Alltagsargumentationen lassen sich nicht so leicht analysieren
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Alltagsargumentationen
sind nicht ohne Weiteres zu durchschauen. Wer schon einmal versucht hat,
ihre Formulierungen zu präzisieren oder ihre intuitionsgeleiteten Schlüsse
oder
den funktionalen Bezug von Äußerungen herauszuarbeiten, hat
wahrscheinlich mehr als einmal die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen
und resigniert.
Das liegt u. a. daran, dass Argumente in
Alltagsargumentationen oft wenig sachlich, nur bedingt
zielorientiert oder auf einen Konsens ausgerichtet vorgebracht, dazu
vielleicht noch sehr lückenhaft aufgebaut sind und unstrukturiert
und ungeordnet präsentiert werden. (vgl.
Kolmer / Rob-Santer 2002, S.148).
Damit der andere die vorgebrachten Argumente akzeptiert und
letztendlich "glaubt", sie ihm also pausibel erscheinen, werden die
Argumente eben oft sehr emotional, manchmal auch polemisch
vorgebracht (vgl.
ebd.).
Das muss man bei der Analyse von Alltagsargumentationen beachten
Wer Alltagsargumentationen analysieren will,
wählen. Was die Menschen in ihren Alltagsargumentationen vorbringen,
ist eben in der Regel keine bewusste, rationale Argumentation. Im Alltag
kennen wir jedenfalls nicht nur das logisch begründete Entweder-Oder von wahr
und falsch der rationalen Argumentationen.
In der "Fuzzy Logic" unserer
Alltagsargumentationen gibt es nämlich auch noch so etwas, das man das
"Halbwahre" nennen könnte. So ist ein Apfel eben nicht nur reif oder nicht
reif, sondern unter Umständen eben ziemlich reif.
Aber trotz der Tatsache, dass es in der Alltagskommunikation ohnehin mehr um
die Lösung von Konflikten und um die soziale Beziehung der Menschen
zueinander geht als um die Wahrheit, "darf die logische Perspektive auch bei
der Untersuchung von Alltagsargumentationen nicht aufgegeben werden." (Bayer 1999,
S.151).
Die lineare Reifenfolge sagt bei Alltagsargumentationen wenig über
den funktionalen Bezug der Aussagen aus
Die
lineare Reihenfolge von Sätzen und Äußerungen oder die Abfolge von
Redebeiträgen sagt in Alltagsargumentationen meist wenig über ihren
funktionalen Bezug aus.
Textlinguistisch
gesehen werden entsprechende ▪
Satzverknüpfungen, die zwar auf der
Textoberfläche als
Kohäsionsmittel
für einen Textzusammenhang sorgen können, zwar als wichtige Elemente
für die Schaffung von Textkohärenz angesehen, zugleich aber auch
betont, dass sich die Bedeutung von Sätzen darüber nicht erschließen
kann. Dazu müssen dann z. B. Kausalitätsbeziehungen inferiert
werden, wie z. B. bei den folgenden Sätzen, die zwar syntagmatisch
miteinander verbunden sind, deren textuelle Bedeutung sich aber erst
durch die "Beisteuerung" von Kausalität aus dem Fundus unseres
Weltwissens ableiten bzw. erschließen lässt: "Das Auto steht in
der Garage. Es hat einen Motorschaden." Natürlich könnte das
Kausalitätsverhältnis auch durch das Einfügen der kausalen
Konjunktion "denn" am Anfang des zweiten Satzes explizit
gemacht werden.
Das Fehlen geeigneter
Verknüpfungswörter
und Konjunktionen trägt dabei
meist dazu bei, dass die
Begründungszusammenhänge der Aussagen, die gemacht
werden, nur mühsam rekonstruiert werden können.
Dementsprechend haben
Argumente in ihrer logischen Standardform (Prämissen
und
Konklusionen) in Alltagsargumentationen häufig keinen Platz.
Wer sich auf die
Suche nach solcherart vollständig ausgeführten Argumentationen in
Alltagsgesprächen,
Zeitungsartikeln, politischen Reden oder auch
wissenschaftlichen Texten macht, wird wahrscheinlich nur selten fündig.
(vgl.
Bayer
1999, S.93f.)
Dabei können die Gründe dafür sehr unterschiedlich sein:
Argumente sind in der Alltagssprache häufig nicht als Argumente zu
erkennen
Und dennoch: Auch wenn Argumente in der Alltagssprache weder besonders
hervorgehoben oder gekennzeichnet sind,
Argumente als Argumente meist gar
nicht zu erkennen sind (vgl.
Bayer 1999, S.248), kann man mit "einiger Übung und Mühe" (ebd.)
weiterkommen.
Dass sich diese Mühen lohnen, liegt in der Natur der Sache
selbst: "Wer reflektiert argumentieren und fremde Argumente durchschauen
will, muss zunächst lernen, Argumente und ihre Bestandteile zu erkennen." (Bayer
1999, S.94)
Dennoch: Gerade
aus methodisch-didaktischen Gesichtspunkten betrachtet
dürfen die Erwartungen an die Analyse von Alltagsargumentationen in der
Schule nicht zu hoch sein. Wichtiger als möglichst viele Teilergebnisse der Analyse
erscheint hier ein vertieftes Verständnis der besonderen Kennzeichen der
Alltagsargumentationen und ihrer Unterschiede gegenüber einer rationalen
Argumentation, die ja auch verschiedenen schulischen Schreibformen zugrunde
liegt,
wie z. B. freie Erörterung.
Kennzeichen von Alltagsargumentationen
Folgende Merkmale kennzeichnen Alltagsargumentationen
(nach
Klein 1980, S.9ff., vgl.
Bayer 1999, S.147,
Salmon 1983, S.16f.)
Alltagsargumentationen sollen helfen Alltagssituationen zu bewältigen
Grundsätzlich muss man den Stellenwert der Logik in der
Alltagsargumentation auf dem Hintergrund ihrer Bedeutung für die
Bewältigung von Alltagssituationen sehen. Die Logik der Argumentation
ordnet sich also dem Argumentationszweck unter.
Also selbst wenn Argumente "häufig mehr intuitiv als reflektiert
gebraucht (werden)" existieren aber wohl doch "gesellschaftliche
Vorstellungen" darüber, "was in einer Alltagsargumentation geeignet
ist - oder ungeeignet, plausibel - oder unplausibel, zulässig - oder
unzulässig. " (
Kolmer / Rob-Santer 2002,
S.150)
Und: In der Alltagsargumentation wird dann auf dieses
"stillschweigende Wissen" (ebd.)
zurückgegriffen, das auf "- gewöhnlich unreflektierten -
Konventionen eines kollektiven Wissens- und Wertesystems
(gesellschaftliche, soziale, historische, ideologische - d. h.
weltanschauliche, religiöse Hintergründe, Annahmen)" beruht. (ebd.)
Dieser Gedanke schließt natürlich auch ein, dass das, was
bestimmten gesellschaftlichen Gruppen plausibel erscheint, längst
nicht für alle gesellschaftlichen Gruppen gilt. Anders ließe sich
schließlich auch kaum erklären, weshalb z. B.
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Stammtischparolen, populistische Sprüche und
Parolen u. ä. nur bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen
verfangen, die eben genau das für plausibel erachten, was anderen
als vollkommen unmöglich, widersinnig und schlichtweg dumm vorkommt.
Aber: Es ist eben in ihren Augen plausibel und das ist das Problem.
Ob jemand den Wahrheitsanspruch einer Argumentation prüft oder
nicht, ist ins Belieben gestellt
Wann und unter welchen Umständen die Argumentierenden aber selbst jeweils
bereit sind, auf die Prüfung des Wahrheitsanspruchs von Konklusionen
zugunsten von vagen Vermutungen oder im Dienste der Pflege sozialer Kontakte
zu verzichten, bleibt eine offene Frage. (vgl.
ebd.)
Dabei ist es natürlich
etwas anderes, ob man nach einem Fußballspiel am Stammtisch "loslegt" oder
ob ein Politiker ein Programm zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit oder ein
Arzt seinen Therapieansatz vorstellt.
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Wenn unscharfe Argumente im Stil der so genannten
Fuzzy-Logic oder
wenn intuitive Schlüsse
akzeptiert werden, geht es meist um das freie Spiel, um Gefühl und Phantasie,
in deren jeweiligem Bereich Logik nicht viel verloren hat.
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Geht es dagegen darum, dem Modell unserer physischen und sozialen
Umwelt wichtige Bausteine hinzuzufügen und bedeutsame Handlungen zu
planen, sind wir auf die klassische Logik angewiesen. (vgl.
ebd.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.04.2022
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