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Die
Geschichte des Parteiensystems in Deutschland reicht bis in die
Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, wo mit der Gründung der »Deutschen
Fortschrittspartei im Jahr 1861 der erste formale Gründungsakt vollzogen
wurde.
Seit den späten 1840er-Jahren gab es im Umfeld der Revolution von 1848 in Deutschland ein
Fünfparteiensystem (vgl.
Nipperdey 1992, S.312), das die vier bzw. fünf grundlegenden politischen
Strömungen abbildete: Liberalismus (gespalten in Links- und
Nationalliberalismus,
Konservativismus,
politischer Katholizismus
und Sozialdemokratie.
Was sie beschäftigte, war vor allem die Diskussion
um die Ideen der Französischen Revolution von 1789 und wie es mit der in
so viele kleinere und größere Staaten zersplitterten deutschen Nation
weitergehen sollte.
Man gründete dazu politische Vereine, gab politische Zeitschriften und
Bücher heraus und arbeitete, wo dies möglich war, in Parlamenten
einzelner Staaten des Deutschen Bundes mit. Das war vor allem im Süden
des Bundesgebiets möglich.
Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die »Wahl
zur verfassunggebenden Nationalversammlung in der Frankfurter
Paulskirche 1848/49, wo man nach der Wahl verschiedene Gruppierungen bildete:
demokratische Linke, linksliberale Mitte, rechtsliberale Mitte und
konservative Rechte. (Rohe
1997, S.41-46,
Alemann 2001,
S.14, vgl.
Detterbeck 2011, S.35)
Nach dem Scheitern der Paulskirchen-Bewegung
verlief die weitere Entwicklung der Parteien längere Zeit im Sande, nahm
aber nach 1860 erneut Fahrt auf, als eine Reihe von politischen
Streitfragen und die soziale Entwicklung die Öffentlichkeit wieder stark
politisierten.
Neuen Auftrieb fand die Parteienentwicklung dann nach der
»Reichsgründung 1871. Die Einführung des schon bei der Wahl zur
Nationalversammlung 1848/49 praktizierten gleichen und allgemeinen (Männer-)Wahlrechts
- die Frauen durften erst ab 1918 wählen (!) - für den Reichstag
förderte auch die Bildung von landesweiten Parteien.
Aber, auch wenn die Parteien damit eine "politische Bühne" erhielten
(vgl.
Detterbeck 2011, S.35), hatten sie im Scheinkonstitutionalismus des
Kaiserreichs kaum Einfluss auf Regierung und Regierungshandeln. Dennoch
wurden sie in einem Staat, in dem der Reichskanzler und die Minister vom
Kaiser berufen und das Parlament nur sehr beschränkte Befugnisse besaß,
zentrale Artikulations- und Vermittlungsinstitutionen, die das
politische Leben bestimmten und prägten. (vgl. Nipperdey 1992,
S.311) Insgesamt gesehen kann man für die gesamte Zeit des Deutschen
Kaiserreichs von einem Fünfparteiensystem relevanter Parteien
ausgehen, wie es im unten stehenden Mind Map dargestellt ist.
Die politischen Parteien vor 1914 sind zunächst "ideenpolitisch orientiert" und verstehen sich auch
als "Weltanschauungsparteien", die
zu Wahlkämpfen mit "politische(n) Glaubensbekenntnisse(n)" antreten.
Je
mehr sich indessen die alten Konfliktlinien zwischen den Kräften, die
für die Nationalstaatsbildung eingetreten waren, und ihren Gegnern
abschwächten (Konfliktlinie Zentrum vs. Peripherie), desto deutlicher
traten andere sozialen
Konflikten und Spannungen hervor, die die Parteien und ihre Beziehung zu ihren
Anhängern und Wählern und auch das gesamte Parteiensystem veränderten
(Konfliktlinie Kapital vs. Arbeit, Klassenkonflikt).
Die älteren "Elite- und Honoratiorenparteien", die vor der Einführung
des allgemeinen Wahlrechts 1867/71 ihrem Anspruch nach als "natürliche"
Autoritäten agierten, mussten sich entweder grundlegend wandeln oder
allmählich von
der Bildfläche verschwinden.
Entlang der Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit fanden
die Parteien "ihre Basis in ganz bestimmten
sozialkulturellen, sozialmoralischen Milieus [...] - dem katholischen,
dem proletarischen, dem agrarisch-protestantisch-ostelbischen, dem (protestantisch-)städtischen-bürgerlichen.
Diese Milieus waren nach ökonomisch-sozialen Gegensätzen - nach Klassen,
Land/Stadt, vormodern/modern - geschieden und nach
kulturell-religiösen." (ebd.,
S.312)
Und: Weil "Weltanschauung und soziales Milieu" auf
diese Art und Weise aneinander gekoppelt blieben, tendierte das
Parteiensystem zur Lagerbildung. (vgl.
ebd.)
Die Milieus gewannen, auch wenn sie zunächst "noch nicht so
entschieden und undurchlässig wie später" waren, "an
parteiformierender und -strukturierender Kraft. Schließlich
definierten frühere Positionen und Kompromisse, Kombinationen von
Prinzipien, Interessen, Milieuelementen, Strategien, die Stellung zur
Regierung und die Stellung im Parteienspektrum, was eine Partei in den
Jahrzehnten des Reichs ausmachte. Aber Weltanschauung und Milieu blieben
charakteristische Elemente." (ebd.,
S.313)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
03.08.2016
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