Mindestvoraussetzungen eines demokratischen Systems
Die
Art und das Ausmaß der politischen Beteiligung von Bürgerinnen und
Bürgern an politischen Entscheidungen in Demokratien hängen zunächst
einmal davon ab, wie ein demokratisches System den Willen des Volkes
ermitteln und umsetzen will.
Dabei wird die Herrschaft des Volkes, die
das Wesen demokratischer Systeme ausmacht, in unterschiedlichen Formen
verwirklicht. Diese basieren mehr oder weniger stark auf zwei
verschiedenen Grundmodellen der Demokratie, die sich in der
politisch-gesellschaftlichen Praxis allerdings aus unterschiedlichen
Gründen miteinander vermischen.
Mindestvoraussetzungen einer
demokratischen Ordnung sind dabei, dass das Volk "über die Verfassung und
ihre Änderung das letzte Wort hat und in periodischen Wahlen die
Regierenden bestimmt und ihnen damit auf Zeit öffentliche Gewalt überträgt."(Gesellschaft
und Staat 1995, S.184)
Im Vollzug dieser demokratischen Akte äußert
sich die Volkssouveränität und zugleich
legitimieren sie
die demokratische Herrschaftsausübung. Dabei zielt Demokratie
grundsätzlich immer darauf, unabhängig davon, ob das Volk sich selbst
regiert oder die Regierung gewählten Repräsentanten auf Zeit überträgt,
die Identität von Regierten und Regierenden herzustellen. Anders
ausgedrückt: Unabhängig davon, ob alle oder nur eine Mehrheit in einer
Demokratie eine bestimmte Entscheidung fällen, immer strebt Demokratie
an, den Willen des gesamten Volkes auszudrücken.
Damit das überhaupt
möglich werden kann, muss eine Demokratie aber auch die Freiheit und
Gleichheit aller Mitglieder des Volkes garantieren. Dementsprechend
setzt das demokratische Mehrheitsprinzip auch "den Pluralismus der
Meinungen und einen offenen Meinungs-, Willensbildungs- und
Entscheidungsprozess voraus. Alle Anschauungen über die Regelung der
öffentlichen Angelegenheiten müssen freien Zugang zum Wettbewerb und die
gleiche Chance, Mehrheit zu werden, haben." (ebd.,
S.185)
Und: Damit die Mehrheitsherrschaft nicht zur Mehrheitsdiktatur
entartet, muss die jeweils unterlegene Minderheit auch weiterhin mit
demokratischen Mitteln den Versuch unternehmen können, doch noch
Mehrheit zu werden: "Mehrheitsentscheidungen müssen also
prinzipiell veränderbar sein - Reversibilität der Gesetzgebung".
(ebd.)
Direkte und indirekte Demokratie als Grundtypen
Zwei Grundtypen der Demokratie können voneinander unterschieden
werden.
Bei diesem Typ der Demokratie (auch plebiszitäre/unmittelbare/identitäre
Demokratie genannt) übt ein Volk die Herrschaft über sich selbst
aus, d.h. alle Bürgerinnen und Bürger sind an allen politischen
Entscheidungsprozessen beteiligt, entscheiden so letzten Endes über
alle öffentlichen Belange (Gesetze) selbst und bestellen und
kontrollieren die Regierung und die Gerichte.
Dies könnte durch
"eine permanent tagende Volksversammlung in kleinsten
staatlichen Einheiten" (ebd.,
S186, Hervorh. d. Verf.) oder "auch durch
Volksabstimmungen
und Volkswahlen erreicht werden, in denen das Volk selbst
wichtige Entscheidungen (Verfassungsgebung- und -änderung,
politische Grundsatzfragen) trifft bzw. dadurch, dass Beauftragte
für die Gesetzgebung gewählt werden, die dann aber an Aufträge
gebunden sind (imperatives Mandat) und abgewählt werden
können." (ebd.,
Hervorh. d. Verf.)
In der modernen Staatenwelt gibt es heute keine Demokratie, die den
Idealtypus der direkten Demokratie realisiert hat. Selbst in der
Schweiz, das dem Modell noch am ehesten nahekommt, entscheiden
gewählte Abgeordnete über die meisten politischen Fragen.
In Demokratien mit direkter Demokratie kommt es als
inputorientiertes
Demokratiekonzept immer darauf an, Bürgerinnen und Bürger zu
befähigen und es ihnen zu ermöglichen, im Idealfalle alle politischen
Entscheidungen selbst zu fällen. Das Modell der direkten Demokratie geht
in seiner "klassischen" Form auf den französischen Philosophen
Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) zurück.
▪
Direktdemokratische
Entscheidungsprozesse
▪
Auswirkungen direkter Demokratie: Empirische Befunde im Pro und
Contra
▪
Bundesweiter
Volksentscheid
▪
Zehn Argumente gegen die Einführung bundesweiter Volksentscheide
- Repräsentative Demokratie (auch: indirekte Demokratie)
In einer repräsentativen Demokratie überträgt das souveräne
Staatsvolk die Herrschaftsausübung für eine bestimmte Zeitdauer auf
Repräsentanten (Volksvertreter/Abgeordnete), die in seinem
Namen, jedoch ohne bindenden Auftrag (freies Mandat) die
Gesetzgebung und die Regierung übernehmen.
Dabei sind die
Abgeordneten dem Gesamtinteresse des Volkes, dem Gemeinwohl,
verpflichtet, wobei sie eigenverantwortlich interpretieren können,
was das Volk will. (vgl.
ebd.)
In repräsentativen Formen der Demokratie kommt es auf der Basis eines
outputorientierten
Demokratiekonzept darauf an, ob es im Rahmen des politischen
Willensbildungsprozess gelingt, eine Politik zu gestalten, die das
Gesamtwohl der Bürgerinnen und Bürger verwirklicht.
Die Bundesrepublik Deutschland verwirklicht die Herrschaft des
Volkes, den Wesenskern jedes demokratischen Systems, in der Form einer
repräsentativen Demokratie (auch: mittelbare Demokratie). Sie
folgt dem Ideal der so genannten Konkurrenzdemokratie, die
ideengeschichtlich u. a. auf den englischen Philosophen »John
Locke (1632-1704) zurückgeht, der annimmt, dass in der
Konkurrenz von Teilinteressen ein sozialer Ausgleich geschaffen
wird, der, wenn er wirklich gelingt, das Gemeinwohl im Nachhinein
realisiert.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.01.2020
|