Die älteste, der Psychologie zuzuordnende
Definition
des Selbst stammt von dem US-amerikanischen Psychologen und
Philosophen »William
James (1842-1910), die er in seinem Standwerk zur
Psychologie »The
Principles of Psychology aus dem Jahr 1890 gegeben hat
(zit. in der Übersetzung von
Schneider
1991, S.76):
"Im weitestmöglichen Sinn ist das Selbst die Summe all
dessen, was ein Mann sein Eigen nennen kann, nicht nur seinen
Körper und seine psychischen Kräfte, sondern auch seine Kleidung
und sein Haus, seine Frau und seine Kinder, seine Vorfahren und
Freunde, sein Ruf und seine Arbeit, seine Ländereien und Pferde,
seine Yacht und sein Bankkonto."
Ältere Vorstellungen über das Selbst
Historisch gesehen ist das, was man sich zu verschiedenen
Zeiten unter dem Selbst vorgestellt hat, sehr verschieden. Und wer
den Blick über den eigenen Kulturkreis hinaus richtet, wird auch
heute noch schnell sehen, dass das Selbst in modernen
Industriegesellschaften des Westens anders definiert wird als
anderswo in der Welt.
Unsere Entwicklung "eines neuen Modus
der Vergesellschaftung", der das Verhältnis von Individuum und
Gesellschaft im Zuge der Individualisierung grundlegend verändert
hat (Beck 1986,
S. 205ff.), bei dem jeder einzelne "bei Strafe seiner permanenten
Benachteiligung" lernen muss, "sich selbst als Handlungszentrum,
als Planungsbüro in bezug auf seinen eigenen Lebenslauf, seine Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu
begreifen" (ebd.,
S.217), besitzt weder aktuell, noch in unserer eigenen
Geschichte universelle Gültigkeit.
"Ein aktives Handlungsmodell des Alltags, das das Ich zum
Zentrum hat" (ebd.) und ihm mit "Biografiebastelei und Identitätsarbeit" die
Aufgabe stellt, unter eigener Regie aus "vorgegebenen biographischen
Entwurfsschablonen und Schnittmustern" (Keupp
1997, S. 16) herauszutreten, ist im (europäischen) Mittelalter, in dem der
Einzelmensch wenig, sein Platz in seinem Verband aber nahezu alles
ist (vgl. Borst
1979, S.234) undenkbar. In einen Stand hineingeboren in einer gottgewollten Ordnung
gab es keinen Raum, sein Selbst im Sinne moderner Individualität zu
entwickeln. (vgl.
Baumeister 1997)
Hier galten persönliche Bindungen alles, "niemand, der nicht
'seinen' Herrn gehabt und gekannt hätte." (Borst
1983, S.12)
Und während wir heutzutage ein Leben führen, das
fortlaufenden, immer schneller sich vollziehenden Wandlungsprozessen
in allen denkbaren Bereichen des Lebens unterworfen ist, geht es im
Mittelalter eben gerade "nicht um Wechsel, sondern um Dauer" und
"Sein bedeutet: sich nicht verändern. (...) Alles, was mit Unruhe
und Forschen zusammenhängt, ist nicht 'in Ordnung'". Und alles
eingebettet "in die Gewissheit der endlichen Erlösung". (Borst
1983, S.26f.)

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Das Selbst ist ein historisch-soziales Konstrukt
Was uns heute auch im Alltagsverständnis unseres Selbst so
selbstverständlich zu sein scheint, dass wir uns in unserem Selbst
von anderen unterscheiden, ist auch ein historisch-soziales
Konstrukt, das erst nach und nach, an der Zeitenwende zur Neuzeit,
in der Renaissance und Frühaufklärung, Bedeutung gewinnt. In dieser
Jahrhunderte währenden Entwicklung schälte sich die
Vorstellung eines
"inneren Selbst" heraus, das als Metapher den privaten
Zugang des einzelnen zu seinen eigenen Gefühlen, Gedanken und
Motiven (vgl. Schneider
1991, S.77) legitimierte und ermöglichte, sowie die Vorstellung,
"dass das 'innere Selbst' die Quelle der Persönlichkeitszüge sei,
die für die Leistungen der Person verantwortlich seien."
Folgerichtig gewannen Künstler und Schriftsteller, die es im
Bewusstsein ihrer Zeitgenossen verstanden, ihrem "inneren Selbst"
Ausdruck zu verleihen, ein entsprechend hohes Ansehen. (vgl.
Altick 1965)
Theorien
des Selbst
Theorien des Selbst sind nach
Zimbardo/Gerrig
(2004, S.633ff.,649) Persönlichkeitstheorien, welche das
Selbstkonzept einer Person als Schlüssel zum Verständnis der
Persönlichkeit ansehen. Sie definieren das Selbstkonzept als "das
mentale Modell einer Person über ihre Fähigkeiten und
Eigenschaften".
Mummendey
(1995) versteht darunter die Gesamtheit aller von einer Person
über sich selbst vorgenommenen Beurteilungen, die sich beim
Beschreiben und Bewerten bestimmter Eigenschaften, Fähigkeiten und
Fertigkeiten niederschlagen. Auf diese Weise schreibt man sich
selbst bestimmte Eigenschaften zu, die uns zu einer bestimmten, von
anderen unterschiedlichen, Persönlichkeit werden lassen.
Das Selbstkonzept, das aus vielen Komponenten besteht, stellt dabei
"eine dynamische geistige Struktur" dar, "die intra- und
interpersonale Verhaltensweisen und Prozesse motiviert,
interpretiert, strukturiert, vermittelt und reguliert." (Zimbardo/Gerrig
2004, S.633) Intrapersonal sind dabei jene Prozesse, die etwa mit
Gefühlen oder mit unserer Motivation zusammenhängen, interpersonal
diejenigen, welche helfen, soziale Wahrnehmungen und Entscheidungen
zu interpretieren.
Das Selbstkonzept umfasst eine Vielzahl von Elementen und lässt sich
unter ganz verschiedenen Perspektiven betrachten und analysieren. Zu
seinen Elementen zählen u. a.:
-
Erinnerungen an uns selbst, die wir gespeichert haben,
-
Überzeugungen darüber, welche überdauernden Eigenschaften unser
Verhalten über unterschiedliche Situationen hinweg beeinflussen (»Traits)
-
Vorstellungen darüber, welche Wertmaßstäbe unser
Verhalten leiten
-
Überzeugungen darüber, was uns antreibt (Motivationen)
-
Vorstellungen von einem idealen
Selbst, das wir am liebsten sein wollen
-
Vorstellungen von den
▪
möglichen
Selbst, die man unter Umständen verwirklichen könnte
-
das Selbstwertgefühl mit seinen positiven und negativen
Bewertung unser selbst
-
Überzeugungen davon, was andere über uns denken
Selbst und Selbstschemata
Das Selbstkonzept als dynamische Struktur und Regulationsinstanz
agiert im Allgemeinen mit bestimmten
▪
Schemata, den so genannten "Selbstschemata"
(Markus 1977),
die es uns ermöglichen, andere Aspekte unserer Erfahrung zu
verwalten. Dabei geht ihre Wirkung über die Verarbeitung von
Informationen hinaus, die wir über uns selbst gewinnen. Häufig
dienen die Schemata, die wir auf uns selbst anwenden, auch dazu,
Informationen, die uns über andere Personen mitgeteilt werden, zu
verarbeiten. (vgl.
Zimbardo/Gerrig
(2004, S.633) (▪
Schematheorie)
Selbstschemata lassen die dynamische mentale Struktur des
Selbstkonzepts aber keineswegs erstarren, sondern können sich, wie
Schemata in anderen Bereichen auch, durch
▪
Wissenszuwachs, Feinabstimmung, Umstrukturierung und
Integration weiter entwickeln. (vgl.
Einsiedler
1996, S.177)
Das allgemeine
Selbstkonzept, das ein Mensch von sich entwickelt, entsteht
aus Erfahrungen, die er
gemacht hat.
Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die das Selbstkonzept
beeinflussen können. Neben dem, was die Gesellschaft ganz allgemein
von dem einzelnen erwartet, in welchem sozialen Umfeld sich der
einzelne bewegt und welche Erfahrungen er dabei macht, spielen auch
die Medien eine
bedeutende Rolle. Sie tragen zu den Vorstellungen bei, die sich der
einzelne über sein ideales Selbst macht, zeigen ihm unter Umständen
auf, welche möglichen Selbst, "die Selbst, die wir werden könnten,
und die Selbst, die wir zu werden fürchten" (Markus/Nurius
1986, S.634, zit. n.
Zimbardo/Gerrig
(2004, S.634) für ihn in Frage kommen. Damit vermitteln die
Medien nicht nur Informationen, sondern tragen auch dazu bei, dass
bestehende Selbstschemata entweder bestätigt werden oder aber einer
dynamischen Weiterentwicklung unterzogen werden. Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
29.01.2021
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