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Wer wissen will, wie es um unsere Kinder in der tollen, neuen
Medienwelt bestellt ist, muss nur einmal auf einen Elternabend, in
welcher Schulart auch immer gehen. Überall ratlose Gesichter, wenn
sich eine Mutter getraut, zu erzählen, dass ihre gerade mal
12-jährige Tochter nachmittags die meiste Zeit vor dem Computer,
natürlich bei Facebook, verbringt. Und wenn eine andere, durch
dieses offenherzige Beispiel ermutigt, berichtet, dass ihr älterer
Sohn mit seinen 17 Jahren nächtelang nicht mehr vom Bildschirm
weicht, weil ihn seine Gilde bei WOW ständig im Kampf gegen die
anderen braucht, dann verstehen zwar die meisten der Anwesenden kaum
mehr als Bahnhof, wie man so sagt, aber ahnen doch, dass da
vielleicht noch eine Lawine auf sie zukommt.
Was sich heute in vielen Elternhäusern abspielt, ist, um es gleich
zu sagen, ein Zustand der Medienverwahrlosung. Nicht dass dort
irgendetwas vergammelt und schlecht riecht, im Gegenteil. Der
nagelneue, wandfüllende Flachbildschirm im Wohnzimmer ist mit einer
Heimkinoanlage vom Feinsten verbunden, die auch noch zwei Stockwerke
darüber, wenn einem danach ist, den Fußboden vibrieren und das
Spiegelei in der Pfanne hüpfen lässt. "Doing family" nennen das
Familiensoziologen, wenn sich Vater, Mutter und Sprösslinge manchmal
noch zu einem gemeinsamen Fernsehabend im ZDF, dem Seniorensender
mit einem Durchschnittsalter der Zuschauer von deutlich über 60,
verabreden können. Doch Medien, die irgendwelche "Sinnprovinzen"
(Friedrich Krotz) für die ganze Familie im Stile der guten
alten Fernseh- oder Musiktruhe im Wohnzimmer gestalten, sind
mittlerweile längst schon vergessen.
Aber auch das Kinderzimmer ist, selbst wenn das mit dem Aufräumen
wohl eine Sache für die Ewigkeit darstellt, keineswegs ein Raum mit
altem, abgelegten Muff und Tand, den andere Kindergenerationen schon
längst auf abgespielt haben. Vollgestopft mit moderner Elektronik,
vom mittlerweile ja schon fast uncool wirkenden CD-Player (64%),
über Spielekonsolen (57%), Fernseher (45%) und Radio (38%) bis hin
zum eigenen PC oder Notebook (15%) sogar mit Internetanschluss (10%)
lassen die Kinderherzen im Alter von 6 bis 13 Jahren nach Angaben
der renommierten
»KIM-Studie (2010) höher schlagen und treiben dabei nicht selten
den Blutdruck der Eltern immer wieder in die Höhe, die mit den
Geistern, die sie selbst ins Kinderzimmer gerufen haben, nicht mehr
fertig werden. Die Vollausstattung der Kinderzimmer bis zur
Medienverwahrlosung ist nämlich ihr Werk und geschieht dabei nicht
selten besseren Wissens. Schon längst ist nämlich durch alle Medien
gegangen, was in verschiedenen Studien immer wieder belegt worden
ist, dass Kinder, die auf einem solchen Medienarsenal in ihrem
Zimmer sitzen und dazu noch eigenständig, ohne wirksame elterliche
Kontrolle nutzen können, auch im Vergleich zu anderen schlechtere
Noten aus der Schule nach Hause bringen. Trotz dieser Fakten geben
Eltern immer wieder vor, sie wüssten, was ihre Kinder z. B. im
Internet treiben und würden auch die zeitliche Nutzung eingrenzen.
Die Fakten zeichnen indessen ein weitaus traurigeres Bild. Schon von
den Jüngsten im Alter von 6 bis 7 Jahren ist zu hören, dass 22% von
ihnen im Internet alleine unterwegs sind, und mit 12 und 13 Jahren
geben dies sogar 74% der Kinder an. (»KIM-Studie
2010) Sicher gibt es viele Eltern, denen das nicht geheuer
ist, doch sehen sie sich mit dem Problem alleingelassen und vielfach
einfach überfordert. Das hat natürlich auch damit zu tun, wie das
heutige "doing family" in der herkömmlichen "Verhandlungsfamilie"
gelebt wird, wo schon die Kleinsten bis hin zur Urlaubsplanung im
übernächsten Jahr mitreden dürfen. Und unter Bedingungen, die beiden
Elternteilen heute die Erwerbsarbeit geradezu aufzwingt, ist das
Zuviel an Medien, das eine positive Entwicklung der Kinder
beeinträchtigt, oft den Regularien eines Familienalltags
unterworfen, die mehr oder weniger brüchig dafür sorgen, dass der
Gefühlshaushalt aller einigermaßen stimmt. Dass es in den
unterschiedlichen Familien- und Medienwelten der verschiedenen
sozialen Schichten schon einmal so ist, dass Kinder mangels anderer
Angebote und Möglichkeiten vor den Fernseher oder den PC gesetzt
werden, ist zwar verständlich, aber entbindet die Eltern nicht von
ihrer Verantwortung. Und selbst wenn das aus Sicht der
Gewaltwirkungsforschung vielleicht ein wenig zu einfach klingt: Die
Eltern sind immer noch überwiegend der Ansicht, dass von den Kindern
konsumierte Gewaltinhalte in Fernsehen und Internet sich auf die
Gewaltbereitschaft ihrer Kinder direkt auswirken. (»KIM-Studie
2010) Umso unverständlicher, wie lax sie mit dem Medienkonsum
ihrer Kinder zu Hause umgehen. Da ruft man lieber nach dem Staat,
als selbst hinzusehen, da geht man lieber auf Elternabende und zankt
mit den Lehrkräften über den Schwierigkeitsgrad eines Vokabeltests,
welchen die ganze Klasse versemmelt hat, weil die Jungs und Mädchen
die Nachmittage lieber in der Facebook-Gruppe der Klasse verbringen
als Stoff zu pauken. Dass dabei auch, zum Leidwesen der Lehrkräfte
gemeinsam Hausaufgaben gemacht werden, stört bestimmte Eltern nicht.
Sie glauben nämlich allen Ernstes, ihre Kindern nutzten das Internet
vorwiegend zum Lernen. Doch das entpuppt sich eben beim
Vokabellernen eben schnell als Augenwischerei.
Für die Medienverwahrlosung im Zustand der Vollausstattung sind
viele Faktoren verantwortlich, das braucht eigentlich nicht wieder
eigens betont zu werden. Aber wenn Kinder heutzutage immer noch
angeben, dass sie am liebsten ihre Freunde treffen (52%) und draußen
spielen (43%) wollen, tragen die Eltern, neben dem Staat, der für
geeignete Spielplätze sorgen muss, die Verantwortung dafür, wenn sie
es ihren Kindern mit jedem neuen Geburtstags- oder
Weihnachtsgeschenk immer schwerer machen, das zu leben, was die
Kinder - Gottseidank - heute eigentlich (noch) wollen.
Auch wenn das bei einem Smartphone mit Internet-Flatrate, das so
manch ein Knirps schon mit sich rumträgt, um den anderen zu zeigen,
wie toll der Facebook-Account ist, dem ihm sein Vater eingerichtet
hat, nur noch an der Ladestation des Gerätes realisiert werden kann:
Es ist höchste Zeit, den Kindern wieder den Stecker zu ziehen - und
vielleicht, vor allem im Interesse eines allen förderlichen "doing
family" - auch, zumindest für eine Zeit, den Eltern auch.
Sonja Munka (Pseudonym),
www.teachsam.de,
29.09.2013
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