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Die
persönliche Annäherung zwischen
Goethe und
Schiller
vollzog sich langsam und unter Schwierigkeiten. Goethe verhielt sich
lange reserviert; Schiller wurde in seinem Ringen um ihn zwischen
neidvoller Bewunderung und unbefriedigtem Ehrgeiz hin- und hergerissen.
Erst sechs Jahre nach ihrem ersten Zusammentreffen kommt es 1794 - nun
allerdings in kürzester Frist . zu intensivem Gedankenaustausch, zur
Vereinbarung einer Zusammenarbeit und zur Freundschaft. [...]
Die Schrift, in der die Grundlagen des Freundschaftsbundes fast
vertragsmäßig festgehalten sind, ist Schillers
Ankündigung der Horen
vom Dezember 1794. Man kann dieses »herrliche Stück Prosa« (Thomas
Mann) mit einigem Recht als das authentische und autorisierte gemeinsame
Klassik-Programm von Goethe und Schiller bezeichnen; denn dass Goethe
an diesem Programm aktiv mitgewirkt hat und dass Schiller hier die
größtmögliche Übereinstimmung mit Goethe zu erreichen suchte, kann
aufgrund der intensiven Vorgespräche als sicher gelten. Es wurden die
folgenden Vereinbarungen getroffen, die zugleich als eine Selbstbestimmung
der Klassik gelten können:
-
Es soll keine Parteinahme im gegenwärtigen »Kampf politischer
Meinungen und Interessen« geben, sondern die Bereitschaft, »sich über
das Lieblingsthema des Tages ein strenges Stillschweigen aufzuerlegen«
und den »unreinen Parteigeist« zu verbannen.
-
Man will sich bemühen, »die politisch geteilte Welt unter der Fahne
der Wahrheit wieder zu vereinigen«, indem nicht auf partikulare, sondern
auf allgemeinmenschliche und zeitunabhängige Bedürfnisse eingegangen
wird.
-
Es wird ein Zusammenschluss zu einem »engen vertraulichen Zirkel«
beschlossen, zu einer »Sozietät« und »achtungswürdigen Gesellschaft« der
»verdienstvollsten Schriftsteller Deutschlands«, die der
»leidenschaftsfreien Unterhaltung«, der »fröhlichen Zerstreuung« und der
Bildung dienen.
-
Man will das Bildungsziel verfolgen, »wahre Humanität zu befördern«.
In diesem Sinne soll die Sozietät »zu dem Ideale veredelter Menschheit
[...] einzelne Züge sammeln und an dem stillen Bau besserer Begriffe,
reinerer Grundsätze und edlerer Sitten, von dem zuletzt alle wahre
Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes abhängt, nach Vermögen
geschäftig sein«.
-
Man ist sich einig in dem Bestreben, die »Schönheit zur Vermittlerin
der Wahrheit zu machen«. In diesem Sinne will man zur Versöhnung der
Künste mit den Wissenschaften beitragen.
-
Man verpflichtet sich auf die von der Antike hergeleiteten
Grundwerte »Wohlanständigkeit und Ordnung, Gerechtigkeit und Friede« (=
Horen) im Bereich der Ästhetik und des Sozialen.
-
An jeden potentiellen weiteren Teilnehmer der Sozietät ergeht die
Forderung, »sich den notwendigen Bedingungen des Instituts zu
unterwerfen«.
Es ist ein umfassendes Konzept, das hier vorliegt. Auf nichts Geringeres
ist es dabei abgesehen als auf eine mit höchstem künstlerischen, geistigen
und moralischen Anspruch auftretende Elite, die keine Zugeständnisse an
Moden und Mehrheiten macht. [...]
Das hier zutage tretende, später so viel strapazierte »klassische
Menschenbild«, wie es auch in der Lyrik, vor allem in den Balladen,
begegnet, lässt sich nicht ohne weiteres auf ethische Postulate
reduzieren. Die »Werte« der Freundschaft, Gerechtigkeit und Wahrheit, der
Wohlanständigkeit und des Friedens [...] sind vielmehr eingebettet in eine
umfassende Bestimmung der Position des Menschen in seinem Verhältnis zur
Geschichte, insbesondere zur Antike, zur Natur, zur Gesellschaft und zur
Kunst. Im klassischen Humanitätsbegriff fließen historische,
naturwissenschaftliche, zeitgeschichtliche, philosophische und ästhetische
Gedanken zu einer untrennbaren Einheit zusammen.
(aus:
Wulf Segebrecht 1983, S.215f., gekürzt; Aufzählung der Punkte 1 - 7
aus dem Fließtext in andere Form gebracht)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023