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Perspektiven der schulischen Medienarbeit

Multimedia-Ideologie

Gefahren und Risiken von Multimedia

 
 
  Vor allem getragen von den wirtschaftlichen Interessen der Computerindustrie ist eine Multimedia-Ideologie entstanden, die bestimmte Hypothesen über Lernen mit Multimedia mit zumeist fragwürdiger wissenschaftlicher Fundierung suggerieren will. Ihre Ideologie lässt sich nach Werner Sacher (2000, 2007) auf die Thesen zuspitzen: Die Lerneffizienz nimmt generell mit der Kombination unterschiedlicher Sinnesreize zu.

Dagegen gibt es allerdings eine ganze Reihe von Einwänden:

  1. Wissenschaftlich ist zumindest sehr umstritten, "ob die Informations-Präsentation in mehreren Sinnesmodalitäten wirklich immer effektiver ist als die Präsentation in einer einzigen Sinnesmodalität". (Sacher (2000, S.120) Die populäre Additionstheorie (10% durch Lesen, 20% durch Hören, 30% durch Sehen, 50% durch Hören und Sehen, 80% durch Sagen, 90% durch Tun) ist wissenschaftlich nicht belegt. Dementsprechend ist die Verarbeitungstiefe ("Gründlichkeit") für den Lernerfolg sogar häufig maßgeblicher als eine multimodale Präsentation, zumal jener schon u. a. durch aktivierende Maßnahme im Unterricht verbessert werden kann. (vgl. Sacher 2007, S.411)

  2. Eine große Menge von Sinnesreizen kann die Aussagekraft einer an einen Träger gebundenen Information auch verringern.

  3. Auch wenn die Festlegung von Menschen auf einzelne bestimmte Lerntypen wohl nicht zutrifft (→ Möglichkeiten und Grenzen der Lerntypentheorie) , da die "meisten Menschen sowohl visuell als auch sprachlich-begrifflich lernen können", kommt dem "Training beider Verarbeitungsweisen und ihrer Verknüpfung (dem Hin- und Hergehen zwischen Sprache und Text einerseits und bildlicher Darstellung andererseits) große Bedeutung zu." (Sacher 2007, S.411f.) Dabei erweist sich die duale Codierung nach Paivio besonders effizient, die darauf beruht, dass sich die doppelte Verankerung von Gedächtnisinhalten durch Wort und Bild als besonders stabil zeigt.

  4. Schemazeichnungen und einfache Modelle sind häufig effektiver als realtitätsnahe, perfektionistische oder photographische  Abbildungen, stehende Bilder häufig genau so effizient wie Animationen; denn "sie erschweren manchmal gerade wegen ihrer Vollkommenheit das Erkennen des Wesentlichen und lassen den konstruierten Charakter der Realität und die Modellhaftigkeit der Medienpräsentation weniger deutlich hervortreten." (Sacher 2007, S.411)

  5. Die Überfrachtung durch vielfältige Sinneseindrücke ("information overflow") tritt nach anfänglicher Motivationssteigerung schneller ein, als man bisher angenommen hat.

  6. Angebotene Verknüpfungen (hypertextuelle nicht-lineare Verweissysteme) sind effektiver, wenn sie vom Lernenden selbst hergestellt werden.

  7. Erlernte Einstellungen zu den Medien können dem Lernen mit Hilfe eines Mediums entgegenstehen, wenn z. B. die Lernenden die meist passive und lustbetonte Haltung beim Fernsehen und modernen "Edutainment"-Produkten auch beim Einsatz solcher Medien im Unterricht einnehmen. "Printmedien (Schulbücher, Arbeitsblätter etc.) wird häufig größere Bereitschaft entgegen gebracht, ernsthafte Lernarbeit zu leisten." ( Sacher 2007, S.411)

  8. Die Vorstellung von Lernen als "Edutainment"  kann eine Fehleinschätzung der Bedeutung von Mühe und Anstrengung im Lernprozess nach sich ziehen. Durch Infotainment entsteht häufig eher eine Informiertheitsillusion statt wirkliche Informiertheit.

  9. Weit verbreitetes multimediales Lernen bringt die "Gefahr eines schleichenden Wandels unseres Wissens- und Lernbegriffs" (Sacher 2000 S.123). Entkontextualisierte Informationen werden nicht mehr so effizient verarbeitet.

  10. Es entsteht eine Tendenz zu einer "»Industrialisierung« des Lehrens und Lernens"

    • Massenproduktion verhindert Eingehen auf spezielle Lernergruppen und spezifische Lernsituationen

    • Entstehung eines technologischen Verständnisses von Lernen und Lehren unter Verzicht auf Flexibilität.

    • Wirtschaftliche Interessen und Kosten bestimmen die Produktion der Ware: statt moderne Methodik und Didaktik wieder "Stoffhuberei"

    • Die Heterogenität der Adressatengruppen und ihrer Wertorientierung führt zum Verzicht auf Vermittlung von Werten und Normen.

  11. Der entstehende außerschulische Lehr- und Lernmarkt macht der Schule den Rang als führende Bildungsinstitution streitig.

  12. Ein Verfall des auf wissenschaftliche fundierten Analysen beruhenden Qualitätsbewusstseins für Lehr-Lern-Prozesse könnte dazu führen, dass kaum mehr alternative Modelle entwickelt werden.

  13. Multimedia kann dazu verleiten, mehr oder weniger passiv zu konsumieren. Damit entsteht ein Trend gegen das erfahrungsbezogene und handlungsorientierte Lernen.

  14. Innovationen im Multimediabereich können zur Ablenkung von anderen gravierenden Problemen des Bildungswesens benutzt werden. (vgl. Sacher 2000 S.120ff.)

 
      
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