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Text Lessing: Nathan der Weise - 1. Akt: Szene 1

I,1: Nathan im Gespräch mit Daja über den Brand in seinem Haus und die Rettung Rechas

I,1 » I,2

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Gotthold Ephraim Lessing Nathan der Weise
teachSam-YouTube-PlaylistÜberblick Gesamttext (Recherche-/Leseversion) Entstehungsgeschichte Historischer Hintergrund Aufbau des Dramas ● Handlungsverlauf Inhalt Akte Szenenüberblick (I,1 - V,8)  Akt-/Szenenschema ERSTER AKT Inhaltsüberblick Szenenüberblick [ I,1 - Nathan im Gespräch mit Daja über den Brand in seinem Haus und die Rettung Rechas Text I,1 Aspekte der Szenenanalyse ▪ Bausteine ] I,2  I,3  I,4  I,5 I,6 ▪ Bausteine 2. Akt 3. Akt 4. Akt 5. Akt Bausteine Orte der Handlung Bausteine Wichtige Motive ▪ Figurenkonstellation ▪ Figurenkonzeption ▪ Einzelne Figuren ▪ Sprachliche Form (Blankvers) ▪ Rezeptionsgeschichte ▪ Textauswahl ▪ Portfolio ▪ Klassenarbeiten / Klausuren ▪ Links ins Internet ▪ Bausteine Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

Gesamttext (Recherche-/Leseversion)

ERSTER AUFZUG

ERSTER AUFTRITT

(Szene: Flur in Nathans Hause.)

Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.

DAJA. Er ist es! Nathan! - Gott sei ewig Dank,
   Dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt.
NATHAN.
   Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?
   Hab ich denn eher wiederkommen wollen?
   Und wiederkommen können? Babylon
   Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,
   Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin
   Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;
   Und Schulden einkassieren, ist gewiss
   Auch kein Geschäft, das merklich fördert, das                          10
   So von der Hand sich schlagen lässt.
DAJA.                                                 O Nathan,
   Wie elend, elend hättet Ihr indes
   Hier werden können! Euer Haus . . .
NATHAN.                                     Das brannte.1
   So hab ich schon vernommen. - Gebe Gott,
   Dass ich nur alles schon vernommen habe!
DAJA. Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.
NATHAN. Dann, Daja, hätten wir ein neues uns
   Gebaut; und ein bequemeres.
DAJA.                         Schon wahr! -
   Doch Recha wär' bei einem Haare mit
   Verbrannt.
NATHAN.      Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? -                       20
   Das hab ich nicht gehört. - Nun dann! So hätte
   Ich keines Hauses mehr bedurft. - Verbrannt
   Bei einem Haare! - Ha! sie ist es wohl!
   Ist wirklich wohl verbrannt! - Sag nur heraus!
   Heraus nur! - Töte mich: und martre mich
   Nicht länger. - Ja, sie ist verbrannt.
DAJA.                                             Wenn sie
   Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?
NATHAN.
   Warum erschreckest du mich denn? - O Recha!
   O meine Recha!
DAJA.                  Eure? Eure Recha?
NATHAN. Wenn ich mich wieder je entwöhnen müsste,                    30
   Dies Kind mein Kind zu nennen!
DAJA.                                        Nennt Ihr alles,
   Was Ihr besitzt, mit ebenso viel Rechte
   Das Eure?
NATHAN.    Nichts mit größerm! Alles, was
   Ich sonst besitze, hat Natur und Glück
   Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein
   Dank ich der Tugend.

DAJA.                          O wie teuer lasst
   Ihr eure Güte, Nathan, mich bezahlen!
   Wenn Güt', in solcher Absicht ausgeübt,
   Noch Güte heißen kann!
NATHAN.                         In solcher Absicht?
   In welcher?
DAJA.         Mein Gewissen . . .2
NATHAN.                                Daja, lass                                       40
   Vor allen Dingen dir erzählen . . .
DAJA.                                          Mein
   Gewissen, sag ich . . .
NATHAN.                   Was in Babylon
   Für einen schönen Stoff ich dir gekauft
.3
   So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe
   Für Recha selbst kaum einen schönern mit.
DAJA. Was hilft's? Denn mein Gewissen, muss ich euch
   Nur sagen, lässt sich länger nicht betäuben.

NATHAN. Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,
   Wie Ring und Kette dir gefallen werden
,
   Die in Damaskus ich dir ausgesucht:                                            50
   Verlanget mich zu sehn.
DAJA.                           So seid Ihr nun!
   Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!
NATHAN.
   Nimm du so gern, als ich dir geb: - und schweig!
DAJA.
   Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht
   Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?

   Und doch . . .
NATHAN.       Doch bin ich nur ein Jude. - Gelt,
   Das willst du sagen?
DAJA.                      Was ich sagen will,
   Das wisst Ihr besser.
NATHAN.                 Nun so schweig!
DAJA.                                                 Ich schweige.
   Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
   Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, -                            60
   Nicht kann, - komm' über euch!

NATHAN.                                  Komm' über mich! -
   Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? - Daja,
   Wenn du mich hinter gehst! - Weiß sie es denn,
   Dass ich gekommen bin?
DAJA.                              Das frag ich euch!
   Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.
   Noch malet Feuer ihre Phantasie
   Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,
   Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger
   Als Tier, bald mehr als Engel.
NATHAN.                               Armes Kind!
   Was sind wir Menschen!
DAJA.                              Diesen Morgen lag                                 70
   Sie lange mit verschlossnem Aug' und war
   Wie tot. Schnell fuhr sie auf und rief: »Horch! horch!
   Da kommen die Kamele meines Vaters!
   Horch! seine sanfte Stimme selbst!« - Indem
   Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,
   Dem seines Armes Stütze sich entzog,
   Stürzt auf das Kissen. - Ich, zur Pfort' hinaus!
   Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! -
   Was Wunder!4 ihre ganze Seele war
   Die Zeit her nur bei euch - und ihm. -
NATHAN.                                       Bei ihm?                                  80
   Bei welchem Ihm?

DAJA.                    Bei ihm, der aus dem Feuer
   Sie rettete.
NATHAN.  Wer war das? wer? - Wo ist er?
   Wer rettete mir meine Recha? wer?
DAJA. Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage
   Zuvor, man hier gefangen eingebracht,
   Und Saladin begnadigt hatte.
5
NATHAN.                             Wie?
   Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin
   Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder
   War Recha nicht zu retten?
Gott!
DAJA.                                          Ohn' ihn,
   Der seinen unvermuteten Gewinst6                                               90
   Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.
NATHAN. Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? -
   Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.
   Ihr gabt ihm doch vors erste, was an Schätzen
   Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?
   Verspracht ihm mehr? weit mehr?
DAJA.                                           Wie konnten wir?
NATHAN.
   Nicht? nicht?
DAJA.           Er kam, und niemand weiß woher.
   Er ging, und niemand weiß wohin.
- Ohn' alle
   Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr
   Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,                                 100
   Er kühn durch Flamm' und Rauch der Stimme nach
,
   Die uns um Hilfe rief. Schon hielten wir
   Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme
   Mit eins er vor uns stand, im starken Arm
   Empor sie tragend. Kalt und ungerührt
   Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute
   Er nieder, drängt sich unters Volk und ist -
   Verschwunden!7
NATHAN.          Nicht auf immer, will ich hoffen.
DAJA. Nachher die ersten Tage sahen wir
   Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln
,                                  110
   Die dort des Auferstandnen Grab8 umschatten9.
   Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,
   Erhob, entbot10, beschwor, - nur einmal noch
   Die fromme Kreatur zu sehen, die
   Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank
   Zu seinen Füßen ausgeweinet.
NATHAN.                                  Nun?
DAJA. Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;
   Und goss so bittern Spott auf mich besonders . . .
NATHAN. Bis dadurch abgeschreckt . . .
DAJA.                                           Nichts weniger
   Ich trat ihn jeden Tag von neuem an11;                                           120
   Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.
   Was litt ich nicht von ihm! Was hätt' ich nicht
   Noch gern ertragen! - Aber lange schon
   Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,
   Die unsers Auferstandnen Grab umschatten -
   Und niemand weiß, wo er geblieben ist. -12
   Ihr staunt? Ihr sinnt?
NATHAN.                  Ich überdenke mir,
   Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl
   Für Eindruck machen muss.
Sich so verschmäht
   Von dem zu finden, den man hoch zu schätzen                             130
   Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,
   Und doch so angezogen werden; - Traun,13
   Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,
   Ob Menschenhass, ob Schwermut siegen soll.
   Oft siegt auch keines; und die Phantasie,
   Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,

   Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald
   Das Herz den Kopf muss spielen. - Schlimmer Tausch! -
   Das Letztere, verkenn ich Recha nicht,
   Ist Rechas Fall: sie schwärmt.14
DAJA.                                    Allein so fromm,                               140
   So liebenswürdig!
NATHAN.               Ist doch auch geschwärmt!
DAJA. Vornehmlich eine - Grille,15 wenn Ihr wollt,
   Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr
   Kein irdischer und keines irdischen;
16
   Der Engel einer, deren Schutze sich
   Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
   Vertrauet
glaubte, sei aus seiner Wolke,
   In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,
   Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr
   Hervorgetreten. - Lächelt nicht! - Wer weiß?                                150
   Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
   In dem sich Jud' und Christ
und Muselmann17
   Vereinigen; - so einen süßen Wahn!
18
NATHAN. Auch mir so süß! - Geh, wackre Daja, geh;
   Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. -
   Sodann such ich den wilden, launigen
   Schutzengel
19 auf. Und wenn ihm noch beliebt,
   Hienieden unter uns zu wallen; noch
   Beliebt, so ungesittet Ritterschaft
   Zu treiben: find ich ihn gewiss; und bring                                      160
   Ihn her.
DAJA.       Ihr unternehmet viel.
NATHAN.                               Macht dann
   Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz
: -
   Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist
   Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel -

   So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,
   Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

DAJA. Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!
   Ich geh! - Doch hört! doch seht! - Da kommt sie selbst. 

 

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Worterläuterungen/Hinweise/Kommentar

1   Das →Motiv des (Ver-)Brennens taucht an anderen Stellen des Dramas immer wieder auf, z. B. IV,7: "Verbrennen" der Familie Nathans beim Judenpogrom in Gath 18 Jahre vor Einsetzen der dramatischen Handlung (→Vorgeschichte), vgl. I,2 V 177, I,6 V 773,
2   vgl. dazu Dialoge Nathans mit Daja II,8, als Nathan direkt auf diese Äußerung Bezug nimmt II,8 V 1413f., vgl.  IV,6
3   vgl. dazu Dialog Nathans mit Daja über den vermeintlichen Stoff für ein Brautkleid für Recha IV,6
4    erste Andeutung zum Wunderglauben Dajas: vgl. III,1 V 1577f.: Recha kommentiert die immer wider stattfindende religiöse Beeinflussung durch Daja im Gespräch mit ihr; vgl. V,6 V 3628f.: Recha beklagt sich bei Sittah über Daja, die ihr Nathan als Vater wegnehmen wolle und berichtet davon, wie sie auf dem Weg zu Sittah, wo sie die Wahrheit von ihr erfährt, weiterhin weiterhin mit Dajas Wunderglauben bedrängt wird
5    vgl. I,5 V 584ff. Bericht des Tempelherrn über seine Begnadigung durch Saladin; bis zum Ende ist der Tempelherr der einzige seiner Art, der sich überhaupt in Jerusalem aufhält (V,4 V 3309)

6   Gewinn
7   Die Beschreibung der Rettungstat des Tempelherrn aus der Sicht Dajas V 97-108, präteritaler Expositionsbezug (→Analytische Dramenstruktur)

8 Jesus Christus, der nach christlicher Lehre von den Toten auferstanden ist (»Auferstehung Jesu Christi)

9   Schatten spenden

10  übermittelte ihm die besten Wünsche
11  ging auf ihn zu
12  in III,2 V 1648 sagt der Tempelherr zu Recha, er sei auf Sinai gewesen, dem Klosterbruder berichtet er, dass er dort neugierige Pilger ge-/begleitet bzw. geführt habe (I,5 V 595)
13  Partikel, der etwa freilich, wahrlich oder führwahr bedeutet und heute veraltet ist
14  Sie ist von ihren Träumereien gefangen
15  komischer, sonderbarer Einfall, Laune, fixe Idee
16  Der Satz ist in dieser Form unvollständig und dadurch etwas schwer verständlich; vollständig würde er lauten: Es sei ihr Tempelherr kein irdischer Tempelherr und keines irdischen (Vaters Sohn); dementsprechend muss er ein überirdisches, übernatürliches Wesen sein.
17  veraltete, ins Deutsche übernommene Bezeichnung für Moslem
18  Einbildung, (fixe) Idee
19  »Schutzengel: nach mythologischer oder religiöser Vorstellung ein zum Schutz eines Landes, eines Ortes oder einer Person zugestellter Engel; Neben dem Christentum kennen auch die anderen abrahamitischen Religionen, der Islam und das Judentum, das Konzept der Schutzengel. (vgl. Wikipedia)

Textauswahl

Gesamttext (Recherche-/Leseversion)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 05.05.2021

 
 

 
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