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Parteien kommen bei Jugendlichen von
heute nicht besonders gut an. In der Mitgliedschaft der Parteien sind
sie gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich
unterrepräsentiert. Aber Parteienverdrossenheit als
Jugendphänomen abzutun, greift zu kurz. Sie zieht sich durch alle
Altersgruppen, bei genauerem Hinsehen ist sie sogar bei den Älteren
stärker als bei der vielgescholtenen Jugend. Die Zeiten, in denen es
wie "in den 1970er und 1980er Jahren noch zum Ton gehörte, als junger
Mensch politisch interessiert zu sein" (Schneekloth
2010, S,130) sind schon geraume Zeit dahin. Seinen Tiefpunkt
erreichte das politische Interesse mit 34% im Jahr 2002, ist aber
seitdem wieder im Aufwärtstrend (2010: 40%) Traditioneller Weise ordnen
sich Jugendliche, verglichen mit der Gesamtbevölkerung, "etwas weiter
links ein". (ebd.,
S,134) Und: je höher ihr angestrebter Schulabschluss, desto eher tun sie
das, je niedriger dieser ist, desto eher streben Jugendliche der Mitte
zu. (ebd.,
S,134)
In der »Shell-Jugendstudie
aus dem Jahr 2010 bescheinigen die Forscher der Jugend weiterhin
Politikverdrossenheit. Das haben sie auch in den beiden
vorangegangenen Jugendstudien von 2006 und 2002 getan. Hinzugekommen sei
aber auch eine zunehmende "Verdrossenheit
gegenüber Wirtschaft und Finanzen, sprich Banken und großen
Unternehmen" (ebd.,
S.141, Hervorh. d. Verf.) Ursache dafür sei allerdings kein "allgemeines
Desinteresse an Politik und Gesellschaft oder eine grundsätzliche
Distanz zur Demokratie". "Der sichtbar werdende Vertrauensverlust", so
der Autor weiter, "richtet sich vielmehr an die Parteienpolitik und
damit natürlich auch an deren Repräsentanten", die als Vorbilder oder
gar Idole a la »Barack Obama
(*1961) vor seiner ersten Wahl zum US-Präsidenten im November 2008
wenig hergeben.
In den Parteien machen Jugendliche bis 25 Jahren nur einen sehr
geringen Prozentsatz aus. In ihrer großen Mehrheit scheinen Jugendliche
nach wie vor, "parteipolitischen Aktivitäten und den darauf aufbauenden
Bezügen" zu misstrauen (ebd.,
S.142) Die Altersstruktur der Parteimitglieder. die hier in vier Gruppen
unterschiedlicher zeitlicher Spannweite dargestellt wird, zeigt die
Verhältnisse auf:
"Unser Engagement ist nicht mehr an der Zahl der Parteibücher
ablesbar ..."
Jugendliche zeigen, das haben Untersuchungen ergeben, wenig Interesse
an trockener und beständiger Parteiarbeit. "Konventionelle
Politikrituale der Beteiligung und politische Gremienarbeit in Parteien,
Parlamenten und Regierungen werden als lebensweltlich entrückt, öde und
folgenlos empfunden, die für situationsbezogene, individuelle Bewegungen
und Bedürfnisse sowie für die tagtägliche soziale und politische
Partizipation keinen oder nur wenig Raum lassen." (Ferchhoff
2007, S.391f.)
Junge Leute wollen sich weder mit programmatischen Fragen herumschlagen,
noch ihre Zeit in Satzungsdiskussionen verschleudern. Sie möchten sich
ideologisch, ganz im Trend der Zeit auch bei Wählern anderen Alters,
nicht unbedingt an eine Partei bzw. Parteigruppe fest binden. Ihr Zugang
zur Politik und zu den Parteien ist erlebnis- und aktionsorientiert,
"Lebensfreude, Erfolgsaussichten, Spaß und Vergnügen" (Ferchhoff
2007, S.393) müssen dabei sei. Das schließt auch ein, dass man
aufgrund einer bestimmten Interessenlage einmal "mitmacht" und dann der
Politik wieder den Rücken kehrt.
Die sozialen Medien, in denen sich Jugendliche untereinander in einem
offenen Kommunikationsraum - bei konkretem Bedarf wohlgemerkt! - auch
über politische Fragen austauschen, wird für junge Leute mehr und mehr
zum Raum wohldosierter politischer Beteiligung und Praxis. Das macht
sich vor allem auch die »Piratenpartei
zunutze, die genau jene aktionsorientierte Politik zu betreiben
versucht, die bei jungen Leuten besonders ankommt. (vgl.
Kreußlein 2011)
Dass das mangelnde Interesse der Jugendlichen an den Parteien vor allem
daran liegt, dass in den Parteien Nachwuchskräfte nur schwer noch oben
und damit ins Rampenlicht kommen, zeigt nach Ansicht des Bremer
Politikwissenschaftler Lothar Probst, dass auch "Jugend allein kein
Markenzeichen (ist)" (zit. n.
ebd.). Ohne
ein stimmiges Gesamtpaket, wie im Falle von Barack Obama vor seiner
ersten Wahl zum US-Präsidenten könne man nicht zum Idol von Jugendlichen
werden, die Obama mit der knappen Formel "»Yes we can" auf ein
"Abenteuer" mitgenommen habe. Wenn freilich "Abgehobenheit,
Undurchschaubarkeit, Kompetenzlosigkeit, Abzocken, 'in die eigene Tasche
wirtschaften', Daueraffären, -skandale und -korruptionen" (Ferchhoff
2007, S.393)
das ist, was die jugendliche Wahrnehmung der politischen Akteure
bestimmt, liegt noch ein weiter Weg vor den Repräsentanten unseres
politischen Systems.
Der stetige allgemein zu verzeichnende
→Rückgang der
»Wahlbeteiligung
bei Bundestagswahlen
wie er sich mit der Ausnahme der
Bundestagswahlen von 2002 auch bei den Jugendlichen ergeben hat, weist
bei Jugendlichen, deren Beteiligung stets deutlich geringer als bei
anderen Altersgruppen keine Besonderheiten auf. (»Wahlberechtigung
vs. Wahlbeteiligung, Bundeszentrale für politische Bildung) Bei der
Bundestagswahl 2009 gaben etwa 3/5 der wahlberechtigten jüngeren Leute
im Alter zwischen 18 und 30 Jahren ihre Stimme ab.
Für
den 1984 geborenen Soziologen Wolfgang Gründinger (2009) steht fest:
"Wir Jungen sind nicht politikverdrossen, sondern die Politik ist
jugendverdrossen." (Interview mit
Wolfgang Schlieben 2009, in: Die Zeit) Das liege auch an den wenig
jugendaffinen Themen, welche die politische Bühne beherrschten (z. B.
Rentenproblematik). Zudem sei das →Wahlalter
einfach zu hoch. Es müsse abgesenkt werden, damit die Folgen des
demographischen Wandels ausgeglichen werden könnten. Dass genau das von
einer Mehrheit der Jugendlichen immer wieder mit vergleichweise großer
Mehrheit abgelehnt wird (vgl.
Schneekloth
2010, S.144f), scheint
den Soziologen jedenfalls kaum anzufechten.
Die Beurteilung des politischen Interesses und Engagements nach der
Parteimitgliedschaft geht nach Ansicht Gründingers in jeder Hinsicht an
den der sozialen Praxen der Jugendlichen vorbei: "Unser
Engagement ist nicht mehr an der Zahl der Parteibücher ablesbar, sondern
an der Zahl unserer politischen Facebook-Gruppen, der freiwilligen
sozialen und ökologischen Jahre, des bewussten Konsums und der
unzähligen kleinen Initiativen, die jenseits formaler Organisationen die
Gesellschaft verändern." (ebd.)
Da liest sich das Urteil des renommierten Jugendforschers
Ferchhoff
(2007, S.395f.) wie ein Schlag ins Gesicht: "Insgesamt gesehen
scheint heute der größte Teil der Jugendlichen [...] im traditionellen
Sinne politisch desengagiert, distanziert, gleichgültig und im
traditionellen Sinne auch entpolitisiert und politikverdrossen. [...]
Die meisten Jugendlichen tummeln sich jenseits der Familie, Schule,
Arbeitsstätte und jenseits des abnehmenden traditionellen Vereins-,
Politik- und Verbandslebens in den Szenen der Eigeninszenierung [...]
oder sie ziehen sich pragmatisch und lautlos in die vielen kleinen,
nicht immer wärmespendenden idyllischen, vor allem
besitzindividualistischen und konkurrenzbezogenen Nischen des
Halböffentlichen und Privaten mit starken, aber stets ambivalenten
Indivdualisierungsoptionen zurück. Lebensmotto beim
Persönlichkeitsmarketing: 'Be yourself'. Egokult und solidarische Bezüge
sind wie Individualität und Altruismus für viele Jugendliche keine
Gegensätze mehr (vgl. Farin 1998, 207). Wer es gewohnt ist, sich im
Alltag von Fast Food zu ernähren, von anstrengungslosen, leichtlebigen
hübschen Kurz-Zeit-Superstars, Lifestyle-Vorbildern und von schnellen
Wegwerf-Produkten und Bildfolgen befriedigt zu werden, der möchte auch
Politik, wenn überhaupt mit Instant-Effekt und Sofort-Service; weiß aber
auch, dass dies mit dem Eintauchen in virtuelle (Tele- und
Ersatz-)Welten nicht geht und backt zwangsläufig ganz pragmatisch
kleine Brötchen."
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
20.07.2016
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