Jens Ludwig, Kehrwoche
Ist
doch mir egal, sagte er, als sein Nachbar sich wegen der lauten Musik bei
ihm beschwerte. Was geht mich das an, sagte er, als ihn ein Mann, dessen
Auto streikte, um Starhilfe bat. Da kann doch ich nichts machen, sagte er
gern, wenn ihn jemand auf der Straße bei einer Unterschriftensammlung
ansprach. Dann sagte er es besonders laut. Er wollte, dass alle hörten, was
außer ihm keiner aussprach. Mein Gott, sagte er auch manchmal und dehnte das
Mein unsagbar lange, was dann so viel bedeutete wie: Das ist doch kein Grund
sich aufzuregen. Nur kürzer war es. Nicht so oft, aber besonders gerne, wenn
er allein vor den Fernsehnachrichten saß, sagte er: Das sollen die mal
selber machen. Manchmal musste er auch hinstehen, wie neulich eben, als ihn
ein total verlumpter und verlauster Kerl gleich mehrfach auf der Straße mit
Haste-mal-n-Euro ansprach. Dein Euro geht mir am Arsch vorbei, war nötig, um
es dem klarzumachen. Manchmal genügte auch, einfach die Wohnungstüre
geschlossen zu halten. Den Türspion hatte er auf eigene Rechnung einbauen
lassen. Wer in einer Uniform durch das Kreisrund zu erblicken war, ob
Heilsarmee, die Feuerwehr oder das Rote Kreuz blieb draußen. Er wartete dann
eine Weile, bis die aus seiner Gegend verschwunden waren. Dann ging er
hinaus. Zum Einkaufen, solange es noch hell war. Als sich die Zeitungen vor
seiner Wohnungstüre stapelten, wurden sie vom Mieter aus dem Parterre
kurzerhand und ordnungsgemäß im Papiercontainer entsorgt. Dabei kehrte auch
das Untere wieder nach oben. Dort stand: 62-jähriger Rentner beim Einkaufen
überfallen. Passanten schauen zu.
(aus: Jens Ludwig, Geschichten kommen immer zurück.
Erzählungen, erstveröffentlicht Konstanz: teachSam, 2011)
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Beruht auf dem Werk unter http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_aut/jelu/jelu_txt_4.htm.