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Motive der
Literatur
▪
Überblick
▪ Stoff - Thematik - Motiv
▪ Motivtypen
▪ Farbsymbole /
Farbmotive
▪ Motiv des Lichts
▪
Verschiedene literarische
Beispiele
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Die Liebe als treibende Kraft. Die Entfaltung der
Liebesthematik im "Nathan"
Das Motiv der Liebe gehört zu den
wichtigsten Motiven von
Lessings Drama "Nathan
der Weise".
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Der Tempelherr, der nach den »Ordensregeln
der Tempelritter zu sexueller Enthaltsamkeit (»Keuschheit)
verpflichtet ist, gerät bei seiner Begegnung mit Recha (III,2)
in einen inneren Kampf. Während er sich zuvor als zum Teil etwas
ungestümen Verstandesmensch gezeigt hat, muss er nun erleben, dass er
seinen Emotionen fast hilflos ausgeliefert zu sein scheint. Nur durch
seinen fluchtartigen Abgang kann er sich aus der Lage befreien, die für
ihn eine männlich-menschliche Versuchung darstellt, nämlich sich Hals
über Kopf in Recha zu verlieben, die er bei der Begegnung zum ersten Mal
richtig wahrnimmt. Dabei wirkt sein Verhalten bei der Begegnung mit
Recha geradezu komisch, wenn davon die Rede ist, dass er sich "in
Anschauung ihrer, [...] wie verliert"
(III,2 V 1641). Noch heute gewinnt man dabei den Eindruck, dass
damit auch "die Kehrseite der großen Leidenschaften, vor allem der
demütigende und beschämende Zustand des Verliebtseins für einen Mann" (Hauser
1952/1975, S.541) ausgestellt wird, wie
Hauser
(1952/1975, S.541) für das 18. Jahrhundert festgestellt hat.
-
Im Dialog von
Recha
und
Daja
im Anschluss an das erste Zusammentreffen von Recha und ihrem Retter
nach dem Brand in Nathans Haus (I,1
und →analytische Dramenstruktur)
kommen die beiden auf das Thema der erotischen Liebe zu sprechen (III,3).
Während Daja vermutet, dass Recha sich nun endlich in den
Tempelherrn
verliebt hat und nur ihren "heißen Hunger" (III,3
V 1717) gestillt, d.h. ihre Leidenschaften gebändigt habe, um die
Kontrolle darüber zu bewahren, beurteilt Recha die Situation nach dem
Abgang des Tempelherrn völlig anders. Sie kann ganz offenbar nicht
verstehen, weshalb der Tempelherr kurz zuvor seine Begegnung mit ihr und
Daja so abrupt beendet hat (III,2
V 1690f., III, 3 V 1694f.). Sie zeigt sich nur "befremdet" darüber, dass sie
nach der Begegnung mit ihrem Retter einen klaren Kopf hat und nicht von
ihren Leidenschaften, dem "Sturm in ihrem Herzen" (III,3
V 1712), beherrscht wird. Und auch einem weiteren Versuch Dajas, ihr
mit der Hunger-Metapher eine Art Liebesbekenntnis zu entlocken, stimmt
sie nur zögerlich, fast genervt zu, ohne ein derartiges Zeugnis
abzulegen. (III,2
V 1718: "wenn du so willst"). Fast nüchtern - Daja spricht darüber
etwas verunsichert in ihrer Deutung von Rechas Gefühlen sogar von einer
vorübergehenden "Kälte" (III,2
V 1728) - und mit und in aller "Ruhe" (III,2
V 1731) stellt Recha nämlich fest, dass sie nicht mehr in die
gleiche Erregung versetzt werde, wenn sie den Namen des Tempelherrn höre
oder an ihn denke (III,3
V 1720ff.). Von der Liebe als Himmelsmacht, wie sich Daja wohl die
Fortsetzung des "Engel-Märchens" vorstellt, ist Recha weit entfernt und
ihre Gefühle sind alles andere als das von Daja herbeigesehnte "Fieber"
(III,3
V 1729) Wenn Recha stattdessen davon spricht, dass ihr nach der
Begegnung mit dem Tempelherrn klar geworden sei, dass er ihr nun "ewig
werter" als ihr eigenes Leben geworden sei (vgl.
III,3 V 1718), drückt dies jedenfalls weder einen krankhaften
Zustand (Fieber) noch Verzückung aus, die dem Affekt
des Sich-Verliebens entspricht. Ob Rechas Verhalten insgesamt dabei als
eine Sublimierung verbotener Triebansprüche angesehen werden, steht
dabei auf einem anderen Blatt. In jedem Fall ist die Selbstdeutung ihrer
Gefühlslage, die Recha an dieser Stelle vornimmt, ein deutliches Zeichen
dafür, dass Lessing damit nicht auf ein Happy-End zweier Verliebter am
Ende des Dramas hinsteuern will. Zugleich wird aber wohl auch damit die
innere Determiniertheit der Figuren, hier natürlich die Rechas,
deutlich, die, wie Monika
Fick (2010,
S.503) betont, aus der quasi "die Stimme der Natur" spreche, wenn ihr
intuitiven Wissens ihr Verhalten gegenüber dem Tempelherrn präge, den
sie "unbewusst" bereits als ihren Bruder erkenne. (→
Begossene Pudel im Rührstück oder
geschichtsphilosophischer Entwurf?-
Interpretationsaspekte zur Schlussszene des
Nathan)
-
In seinem Monolog (III,8)
entscheidet sich der Tempelherr für seine Liebe zu Recha (vgl.
III,8 V 2129f.) und damit auch zu einem Bruch der »Ordensregeln
der Tempelritter, die ihm sexuelle Enthaltsamkeit (»Keuschheit)
auferlegt haben. Im Zwiespalt der Gefühle, die ihn beherrschen, erklärt
er nicht zuletzt diese Regel(n) zu einem Vorurteil (III,8
V 2134). Zudem will er sich klar machen, dass der nicht einfach von
seinen Leidenschaften überwältigt worden ist und sie im Vergleich zu
früher nicht mehr unter Kontrolle hat. Stattdessen stellt er die
Bereitschaft, mit den von ihm in seinem Ordensgelübde beschworenen
Regeln zu brechen, als eine Entwicklung dar, die sich schon seit
längerem, seit seinem Aufenthalt in Palästina vollzogen habe. In seiner
Zuneigung für Recha sieht er sich dabei auch von Nathan unterstützt.
-
In seinem Gespräch mit Daja
(III,10),
in dem diese ihn über die wahre Herkunft Rechas unterrichtet, bestätigt
sich der Tempelherr in seinen Liebesgefühlen für Recha, die ihn noch
immer verwirren, selbst und gesteht sein Liebe gegenüber Daja ein. (III,
10 V 2277f.) Zudem meint er dass diese Liebe wohl Teil der
göttlichen Vorsehung ("Vorsicht") sei. (III,10
V 2285f.) Diese Erklärung für seine Gefühle ist, insbesondere wenn
sie öffentlich werden für den Tempelherrn so ungemein wichtig, weil sie
für ein vermeintliches Judenmädchen wie Recha schon gar nicht sein
dürften, da die Liebe zwischen einem Christen und einem Juden sowohl
während der Handlungszeit des Dramas als auch zu Zeiten Lessings
illegitim und, zumindest zu Zeiten Lessings auch verboten war (vgl.
Fittbogen 1923, S.74) .
Das Motiv der Liebe und die Gottergebenheit
Leisegang (1931/1984, S. 124) weist auf den Zusammengang der Liebe und
der
Gottergebenheit hin. Er
fasst die Kraft des Steines in der Ringparabel "metaphysisch als die
Gotteskraft auf" [...] die an und für sich wirkt, deren Wirkung aber
vergrößert wird, wenn sich der Mensch dessen bewusst ist und dieser Kraft
nicht widerstrebt, sondern sie durch eigene Kraft unterstützt, so dass die
in jedem sich regende vorurteilslose Liebe mit der Liebe Gottes
zusammenfließt zu einem einzigen Liebesstrom." Diese Vorstellung entspreche
auch den ethischen Vorstellungen Spinozas, "und zwar auf ihrem Höhepunkt, wo
Gottes- und Menschenliebe ineinanderfließen [...] Diese Liebe ist aber eine
Weltkraft, ein Zwang, dem der Mensch folgen muss. Der Gottergebene
folgt ihr ohne Widerstreben und kommt ihr zu Hilfe; aber auch der Böse
erliegt schließlich gegen seinen Willen dem Liebesstrom."
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Die Liebe als treibende Kraft. Die Entfaltung der
Liebesthematik im "Nathan"
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.04.2021
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