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Halbschlafbilder
und traumanaloges Dichten
Immer
wieder wurde in der Forschung die Nähe der Werke Kafkas zu Träumen
betont und seine Dichtung als eine Art •
Traumdichtung bezeichnet.
Das hat in erster Linie nicht damit zu tun, dass Kafka zahlreiche
Träume, über die er lange Jahre in seinen Tagebüchern Notizen
angefertigt hat, als Stoff für seine literarischen Werke nutzt. Vor
allem soll damit ausgedrückt werden, dass viele seiner Texte nach der
Logik von Träumen komponiert sind (vgl.
Hiebel 2008,
S. 457).
In
Tagebüchern und Briefen hat Kafka etwa sechzig seiner Träume
festgehalten. Es sind Notizen, man nennt sie Traumnotate, in denen
man nicht immer herauslesen kann, ob es sich um die Darstellung
einer Halbschlafphantasie, einer Tagträumerei, eines nächtlichen
Traumes oder schon um einen Erzählversuch handelt, bei der er
"Möglichkeiten der erzählerischen Bildphantasie und des poetischen
Entwurfs im Vorfeld der freien literarischen Erfindung" (Alt
2005/22008, S.312) ausprobiert. In jedem Fall konnte er
wohl dabei lernen, wie eine Verbindung zwischen bewussten und
unbewussten Vorstellungsinhalten hergestellt werden kann. Mit seinen
zahlreichen, oft bruchstückhaften Traumnotaten fand er, oft sogar
erst Jahre später, Material, das er entweder poetisch genutzt oder
eben für immer verworfen hat. Dabei konnte er allerdings längst
nicht alle "Halbschlafbilder", die er träumte, auch literarisch
nutzen. Und weil dies nicht selten so war, litt er auch immer wieder
darunter, als Autor zu versagen, wenn er es wieder einmal nicht
schaffte, eine scheinbar noch so starke Imagination literarisch zu
verarbeiten.
Tagebuchnotiz Franz Kafkas vom 13.Februar 1914
"Träume: In Berlin, durch die Straßen, zu ihrem Haus, das
ruhige
glückliche Bewußtsein, ich bin zwar noch nicht
bei ihrem Haus, habe
aber die leichte Möglichkeit, hinzukommen,
werde bestimmt hinkommen.
Ich sehe die Straßenzüge, an einem weißen Haus eine Aufschrift, etwa
»Die Prachtsäle des Nordens« (gestern in der Zeitung gelesen), im
Traum hinzugefügt »Berlin W«.
Frage einen leutseligen rotnasigen
alten Schutzmann, der in einer Art Dieneruniform diesmal steckt.
Bekomme überausführliche Auskunft, sogar ein
Geländer einer kleinen
Rasenanlage in der Ferne wird mir gezeigt, an das ich der Sicherheit
halber mich anhalten soll, wenn ich vorüberkomme. Dann
Ratschläge,
betreffend die Elektrische, die Untergrundbahn usw. Ich kann nicht
mehr folgen und frage erschrocken, wohl wissend,
daß ich die
Entfernung unterschätze: »Das ist wohl eine halbe Stunde weit?«
Er
aber, der alte Mann, antwortet: »Ich bin dort in sechs Minuten.«
Die
Freude! Irgendein Mann, ein Schatten, ein Kamerad begleitet mich
immer, ich weiß nicht, wer es ist. Habe förmlich keine Zeit, mich umzudrehn, mich seitwärts zu wenden.
Wohne in Berlin in irgendeiner
Pension, in der scheinbar lauter junge polnische Juden wohnen;
ganz
kleine Zimmer. Ich verschütte eine Wasserflasche.
Einer schreibt
unaufhörlich auf einer kleinen Schreibmaschine, wendet kaum den
Kopf, wenn man um etwas bittet.
Keine Karte von Berlin aufzutreiben.
Immer sehe ich in der Hand eines ein Buch, das einem Plan ähnlich
ist.
Immer zeigt sich, daß er etwas ganz anderes enthält, ein
Verzeichnis der Berliner Schulen, eine Steuerstatistik oder etwas
Derartiges.
Ich will es nicht glauben, aber man weist es mir
lächelnd ganz zweifellos nach."
(Quelle: Kafka, Franz. Tagebücher 1910 - 1923 (S.296-297).
BookRix. Kindle-Version. )
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Halbschlafbilder
und traumanaloges Dichten
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
02.02.2025
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