wirklich gemeint ist.
Ironisch kann man sich, mit oder ohne Ironiesignale (Mimik,
Gestik, Betonung, Anführungszeichen usw.), die
Missverständnissen vorbeugen sollen, von etwas distanzieren oder
auch gegen etwas Bestimmtes polemisieren. Wir sprechen aber auch
von der "Ironie des Schicksals" oder der "Ironie des Lebens",
wenn wir betonen wollen, dass bestimmte Ereignisse eintreten,
bei denen das, was man erreichen wollte durch einen oder mehrere
Zufälle verhindert worden ist.
Mit der alltagssprachlichen Verwendung des Begriffs hat seine
Verwendung im Rahmen der Dramenanalyse nur so viel gemeinsam,
dass ihm beide Male eine Uneigentlichkeit beim Sprechen
zugrundeliegt, die unter jeweils besonderen
Kommunikationsbedingungen ihre Wirkungen entfaltet.
Dabei ist mit dramatischer Ironie auch nicht gemeint, dass
die Figuren in ihren Repliken das Mittel der Ironie zu
verschiedenen Zwecken einsetzen. Was sie ironisch sagen, ist im
Falle eines Dialoges an eine oder mehrere Figuren adressiert und
soll von diesen als Ironie durchschaut werden. Solche ironischen
Effekte auf der Ebene der Kommunikation zwischen Figuren eines
Dramas sind also nicht gemeint, wenn von dramatischer Ironie
gesprochen wird. Dramatische Ironie ist also nicht
gleichbedeutend mit Ironie im Drama. (vgl.
Pfister 1977, S.87)
Dramatische Ironie im engeren Sinne "tritt immer dann auf,
wenn die sprachliche Äußerung oder das außersprachliche
Verhalten einer Figur für den Rezipienten aufgrund seiner
überlegenden Informiertheit eine der Intention der Figur
widersprechende Zusatzbedeutung erhält." (ebd.,
S.88)
Dies lässt sich z.B. in ▪ Tragödien
beobachten, wenn "der Zuschauer oft hinter einer scheinbar
unverfänglichen, vielleicht sogar heiter gemeinten Äußerung eine
aus der Sicht der Figur unfreiwillige, aus der Sicht von Autor
und Publikum aber um so gezieltere Anspielung auf die spätere
Katastrophe (erkennt)." (Asmuth
62004, S. 123)
So hat z. B. der »König
Ödipus (429–425 v. Chr.) in der ▪
antiken griechischen Tragödie von
»Sophokles
(497/496-406/405 v. Chr.), der im Unterschied zum Publikum
bis zum tragischen Ende nicht weiß, dass er, als er dem Mörder
seines Vorgängers verflucht und ihm die Verbannung androht,
damit sich selber verurteilt.
Auch in diesem Fall zeigt sich die dramatische Ironie "in der
Diskrepanz zwischen der von der Figur intendierten Bedeutung und
der Deutung durch das Publikum" (Pfister
1977, S.89). So "deutlich und in punktuelle Effekte
auflösbar" (ebd.,
S.90) ist sie allerdings nicht immer, "da sie sich häufig als
komplexes System von Relationen zwischen einander wechselseitig
relativierenden Situationen, Aktionen und Repliken realisiert."
(ebd.)
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
13.07.2020