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Alltagsargumentationen,
zu denen mündliche und schriftliche Äußerungen zählen, können auf
vielfältige Art und Weise betrachtet und analysiert werden.
Was Alltagsargumentationen, zu denen mündliche Auseinandersetzungen
ebenso zählen wie gedruckte Zeitungsartikel (Kommentare, Glossen)
(vgl.
Bayer
1999, S.93f.), von Argumentationen im wissenschaftlichen oder
philosophischen Bereich unterscheidet, ist vor allem ihre
pragmatische Bedeutung, d. h. das, was sie im Rahmen einer
Kommunikation anstreben und wie sie diese Zwecke erreichen wollen.
In Alltagsargumentationen geht es meistens um die Pflege sozialer
Beziehungen und oft geht es dabei um die Lösung von Konflikten, die
mit bestimmten Alltagssituationen verbunden sind.
Für Konflikte sollen z. B. bestimmte Entscheidungen so begründet
werden, dass sie einem anderen oder einem Publikum so weit
einleuchten, dass sie akzeptiert werden. Dafür reicht es aus, dass
eine Argumentation im weiten Sinne ▪
plausibel, aber eben nicht zwingend
"wahr" ist.
Maßgeblich dafür, ob etwas in einem allgemeinen Sinn für
plausibel bzw. einleuchtend oder überzeugend gehalten wird oder
nicht, ist also die Wirkung bestimmter Argumente. Ob der Adressat
oder die Adressatin einer argumentativen Äußerung, diese tatsächlich
für plausibel hält, ist allerdings von etlichen Faktoren abhängig,
bei weitem nicht allein davon, was und wie etwas bei einer
Argumentation vorgebracht wird. Dazu gehören u. a. die
Kommunikationssituation, die psychischen Dispositionen des
Adressaten, seine Erfahrungen und sein Weltwissen und anderes mehr.
Und wenn man die ▪ kognitiven Verzerrungen
mit einbezieht, denen wir unterlegen (z. B. das ▪
Meine-Seite-Denken bzw. Myside-Bias), das
u. a. dazu führt, dass wir uns in unserem allgemeinen Denken, in
besonderer Weise aber im Bereich der ▪
moralischen Argumentation,
ganz unabhängig vom Bildungsniveau, das wir erreicht haben, bei der
Bewertung und der Formulierung von Beweisen und Hypothesen in der
Regel an unseren früheren Überzeugungen, Meinungen und Einstellungen
orientieren (vgl.
Stanovich 2020,
S.2), wird die gesamte Komplexität des Problems weiter angedeutet.
Trotzdem: Es gibt auf der Sachebene der Kommunikation bestimmte ▪
Muster der Alltagsargumentation, die erfahrungsgemäß dazu
beitragen können, dass die Adressat*inneneine Äußerung "akzeptieren, sie
'glauben'" (Kolmer/Rob-Santer
2002, S.148), selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die
gemachten Aussagen falsch sind.
In einem engeren Sinne ist Argumentieren dann plausibel, wenn es
bestimmte ▪ Muster der
Alltagsargumentation korrekt anwendet, die auch als Teil eines
erweiterten realitätsorientierten ▪
Regelkatalogs zum vernünftigen bzw. vernunftorientierten
Argumentieren in privaten und öffentlichen Diskussionen
aufgefasst werden können.

Unter fachdisziplinären Gesichtspunkten befassen sich z. B.
die Rhetorik, die Linguistik oder auch die
Kommunikationspsychologie mit Attagsargumentationen. Sie wenden ihr fachwissenschaftliches
"Besteck" darauf an und kommen dabei zu bestimmten Erkenntnissen.
Ihre Ansätze und Methoden lassen sich natürlich nicht 1:1 im
Deutschunterricht abbilden. Zugleich geben sie aber eine große Vielfalt
von Anstößen, die im didaktischen Umfeld des Deutschunterrichts
Schülerinnen und Schülern Hilfen beim Verstehen und Analysieren von
Alltagsargumentationen in unterschiedlichen Kompetenz- und
Anforderungsbereichen geben können.
Alltagsargumentationen müssen plausibel und nicht in erster Linie
logisch in einem Sinne sein, dass sie zwingend den Regeln der
wissenschaftlichen Logik gehorchen. Sie mit ihren Maßstäben
zu messen, ist daher in der alltäglichen Kommunikation keineswegs
immer angebracht und im didaktischen Umfeld der Schule auch
keineswegs anzustreben.
Die "Logik" der Alltagsargumentation hat
vielmehr mit dem jeweiligen Zweck und den Zielen zu tun, die eine
Argumentation im Rahmen einer Kommunikation verfolgt, d. h. die Logik der Argumentation
ordnet sich gewöhnlich dem Argumentationszweck unter. Und dieser ist
eben in
Alltagssituationen meistens die Pflege sozialer
Beziehungen und oft geht es dabei um die Lösung von Konflikten.
Vom logischen
Standpunkt aus gesehen, ist die Tatsache, dass es beim plausiblen
Argumentieren nicht immer "wahr" zugeht, inakzeptabel. Die Logik
will ja gerade aufzeigen, welche "sprachliche(n) Automatismen" (ebd.)"
dafür geeignet sind, sicher zu stellen, "dass man von
einmal als wahr akzeptierten Aussagen zu weiteren wahren Aussagen gelangt
(gültiges Schließen)" (ebd.).
Während mündliche
Alltagsargumentationen von den Interessen und einem gemeinsamen
Interesse der Gesprächspartner*innen ausgehen oder zumindest einen
ausgewogenen Interesseausgleich anstreben, geht die streng logische,
wissenschaftlich-philosophische Argumentation im Idealfalle
vollkommen rational an die Klärung einer strittigen Frage heran.
(vgl.
Kienpointner 1996, S.16) Sie will letzten Endes eben auch "keine
Beschreibung der tatsächlichen Denkprozesse liefern" (Salmon
1983, S.32) und damit auch nicht darstellen, "wie die Leute tatsächlich
denken." (ebd., S.30)
Aber trotz der Tatsache, dass es in der Alltagskommunikation ohnehin mehr um
die Lösung von Konflikten und um die soziale Beziehung der Menschen
zueinander geht als um die Wahrheit, "darf die logische Perspektive auch bei
der Untersuchung von Alltagsargumentationen nicht aufgegeben werden." (Bayer 1999,
S.151). Denn nicht jede irgendwie "abgesonderte Meinung" ist logisch
und sozial akzeptabel. Und auch noch so häufig verbreitete
"Fake-News" werden nicht deshalb "richtig", weil sie ständig in den
entsprechenden Echokammern wiederholt werden.
Das gilt um
natürlich um so mehr, je folgenschwerer die Entscheidungen für ein
bestimmtes Tun oder Verhalten für den einzelnen, insbesondere aber
für die Allgemeinheit sind, die im Wettstreit einer
Auseinandersetzung mit Argumenten getroffen werden. Was richtig und
was falsch ist, ist eben nicht immer eine Frage des "Bauchgefühls".
Im
teachSam-Arbeitsbereich Analyse von Alltagsargumentationen werden
vielfältige Ansätze und Methoden zusammengefasst, die im gesamten
teachSam-Arbeitsbereich Argumentieren zur Darstellung kommen. Dabei
werden vier Schwerpunkte gesetzt.
Es wird aufgezeigt,
wie man Alltagsargumentationen
im Deutschunterricht
untersuchen kann.
In einem
multiperspektivischen, von den Kompetenzen her betrachtet,
anspruchsvollen ▪ integrativen Modell,
soll der Versuch gemacht werden, diese und andere Ansätze in einem
für den Deutschunterricht der Sekundarstufe II zu einem handhabbaren
Modell zu verknüpfen, das die Grundlage für vielfältige Aufgaben
sein kann, die mit der Analyse von Alltagsargumentationen
schriftlich (z. B. ▪
Analyse von kontinuierlichen Sachtexten, ▪
Erörterung von Texten ) oder mündlich (z. B. in ▪
Diskussionen) zu tun haben.