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Die
Parteien in Deutschland bilden ein
Parteiensystem, dessen Geschichte sich
in verschiedene →Phasen
einteilen lässt.
Wie es entstanden ist und was es aktuell prägt und strukturiert, kann
auf verschiedene Art und Weise erklärt und dargestellt werden. Welche
Konsequenzen sich aus der Analyse von Parteiensystemen ergeben, ist
dabei durchaus strittig. Dennoch der Begriff des Parteiensystems und die
auch vergleichende Analyse von Parteiensystem in der der deutschen
Geschichte aber auch im aktuellen Vergleich auf internationaler Ebene
sind weiterhin wichtige Gegenstände unterschiedlicher
Forschungsdisziplinen.
Ein Parteiensystem - was ist das?
Während der Begriff Parteienspektrum eine Vielzahl von Bedeutungen haben
kann, steht der Begriff Parteiensystem nach allgemeiner
politikwissenschaftlicher
Definition
für "die Gesamtheit der in einem politischen System agierenden Parteien
und die Struktur ihrer wechselseitigen Beziehungen" (Decker
2011, S.22).
So gesehen gehören also alle Parteien, die es in der
Bundesrepublik Deutschland gibt, zum deutschen Parteiensystem. Ein
Parteiensystem, das so definiert wird, ist demnach "mehr [...] als die
Summe der in einem Parteiensystem vertretenen Parteien." (Ladner
2004, S.14, ) Dabei soll das zum Ausdruck bringen, "dass die
Interaktion mit anderen Parteien das Verhalten der einzelnen Parteien
verändert." (Detterbeck
2011, S.19) Und: Schaut man nicht allein auf eine einzelne Partei,
sondern bezieht das Parteiensystem ein, dann lässt sich auch manches
besser verstehen, was die Parteien als strategische Akteure in diesem
systemischen Kontext tun, um im Wettbewerb mit den anderen Parteien zu
bestehen oder die Oberhand zu gewinnen. (vgl.
ebd.)
Der Parteienwettstreit im politischen Raum
Der Parteienwettstreit im Rahmen des
politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland findet in einem
politischen Raum statt, in dem politische
Auseinandersetzungen ausgetragen werden. Dabei existiert dieser Raum nur
in der Vorstellung und soll dazu dienen, das jeweilige Parteiensystem zu
beschreiben, zu analysieren und vor allem auch mit anderen
Parteiensystem zu vergleichen.
Der politische Raum, indem die Parteien in miteinander konkurrieren,
wird durch die Parteien, die das Parteiensystem darstellen und seine
Raumelemente und -begrenzungen bestimmt.
Das wiederum sind unterschiedliche
Politikdimensionen. Solche Politikdimensionen sind z. B. die
(ideologische) Links-rechts-Dimension, die ökologische Dimension, die
Einstellungen zur Globalisierung oder zur Kirche oder weitere
Dimensionen. Die Darstellung des Parteiensystems auf dieser Grundlage
hängt also immer davon ab, welche Politikdimension analysiert wird.
Da ein Parteiensystem eine komplexe Struktur darstellt, liegt natürlich
nahe, das System unter Heranziehung möglichst vieler Politikdimensionen
zu beschreiben.
Aber: Je mehr
Politikdimensionen gleichzeitig zur Strukturierung des politischen
Raumes herangezogen werden, desto schwieriger wird es auch, die Parteien
darin zu verorten, desto größer wird auch die Unübersichtlichkeit. (vgl. Ladner
2004, S.133)
Die Politikwissenschaft und Parteienforschung erhoffen sich durch die
genaue Analyse dieses politischen Raumes Aufschlüsse die Strukturen und
die Entwicklung von Parteiensystemen. Dabei machten sie nicht nur
Aussagen darüber, wo sich die Parteien in diesem Raum verorten lassen (Positionierung),
sondern auch darüber, wie nahe oder fern sie sich stehen (ideologische
Distanz). Zugleich will man wissen, ob sich ein Parteiensystem
eher zur Mitte, denn zu den (extremen) Rändern hinbewegt, ob die
Richtung des Parteienwettstreit also eher
zentripetal oder zentrifugal
verläuft.
Aus alldem lassen sich wissenschaftlich wichtige Aussagen über das
politische System im Allgemeinen und auch über das Parteiensystem, z. B.
die Kompromissbereitschaft und Koalitionsfähigkeit von Parteien
gewinnen.
Als Antwort auf solche Fragen man in der Wissenschaft verschiedene mathematische Formeln
mit unterschiedlichen Variablen, die die Analyse von
Parteiensystemen wissenschaftlich objektivieren sollen.
Allerdings ist
immer wieder zu berücksichtigen, dass "je nachdem ob man sich bei der
Positionierung auf Wähler, Parteiprogramme, Parteieliten oder Mitglieder
als Datenbasis abstützt", ganz unterschiedliche Werte herauskommen
können. (ebd., S.149)
Grundlagen und Bezugsgrößen für die Analyse von Parteiensystemen
Die Grundlagen und Bezugsgrößen, die zur Analyse, Beschreibung
und Darstellung von Parteiensystemen verwendet werden, sind
unterschiedlich.
-
Oft sind die
Wahlergebnisse, die Anzahl der Mandate in Parlamenten
oder Beteiligungen an der Regierung die maßgeblichen
Bezugsgrößen.
Das funktioniert solange, wie z. B. das Wahlrecht die tatsächlichen
Kräfteverhältnissen zwischen den Parteien nicht verzerrt. Ebenso
können auch differenzierte Wahldaten nicht hinreichend aussagen,
"wofür die einzelnen Parteien stehen und aus welchen Gründen sie
gewählt werden." (Ladner
2004, S.15)
Es gibt
aber auch gute Gründe, nur bestimmte Parteien zum Parteiensystem zu
zählen oder bestimmte Parteienkonfigurationen als Teilsystem des Ganzen
zu betrachten. So kann man z.B. die Parteien, die überhaupt in einem bestimmten
Zeitraum zu Wahlen angetreten sind, zum
elektoralen Parteiensystem oder Parteien, die mit Abgeordneten
in den verschiedenen Parlamenten (Bundestag, Landtage,
Kommunalparlamente) vertreten sind, zum parlamentarischen
Parteiensystem zusammenfassen. (vgl.
Rudzio 2015,
Kap.4.2, a).
-
Auch die Analyse von
Wahl- oder Parteiprogrammen ist eine Möglichkeit zur Analyse von
Parteisystemen, denn sie gibt Aufschluss über die Selbstdarstellung
der Parteien gegenüber ihren Mitgliedern und Wählern.
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Die Art und Weise sowie
die Funktion der Parteiorganisation kann eine weitere
zentrale Bezugsgröße der Analyse eines Parteiensystems sein. (vgl.
Ladner 2004,
S.15)
Was unterscheidet Parteiensysteme voneinander?
Um Parteiensysteme zu beschreiben und zu analysieren kann man auf
zwei Wegen vorgehen.
-
Man kann eine
übersichtliche →Typologie oder Klassifikation erstellen und
die Vielfalt der Parteiensysteme auf wenige Idealtypen reduzieren.
Dabei geht man davon aus, dass sich die realen Parteiensysteme, die
unter einem Idealtyp zusammengefasst werden, in vielem ähnlich
sind und auch ähnlich agieren.
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Man kann Parteiensysteme
unter dem Blickwinkel von charakteristischen Merkmalen
beschreiben und analysieren. (vgl.
Ladner 2004,
S.35)
Die deutschen Parteien bilden ein Mehrparteiensystem
In Deutschland gibt es 117 Parteien und politische Vereinigungen,
die gemäß § 6 Absatz 3 »Parteiengesetz
von 1967 (neueste Fassung 2011) Unterlagen beim
Bundeswahlleiter
hinterlegt haben.
(→Anschriftenverzeichnis der Parteien und politischen Vereinigungen).
Über 50 Parteien haben in den letzten 6
Jahren an Wahlen teilgenommen. (vgl.
aktuelle Liste in Wikipedia).
Geht man nach dem Kriterium der Anzahl, gibt es in Deutschland also ein
Mehrparteiensystem.
In anderen Staaten gibt es Ein- oder auch
Zweiparteiensysteme. Natürlich sagen solche Begriffe nur etwas über die
Existenz von Parteien aus, Fragen nach ihrer Funktion, ihren
Möglichkeiten und ihren Zielen bleiben bei einer solchen zahlenmäßigen
Einteilung außer Betracht.
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Selbst die Tatsache, dass
es mehrere Parteien gibt, sagt noch nichts darüber aus, ob sie bei
der politischen Willensbildung auch wirklich mitreden und
mitgestalten dürfen. Schließlich gab und gibt es Diktaturen, die
nicht auf einem Einparteiensystem beruhen, sondern formal durchaus mehrere
Parteien zulassen (z.B. die ehemaligen
Blockparteien in der DDR). Allerdings sind dann deren
Partizipationsspielräume durch alle möglichen Maßnahmen erheblich
oder gänzlich eingeschränkt, so dass eine wirkliche Konkurrenz der
Parteien um Mitglieder und Wählergunst nicht stattfindet (nicht-kompetitives
Parteiensystem) Oskar
Niedermayer
(2007, S.114,120) bezeichnet ein Parteiensystem wie in der
ehemaligen DDR, bei dem "institutionelle
Regelungen verhindern, dass die Macht der Hegemonialpartei (in
diesem Falle der SED, d. Verf.) durch die anderen Satellitenparteien
gefährdet wird", als "nicht-kompetitives
Hegemonialsystem".
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Auch darüber, wie nah
oder fern sich Parteien stehen, geht aus der Klassifizierung von
Parteiensystem nach der Anzahl von Parteien nicht hervor.
Es geht um relevante Parteien
Um nicht jede Kleinstpartei zum Parteiensystem zählen zu
müssen, wird der Kreis der Parteien, die ein Parteiensystem bilden,
eingegrenzt.
So spricht man dann von dem Parteiensystem der in den Parlamenten
vertretenen Parteien (parlamentarisches Parteiensystem) oder zählt nur
Parteien dazu, die eine bestimmte Mindestanzahl von Stimmen bei Wahlen
errungen haben
Ein wichtiges Kriterium, um bestimmte Parteien unter dem Begriff
Parteiensystem i. e. S zusammenzufassen. ist ihre Relevanz.
Als relevant gelten Parteien
im Allgemeinen dann, "wenn sie das Verhalten ihrer Konkurrenten in
irgendeiner Weise beeinflussen" (Decker
2011, ebd.). Dies können sie z.B. dadurch, dass
-
sie für andere Parteien
als Koalitionspartner in Frage kommen
-
ohne sie keine
Regierungsmehrheit in einem Parlament zustande kommt
-
sie mit anderen Parteien
um dieselben Wählergruppen konkurrieren. (vgl. ebd.)
Wissenschaftlich werden
relevante Parteien "mit Hilfe eines Indexes berechnet, der die
Fragmentierung des Parteiensystems in unterschiedlich große
Wählersegmente verarbeitet."
(Rudzio
2015, Kap. 4.2. a)
Nicht nur große Parteien gehören zum Parteiensystem
Wenn eine Partei in einem Parlament vertreten
ist, erhöht dies ihre Relevanz. Es können aber auch Parteien, die im Wahlsystem der
Bundesrepublik Deutschland an der 5%-Hürde scheitern, für das
Parteiensystem relevant sein.
Besonders populär: Das Links-rechts-Schema des Parteiensystems
Besonders populär ist in Deutschland das
→Links-rechts-Schema, um
das aktuelle oder frühere Parteiensysteme darzustellen.
Diese Links-rechts-Topographie des Parteiensystems geht in seinen
Ursprüngen zurück bis zu den Parlamenten der »Französischen
Revolution (1789-99). Im Grunde genommen ist die Links-rechts-Ordnung
wirklich eine "absolut banale Raummetapher, deren Ursprung völlig
willkürlicht ist" (Bobbio
2006, S.46)
Seit damals jedenfalls hat sich eine bestimmte Sitzordnung der
politischen Kräfte in den Parlamenten eingebürgert. Sie wirkt bis heute in
vielen Parlamenten nach und soll die Abgrenzung der Parteien
voneinander räumlich widerspiegeln:
Bei der Analyse des Parteiensystems in der deutschen Vorkriegsgeschichte
und der Geschichte des bundesrepublikanischen Parteiensystems ist die
Rechts-links-Analyse und -Darstellung des Parteiensystems eine der
Varianten, die Strukturen des Parteiensystems erklären sollen. Dabei
wird der Rechts-links-Ansatz auch mit anderen soziologischen
Erklärungstheorien des Parteiensystems (→Konfliktlinien-Ansatz,
cleavage-Theorie) kombiniert.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
06.08.2016
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