•
Szenenschema
Nach den Formkonventionen des so genannten Regeldramas (•
Lehre von den drei Einheiten)
durfte ein Theaterstück nur an
einem einzigen Ort spielen (Einheit des Orts), nicht länger als 24
Stunden dauern (Einheit der Zeit) und nur eine einzige Haupthandlung
ohne Abschweifungen (Einheit der Handlung) haben.
• Friedrich Schillers
Drama • "Die
Räuber" kennt solche engen Grenzen nicht.
Für
das Theater galten zur Zeit Schillers galten aber noch vielfach diese
normativen Regeln. Von ihrer konsequenten Befolgung hing dabei ab, ob ein
Drama vor den Augen der zeitgenössischen Kritik / der gebildeten
Öffentlichkeit bestehen konnte.
»Johann Christoph Gottsched (1700-1766), selbst Dichter,
Dramaturg und einer der bedeutendsten Literaturtheoretiker der Zeit,
hatte schon 1729/1730 in seinem wichtigsten Werk "Versuch einer critischen Dichtkunst" gefordert,
dass anspruchsvolles Theater in Deutschland
sich an die Regeln halten müsse, die bedeutende Dramatiker der
französischen Klassik wie »Thomas
Corneille (1625-1709) und »Jean
Racine (1639-1699) aufgestellt hatten. Nur wer diesen Regeln
entsprechend ein Theaterstück aufbaute, sollte fortan auf den Beifall
der gelehrten und gebildeten Öffentlichkeit rechnen dürfen. Die
ästhetische Qualität sollte sich fortan aus Grad der Befolgung
vorgegebener Gestaltungsnormen ergeben
Schiller ist nicht der erste, der diese Prinzipien in Frage stellte. Schon
•
Gotthold
Ephraim Lessing (1729 - 1781)
wandte sich gegen eine mechanistische Anwendung dieser Prinzipien,
auch wenn seine eigenen Stücke wie das
»bürgerliche Lustspiel
»"Minna von Barnhelm" (1767) oder das •
»bürgerliche Trauerspiel
»"Emilia Galotti"
(1772) diesen noch
weitgehend folgten. So wie er aber auf der "Bühne den Helden von gleichem
Schrot und Korn wie wir" forderte, so wünschte er "anstelle der äußeren,
oft politischen Verwicklungen, der jähen Glückswechsel und Katastrophen
der älteren Tragödie (...) eine weniger weit ausladende als
gefühlsintensive Handlung, die psychologisch feinmaschig aus den Figuren
herausgesponnen ist und die Welt als in sich sinnhaltig erweist. Statt
der theatralischen Komprimierung unter dem Gesetz der Einheiten des
Ortes und der Zeit, das dem Theaterstück nur einen Ort und die
Zeitspanne eines Tages zuweist und es in einen festlichen Raum
des Überall und Nirgend erhebt, soll sich das Drama, wenn auch
konzentriert, so dich frei und milieugerecht aus seinen räumlichen und
zeitlichen Voraussetzungen entwickeln. Zielt das höfische Drama auf
Repräsentation, Stilisierung, Überhöhung der Natur, so verlangt Lessing
Wahrheit, Menschlichkeit, Ausdruck der Natur." (Kaiser
1976b/62007, S.124f.
Die • Literaturepoche
des •
Sturm und Drang (1760-1785) - bahnbrechend ist hier vor allem »Johann Gottfried Herders (1744-1803)
»Shakespeare-Rezeption - lässt man die Lehre von den drei Einheiten
links liegen und wendet sich dem elisabethanischen
Drama »William
Shakespeares (1564-1616) zu, das bis dahin gerade wegen
seiner Vernachlässigung der normativen Regeln von der gelehrten Kritik
immer wieder verurteilt worden war. Nun aber werden Shakespeares Dramen mit
ihrer großen Szenenvielfalt und
unterschiedlichen Handlungs- und Realitätsebenen und damit anderen
dramatischen "Baugesetzen" zur Folie für die Dramatiker des Sturm und
Drang wie z. B. »Heinrich
Wilhelm von Gerstenberg (1737-1823) (»Ugolino1768)
oder »Jakob
Michael Reinhold Lenz (1751-1792), dessen Komödie "Der
Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung" (1774) das erste in
der deutschen Literatur ist, "das die von der herkömmlichen normativen
Poetik gesetzten
Schranken zwischen den Gattungen überwindet und
zugleich das Prinzip der Stilmischung konsequent in ein literarisches
Werk umsetzt." (Karthaus
22007, S.103)
Schillers Räuber besitzen 5 Akte. Allerdings folgt es in seiner Gesamtkomposition dem
pyramidalen
•
Modell des (aristotelischen) Dramenaufbaus wie beim Drama der
geschlossenen Form nicht.
Dies liegt nicht zuletzt an dem
Vorhandensein verschiedener parallel verlaufender oder einander
überlagernder •
Handlungsstränge,
die einen jeweils anderen Spannungsverlauf haben, wie die
•
Strukturskizze
der Handlungsstränge von
Mittelberg/Seiffert (1997,
S.25) anschaulich visualisiert
(E =
Exposition,
eM =
erregendes
Moment, stH = steigende Handlung,
H = Höhepunkt(e) - P =
Peripetie, K =
Katastrophe
Schiller selbst sah sich angesichts der Erwartungen der literarischen
Öffentlichkeit in seinen verschiedenen Vorreden offenbar genötigt, sich
gegen den Vorwurf zu verteidigen, die Räuber seien schon deshalb
als Theaterstück ungeeignet, weil sie die von der normativen
Regelpoetik geforderten •
drei Einheiten
missachteten.
In seiner • Vorrede, die noch
seinem ursprünglichen Vorhaben verpflichtet ist, ein Lesedrama dem
Publikum anzubieten, rechtfertigt er sich damit, dass es "eine widersinnige Zumutung"
sei, "binnen drei
Stunden drei außerordentliche Menschen zu erschöpfen, deren Tätigkeit
von vielleicht tausend Räderchen abhänget, so wie es in der Natur der
Dinge unmöglich kann gegründet sein, daß sich drei außerordentliche
Menschen auch dem durchdringendsten
Geisterkenner innerhalb vierundzwanzig Stunden
entblößen." Er sei daher nicht in der Lage gewesen "die
Fülle ineinandergedrungener
Realitäten (...) in die allzu engen Palisaden des Aristoteles
und Batteux ein(zu)keilen".