Neben dem allgemeinen Selbstkonzept mit seinen auf Erfahrungen
beruhenden untergeordneten Selbstkonzepten wie dem körperbezogenen,
dem leistungsbezogenen, dem sozialbezogenen oder emotionsbezogenen
Selbstkonzept, spielen aber noch Vorstellungen und Visionen darüber,
was wir sein könnten, eine zentrale Rolle bei der Strukturierung,
Organisation und Regulierung unserer Handlungen, Gedanken und
Gefühle. (Markus
und Nurius 1986,
Inglehart u. a. 1989)
Diese Visionen, die sowohl positiv wie
auch negativ besetzte Vorstellungen beinhalten, haben einen großen
Einfluss darauf, mit welcher Kraft und Energie wir Ziele, die wir
uns setzen, in der Zukunft erreichen wollen. Daher beeinflussen
sie damit
auch die Persönlichkeits- bzw. Selbstentwicklung in ganz erheblichem
Maße.
Solche Visionen werden als
mögliche Selbst bezeichnet, als "die Selbst, die wir werden könnten,
und die Selbst, die wir zu werden fürchten" (Markus/Nurius
1986, S.634, zit. n.
Zimbardo/Gerrig
(2004, S.634)
Ein positives mögliches Selbstkonzept kann
dabei auch wirksam helfen, Probleme der Gegenwart im Vertrauen auf
die zukünftige eigene Entwicklung zu bewältigen, insbesondere dann,
wenn das mögliche positive Selbstkonzept sich klar davon abhebt,
sein Erreichen mit bestimmten Strategien verknüpft ist und mit
anderen Aspekten des Selbstkonzepts übereinstimmt.

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Ein "Ausflug" in die Literatur: Ebenezer Scrooge,
der grantelnde Geizhals in der "Weihnachtsgeschichte" von Charles
Dickens
In der Weltliteratur hat »Charles
Dickens (1812-1870) in seiner »"Weihnachtsgeschichte"
(A christmas Carol, 1843) ein besonders eindrückliches Beispiel
für die Wirkung der möglichen Selbst gestaltet. (vgl.
Strahan/Wilson 2006, S.1 -3).
Ebenezer Scrooge, ein grantelnder Geizhals, erhält darin in
einer einzigen Nacht, am Weihnachtsabend, zunächst Besuch von seinem
verstorbenen Teilhaber Jacob Marley und dann von drei weiteren
Geistern erhält, die ihm den Spiegel aus Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft vorhalten und ihm dadurch letztendlich helfen, sich und
sein Leben zu ändern.
Zunächst erscheint ihm sein ehemaliger, aber schon vor längerer Zeit
verstorbener Teilhaber Jacob Marley, der einzige Freund, den der
habgierige Geizhals je gehabt hat. Marley, der über und über mit
Ketten behangen ist, an denen Geldkassetten, Geldbeutel u. ä.
befestigt sind, erklärt Scrooge, dass er sich diese Ketten im Laufe
seines Lebens, in seiner endlosen Gier nach Geld selbst geschmiedet
habe. Nun müsse er, der sich zu Lebzeiten nie unter Menschen begeben
habe, darin unter den Menschen "herumgeistern". Zugleich macht er
den aufgeschreckten Scrooge darauf aufmerksam, dass dessen Kette
seit seinem Tod vor sieben Jahren noch deutlich länger ausfallen
werde. Vor seinem Abgehen kündigt Marley Ebenezer Scrooge noch den
Besuch von drei weiteren Geistern in dieser Nacht an.
Mitten in der Nacht erwacht Scrooge. Vor ihm steht der "Geist
der vergangenen Weihnacht", von Dickens als Kind und Greis
mit komischen Zügen gestaltet. Mit ihm begibt sich Scrooge auf eine
Reise durch seine eigene Vergangenheit. Dabei wird ihm sein Leben
von früher Kindheit bis hin zum Erwachsenenalter an exemplarischen
Beispielen vorgeführt und dem Leser damit zugleich Einblick in das
Werden seiner derzeitigen Persönlichkeit gegeben. Der zweite Geist,
der "Geist der
diesjährigen Weihnacht" nimmt Scrooge mit auf einen Rundgang
durch das gegenwärtige London am Weihnachtsabend und führt ihm dabei
u. a. vor, wie bitterarm sich sein Schreiber Robert Cratchit mit
seinem sterbenskranken Sohn Tim durchschlagen muss und doch
versteht, mit seiner Familie ein schönes Weihnachtsfest zu feiern.
Der letzte Geist, der Scrooge, ohne etwas zu sagen, erscheint, ist,
das muss Scrooge selbst erschließen, der "Geist
der zukünftigen Weihnacht". Erneut wird Scrooge durch die
Straßen Londons geführt. Dabei wird ihm vorgeführt, wie die Menschen
über ihn nach seinem Tod ohne jedes Mitgefühl und ohne jede Regung
von Trauer reden und seine z. T. aus dem Haus des Verstorbenen
gestohlenen Güter untereinander verteilen.
Der Blick in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die ihm
aufzeigen, wohin ihn die Beibehaltung seines augenblicklichen Selbst
führen wird, bringt den alten Geizkragen letztlich zur Einsicht:
»Ich will in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft
leben«, wiederholte Scrooge, als er aus dem Bett kletterte. »Die
Geister von allen dreien sollen in mir lebendig sein." So geläutert
und mit der Einsicht, wie sein bis dahin vorherrschendes Selbst
entstanden, wodurch es aufrechterhalten und wie es sich immer
erschreckender entwickeln würde, kann Scrooge sein Selbstkonzept
verändern. Auch wenn die Konfrontation mit den früheren und zukünftigen
Selbst sich im realen Leben gewöhnlich nicht so dramatisch
darstellt, berührt der Einfluss der persönlichen Erinnerungen an
sich und das eigene Verhalten sowie die Vorstellungen über mögliche
Entwicklungen der eigenen Persönlichkeit die Identität des einzelnen
und seine Motivationen, Antriebe und Energien in der Gegenwart in
beträchtlichem Maße. (Strahan/Wilson
2006). Für Lehren und Lernen gewinnen Maßnahmen, die auf die Stärkung eines
positiven Selbstkonzeptes hinwirken, dadurch besondere Bedeutung.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
29.01.2021
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