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Einzelne biografische Aspekte

Die Bedeutung des Schreibens

Franz Kafka (1883-1924) – Biografie

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
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Der Schaffensprozess • Franz Kafkas beim Schreiben hat unzählige Forscherinnen und Forscher beschäftigt und ist inzwischen wissenschaftlich bis ins Detail analysiert. Dabei hat man ihn psychoanalytisch genauso ausgeleuchtet, wie in mentaler und sozialer Hinsicht. Dabei sind die Ansätze im Allgemeinen mit Theorien der künstlerischen Produktivität verknüpft, die hier wiederzugeben, nicht nur den Rahmen sprengen, sondern auch für den Literaturunterricht gänzlich ungeeignet sein dürften.

Was aber hier von Interesse ist und der allgemeinen Erörterung der Frage, welche Bedeutung das Schreiben für • Franz Kafka gehabt hat, vorausgeschickt werden kann, ist eine kurze Beschreibung von Kafkas Schreibpraxis, die Waldemar Fromm (2010, S.428f.) gibt. Für Kafkas Schreibpraxis sei vor allem die Konzentration auf den Augenblick des Schaffens signifikant. Sein oft stundenlanges Schreiben führe dabei "zu einer neuen Art des Produzierens, bei der keine Kontrolle über das Ergebnis des Schreibens angestrebt wird. Die Texte sind dem Augenblick der Entstehung überantwortet, die Dynamik des Schreibvorgangs wirkt verstärkt auf das Geschriebene ein:" Kafka habe seine Texte weder geplant oder mit Gliederungen und/oder Materialsammlungen vorbereitet. Stattdessen habe er mit dem Erzählen einer Geschichte einfach angefangen, ihren weiteren Verlauf beim Schreiben selbst organisiert, ohne dass ihm dabei Handlungsziele klar vor Augen gestanden hätten. Korrekturen habe er sofort oder im Verlauf des Schreibprozesses vorgenommen, seine Texte aber nicht noch einmal überarbeitet.

Das Schreiben hatte für Franz Kafka eine außerordentlich persönliche und beinahe existenzielle Bedeutung. Es diente ihm als Mittel zur Selbstreflexion und als Weg, mit seinen inneren Konflikten und Ängsten umzugehen. In zahlreichen seiner Werke thematisiert Kafka solche Konflikte und befasst sich mit den Problemen von Isolation, Angst, Autorität, Freiheit sowie der Suche nach Authentizität. Daher war das Schreiben auch eine wesentliche Komponente seiner Identität und seines Selbstverständnisses.

Die komplexe Natur seiner Charaktere sowie die verschlungenen Handlungsstränge seiner Erzählungen resultieren in einem Bild tiefgreifender psychologischer Einblicke und philosophischer Betrachtungen. Diese sind das Resultat seines kontinuierlichen Bemühens, sich selbst und das menschliche Wesen im Allgemeinen zu verstehen.

Im Literaturunterricht steht die Beschäftigung mit dem Schreiben Franz Kafkas meistens im Kontext der Arbeit mit seinem Brief an den Vater. Darin hat Franz Kafka selbst den starken Bezug seines Schreibens zu seiner eigenen Person betont: "Mein Schreiben handelte von Dir, ich klagte dort ja nur, was ich an Deiner Brust nicht klagen konnte."

»Walter H. Sokel (1917-2014), einer renommiertesten Kafka-Forscher, sieht in den Ausführungen, die Kafka im Brief an den Vater macht, in gewisser Hinsicht seine eigene "Poetik", ihr zwei widerstrebende Intentionen zugrunde lägen: "Einerseits, so behauptet er [Kafka, d. Verf.], handelt all‘ sein Schreiben von seinem Vater. Schreiben ist ein armseliger Ersatz für die fehlende Anwesenheit des Vaters, für die Verbundenheit mit ihm, die der Vater seinem Sohn immer versagt hat. Im Schreiben, so legt es Kafka dar, stimmt er die Klage an, die ihm an des Vaters Brust zu äußern untersagt ist. Das Schreiben wird zum Ersatz des Lebens. […]"

Da Kafka aber an einer anderen Stelle des Briefs, jedoch das Gegenteil betone, indem er behaupte, dass sein Schreiben Flucht vor dem Vater sei und ihm einen Raum schaffe, in dem er sich vor ihm geschützt und vor ihm verborgen fühle, müsse man, so Sokel (ebd.), in dieser Flucht "eben auch eine Art von Selbstbehauptung" sehen. Dahinter stehe nämlich der Versuch, "das Selbst aus der Reichweite patriarchalischer Macht zu retten. In dieser selbsterhaltenden Abwehr entdeckt das Selbst seine eigene Macht, zwar völlig verschieden von der naturverliehenen Macht der Vatergestalt, aber potenziell ihr überlegen wie das Geistige und Magische der natürlichen Macht überlegen ist. In dieser Poetik der Flucht ist Schreiben kein Trauern mehr um Fernbleiben und Verlust, sondern Basis trotziger Selbsterhöhung und deren Bekräftigung."

Indessen dürfte es entschieden zu kurz greifen, würde man das Schreiben Kafkas nur in der vom Brief an den Vater nahe gelegten Versuch sehen, sich schreibend von der übermächtigen Vaterfigur und ihrer Auswirkungen auf die eigenen Identität befreien zu wollen.

Allerdings ist angesichts der existenziellen Bedeutung, die das Schreiben für Franz Kafka gehabt hat, ist, nach Ansicht von Engel (2010, S.419), auch "eine biographische Deutung fast immer möglich - und (führt) fast immer zu durchaus einleuchtenden und nachvollziehbaren Ergebnissen. Allerdings hätten Kritiker auch immer wieder darauf hingewiesen, dass dafür vor allem Selbstzeugnisse herangezogen würden, die ja nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprächen. Das gelte vor allem für "Kafkas überzogen negatives Vaterbild" (ebd.)

In ähnlicher Weise hat dies »Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) (1982, S.315ff.) ausgedrückt, der die "Angst vor dem Tod und also vor dem Leben" als das zentrale Movens in Kafkas Leben allgemein und bei seinem Schreiben ansieht. Seine Angst habe ihn letztlich zum Schreiben gezwungen und sein Leben zur Qual gemacht und sein Werk sei damit "Beschreibung eines Kampfes mit der Angst", " Angst vor der Demütigung und Hilflosigkeit, vor Folter und Grausamkeit, vor dem Vater und vor der Familie, vor der Schwäche und vor Impotenz, vor der Heimatlosigkeit und der Vereinsamung, der Wurzellosigkeit und der Entfremdung, vor dem jüdischen Schicksal".

Martin Walser (1927-2023) ha einmal über Kafkas Leben gesagt, dass es sich in einer "von Prosaspiegeln umstellten Einzelkämpferarena“ abgespielt habe (zit. n. ebd.) Wogegen er sich in dieser Arena gewehrt habe, habe er, so Reich-Ranicki (1982, S.315ff.) weiter, genau gewusst, als er selbst in einem Brief an seine Schwester »Ottla (1892-1943) aus dem Jahr 1920 von einem "Feind im Kopf" gesprochen habe. Diese Äußerung entspreche auch frühere Notiz in Kafkas Tagebuch: "Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe. Aber wie mich befreien und sie befreien, ohne zu zerreißen. Und tausendmal lieber zerreißen, als in mir sie zurückhalten. Dazu bin ich ja hier, das ist mir ganz klar.“

Auch weitere Tagebucheinträge Franz Kafkas zielen in die gleiche Richtung. So notiert er 1911: "Ich habe [...] ein großes Verlangen, meinen ganzen banalen Zustand ganz aus mir herauszuschreiben und ebenso wie er aus der Tiefe kommt in die Tiefe des Papiers hinein oder es so niederzuschreiben, dass ich das Geschriebene vollständig in mich einbeziehen könnte." (zit. n.  Fromm (2010, S.431)

Für Reich-Ranicki (1982, S.315ff.) steht jedenfalls fest, dass ihn "seine Angst, dieser 'Feind im Kopf', dieser nicht zu besiegende Gegner in der Einzelkämpferarena" zu schreiben gezwungen habe und sein Leben, "obwohl das Schreiben das einzige war, was ihn beglücken konnte, zu einer Qual" gemacht habe: "Kafkas Werk ist die Beschreibung eines Kampfes mit der Angst. (…)  Es ist die Angst vor Demütigung und Hilflosigkeit, vor Folter und Grausamkeit, vor dem Vater und der Familie, vor der Schwäche und der Impotenz, vor der Heimatlosigkeit und der Vereinsamung, der Wurzellosigkeit und der Entfremdung, vor dem jüdischen Schicksal. Es ist die Angst Kafkas vor dem Tod und also vor dem Leben."

Als Strategie mit den Folgen seiner defekten Elten-Kindbeziehung umzugehen und die damit verbundenen Identitätsprobleme zu bewältigen, hat Peter Beicken (1986) das Schreiben als Möglichkeit zur Selbstbeobachtung und Selbstanalyse sowie als Ausweg und Möglichkeit fiktiver Normverletzung in seinem sonst von Anpassung geprägten Leben gesehen.


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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 23.09.2024

   
 

 
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