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Sozialdisziplinierung als Mittel der Staatsentwicklung

Aspekte der Sozialdisziplinierung

Gerhard Oestreichs Konzept der Sozialdisziplinierung in der Darstellung von Schulze (1987)

 
GESCHICHTE
Grundbegriffe der Geschichte Europäische Geschichte Frühe Neuzeit (1350-1789) Zeitalter der Renaissance (ca.1350-1450) Zeitalter der Entdeckungen (1415-1531) Reformation und Glaubenskriege (1517-1648) Absolutismus und Aufklärung (ca. 1650-1789) Entstehung des frühmodernen Territorialstaats im Absolutismus Didaktische und methodische Aspekte Überblick Ausgangspunkt: Vielfalt sozialer Gruppen mit zahlreichen Sonderrechten und Lebensformen Schlüsselmonopole staatlicher Herrschaft [ Sozialdisziplinierung als Mittel der Staatsentwicklung Überblick Aspekte der Sozialdisziplinierung (Oestreich/Schulze) Christliche Sexualmoral, Sexualstrafrecht und Policey-Ordnungen in der frühen Neuzeit Die Entwicklung sozial konstruierter Scham in der frühen Neuzeit und im Barock ] Die Rolle der territorialen Konfessionskirchen Beginn des bürgerlichen Zeitalters ▪ Deutsche Geschichte
 

▪ Im Internet verfügbar unter: http://www.schmidt.hist.unibe.ch/pot/Sozialdisziplinierung/SchulzeOestreichSozialdisziplinierung.pdf

Bei unterschiedlicher Akzentuierung der Konzepte der zur Sozialdisziplinierung geht es stets um die zunehmende "Selbstdisziplinierung des Einzelnen und die von den staatl. Eliten angeleitete Disziplinierung von Adel, Ständen, Hof (Zeremoniell), Bürokratie (Leistungsprinzip), Militär (Drill) und Untertanen" als eine Entwicklung verstanden, bei der beide Komponenten  "in einem zielgerichteten, säkularen Prozess der Umformung zusammen(wirkten)". (Holenstein 2013)

Winfried Schulze hat in seinem Beitrag "Gerhard Oestreichs Begriff "Sozialdisziplinierung in der frühen Neuzeit (1987) dessen Konzept umfassend und systematisch dargestellt.

»Gerhard Oestreich (1910-1978), der sein Konzept "bewusst zu einem Leitkonzept der frühneuzeitlichen Geschichte Europas" (Schulze 1987, S.298) gemacht hat, verstand unter dem 1969 von ihm geprägten Begriff der Sozialdisziplinierung ein Bündel von geistig-moralischen und psychologischen Änderungen, denen sich die Menschen in Form zunehmender Selbstdisziplinierung durch die Entwicklung des frühmodernen Staates unterziehen mussten.

Im Gegensatz zu »Nobert Elias (1897-1990), dem es in seinem 1939 erstmals erschienenen Werk »"Der Prozess der Zivilisation" vor allem darauf ankam, die Verinnerlichung solcher Verhaltensnormen als einen Prozess der fortschreitenden, aber keineswegs geradlinig verlaufenden Zivilisation beschreiben, ging es Oestreich darum, die konkreten Verhaltensänderungen zu untersuchen, denen sich die Menschen unter äußerem Zwang in einem langfristigen, säkularen, allerdings meist ungeplanten Prozess der "Verstaatlichung" der Gesellschaft unterziehen mussten.

Wesentliche Aussagen dieser Darstellung werden hier in einer eigenen Strukturierung unter bestimmten "Überschriften" dargeboten und mit Lesezeichen (Textmarken) und Kommentaren versehen.

Rationalisierung, Zivilisation und Sozialdisziplinierung als die fundamentalen Prozesse der kulturellen Entwicklung des Abendlandes

Für Schulze (1987, S.291) fügt sich im Anschluss an die Ausführungen von Gerhard Oestreich der Prozess der Sozialdisziplinierung in den Kontext zwei weiterer großer Vorgänge der Kultur.

Diese großen Vorgänge der kulturellen Entwicklung bestehen: "erstens in der Rationalisierung als Kennzeichen der abendländischen Entwicklung, zweitens in der  Zivilisation als Fortschritt des menschlichen Benehmens seit dem Spätmittelalter, drittens in der Sozialdisziplinierung als Wandlung des inneren Menschen im Rahmen der Staats-- und Gesellschaftsbildung. Kernbereiche sind zum ersten die Vernunft, zum zweiten de Sitte und zum dritten die Moral."  (Schulze 1987, S.291)

Was bedeutet Disziplin in diesem Kontext?

Disziplin oder wie man auf Deutsch sagte "Zucht" ist ein zentraler Begriff des politischen, philosophischen, religiösen oder ökonomischen Diskurses in der frühen Neuzeit. Was dazu in den einzelnen Bereichen ausgeführt wurde, diente als Vorbild und wurde zum Maßstab für die Zielsetzungen und das öffentliche Handeln der Personenkreise, die in diesen Bereichen das Sagen hatten. Sie strebten an, das gesamte menschliche Dasein des Menschen vernunftgemäß zu ordnen. Die an der stoischen Lehre orientierte Vernunft (ratio) und die Disziplin (disciplina) bestimmten dabei nach und nach das zeitgenössische Denken. " (Schulze 1987, S.265f.)

"Die Tugenden des politischen Neostoizismus: virtus, disciplina und oboedientia sind die Ordnungsbegriffe der Untertanen des Absolutismus, der Bürokratie und des Militärs, der beiden institutionellen Stützen des frühmodernen Staates. [...] Die neustoische Ethik enthält eine absolutistische Verhaltens- und Tugendlehre, deren praktische Wirkung sich auf verschiedene soziale Schichten nachweisen lässt." (Schulze 1987, S.288)

"Die Disziplin-Idee ist eine Übertragung aus der römischen Kultur. [...] In spontaner Aktivität und autonomer Selbstgewissheit des eigenen Bewusstseins verkündeten die Neostoiker zur Befriedigung eines besonderen Kulturbedürfnisses die Lehren von der römischen Disziplin, Strenge und Gravität, von der Askese, Mäßigung und Selbstbeherrschung. Die Kategorien der Ordnung, des Gehorsams und der Disziplin traten in den Vordergrund des zeitgenössischen Denkens und Strebens." (Schulze 1987, S.270)

"Disziplinierung heißt hier nicht Vorrang des Staatlichen, des Politischen, des Dynastischen vor der Kultur, der Wirtschaft, Religion oder Wissenschaft. Es heißt Formung, Bildung, Einordnung im zunächst kleinsten Verkehrskreis oder Verband, heißt Ermöglichung des Umgangs miteinander, Vereinfachung der Besonderheiten, Erhöhung des Effekts durch Zucht." (Schulze 1987, S.275)

"Disziplinierung ist grundsätzlich ein sozialer, ein geistlicher und geistiger Vorgang in verschiedenen Verbänden, Schichten und Kreisen, ebenso ein wirtschaftlicher, der begann, bevor der politisch-fürstenstaatliche Prozess im Zeitalter des Absolutismus einsetzte." (Schulze 1987, S.288)

Sozialdisziplinierung als idealtypischer Begriff zur Erfassung zahlreicher Einzelphänomenen in der Entwicklung europäischer Gesellschaften

"»Sozialdisziplinierung« ist eine idealtypische Begriffsbildung, die historische Ereignisse des geistigen und materiellen Lebens, religiös–ethische Vorstellungen sowie die rechtliche und ökonomisch–soziale Wirklichkeit auf einen abstrakten Nenner bringt. Sozialdisziplinierung fasst verschiedene wohlbekannte Erscheinungen zusammen und wird als der gemeinsame Begriff für einen grundlegenden, einheitlichen Vorgang angewendet, der zwar Einzelerscheinungen beobachtet, diese aber als Varianten eines Gesamtphänomens ansieht. Es ist kein Begriff für eine nationale Tradition oder für das absolutistisch–monarchische Denken allein, obwohl mit beiden eng verbunden. Es handelt sich um einen europäischen Vorgang, der auf Probleme und Lösungsversuche verweist, die allen Gesellschaften gemeinsam sind." (Schulze 1987, S.266)

Dass den "vielen Klein- und Kleinfürstentümer, die das Bild des Alten Reiches aufs Ganze gesehen prägten, (...) meist bereits die Kraft zur Vollendung der frühmodernen Staatsbildung (fehlte)," (Schilling 1987, S.185) verdeutlicht, dass das Konzept der Sozialdisziplinierung von oben nicht als universelle Prozesskategorie taugt, sondern eher einen idealtypischen Verlauf unter bestimmten Bedingungen beschreibt.

Das Konzept der Sozialdisziplinierung beschreibt dabei den Prozess, wie es im Zuge der frühmodernen Staatsentwicklung in einer langwierigen Entwicklung gelang, neue Formen der obrigkeitlichen und der sozialen Kontrolle zu installieren, welche die auf eine lange Geschichte zurückgehenden Partikularinteressen von Klerus, Adel und Stadtbürgertum "zugunsten eines »gemeinen Besten«, das zunehmend von oben verordnet wurde, durch den Staat und seine mit einer umfassenden Polizeigesetzgebung steuernd und ordnend eingreifende Bürokratie." (ebd., S.155) Zug um Zug abschleifen konnten.

"Die Sozialdisziplinierung ist niemals und in keinem Land zu einem einheitlichen System ausgestaltet worden, und doch ist sie zusammenwirkendes Ganzes verschiedener Strömungen auf den einzelnen Lebensgebieten und in den einzelnen Lebenskreisen. Das Bewusstsein für die Ordnungsfaktoren ist jeweils verschieden, die disziplinierende Tendenz aber gleich." (Schulze 1987, S.267)

In den beiden Prozessen der Sozialregulierung und Sozialdisziplinierung "werden nicht allein die politische und soziale Verfassung, die beide in einer großen Strukturveränderung befindlich sind, berührt, sondern über die gesellschaftlichen Organisationen hinaus die Menschen als Individuen erfasst." (Schulze 1987, S.273)

Sozialdisziplinierung als komplizierter Transformationsprozess

"Sozialdisziplinierung umfasst einen komplizierten Transformationsprozess – und zwar von oben nach untern, aber nicht im üblich beschworenen Sinn von der Regierungskanzlei der Monarchie in die Untertanenschaft wie von der Loge des Hoftheaters hinab auf die Bühne, sondern eher dialektisch durch Herrschaft einer leistungsfordernden, aber auch exemplarisch vorplanenden und zunehmend selbst leistungsbereuten Schicht über eine zum Gehorsam und zur Einübung erzogene und disziplinierte neue Staatsbürgerschaft. Die eigene Arbeitsleistung der herrschenden Regierung und auch des Fürsten selbst führt zu einer veränderten Begründung des Herrscheramtes. In einem langen Prozess wird schließlich das geburtsständische Prinzip vom Leistungsprinzip überwunden. Die herrschaftsständische Gesellschaft (= der Staat beruht auf Privilegien) wandelt sich über die gesellschaftsständische Gesellschaft (= die Gesellschaft beruht auf Privilegien) und die berufsständische Gesellschaft (= die Arbeitsteilung beruht auf korporativen und individuellen Rechten und Pflichten) zur Wirtschaftsgesellschaft."  (Schulze 1987, S.274f.)

Klar ist, dass "der Prozess der Institutionalisierung von Herrschaft als Verstetigung ihrer Ausübung ( u. a. durch zentrale Verwaltung, Einsatz von gelehrten Fachleuten, Gewaltmonopol)" (Schorn-Schütte 2009, S.22) seit dem 16. Jahrhundert europaweit eine außergewöhnliche Dynamik entfaltete und über zwei Jahrhunderte lang "eine Phase beschleunigten Wandels" (Schilling 1994, S.315) darstellte, die Staat und Gesellschaft in Europa "tief umformte" und "am Ende zur neuzeitlichen Rationalität und Modernisierung (führte)." (ebd.)

Angetrieben und verstärkt durch die von der Konfessionalisierung freigesetzten Energien, die der Entwicklung des frühmodernen Staates besondere Schubkraft gaben, ging es bei diesen Modernisierungsprozessen nach Schilling (1994, ebd.), um vier ▪ zentrale Aufgaben:

Ergebnisse und Tendenzen des Wandels zeigten sich dabei vor allem auf den nachfolgen Gebieten (ebd., S.315f.


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Wie sich der Transformationsprozess im Einzelnen vollzogen hat, was die Triebkräfte dieser Verstetigung der Herrschaftsausübung und ihre maßgeblichen Akteure waren, konnte dabei sehr unterschiedlich sein. (vgl. Sozialdisziplinierung als dynamischer Prozess)

Sozialdisziplinierung als dynamischer Prozess

"Abgesehen von den selbstverständlich vorhandenen nationalen Unterschieden dieser Fundamentalerscheinung ist zu beobachten, dass der Disziplinierungsprozess kein geradliniger Vorgang ist, sondern vielmehr, wie jeder historische Vorgang, sich mehr oder weniger zielgerichtet in Schüben vollzieht, ein Steigen und Abfallen, einen Fortschritt und Rückgang deutlich offenbart. Gerade der Begriff Disziplinierung schließt zu leicht eine teleologische Vorstellung ein, doch im Auf und Ab dieses dynamischen Vorgangs lassen sich sehr deutlich die progressiven und die stark retardierenden Phasen erkennen." (Schulze 1987, S.266) (vgl. Sozialdisziplinierung als komplizierter Transformationsprozess

Sozialregulierung als Vorform der Sozialdisziplinierung in der Renaissance

"Die Vorform der Sozialdisziplinierung hat Oestreich als »Sozialregulierung« bezeichnet – ein Begriff, der in der regelnden Anordnung (= Regel) das Streben nach Ordnung noch im Sinne einer Harmonisierung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse verdeutlichen soll im Gegensatz zur späteren »Zucht und Ordnung« der Sozialdisziplinierung.
Sozialregulierung fällt zeitlich zusammen mit der Hochrenaissance in der Kunstgeschichte und den im künstlerischen Bereich neu erwachten Ordnungs-, Maß- und Harmoniebestrebungen. [...] Im weltlichen Bereich zeugen die Landes- und Policeyordnungen, die das menschliche Zusammenleben ordnen und bestimmen wollten, von einem über die Künste hinausgehenden allgemeinen Interesse an Ordnung, Gesetzmäßigkeit und Harmonie auch der öffentlichen Verhältnisse.
Sozialregulierung betrifft mehr den städtischen als den ländlichen Bereich."  (Schulze 1987, S.267)

"Sozialregulierung will die negativen Umweltbedingungen durch Einübung überwinden helfen und das gesellschaftliche Leben ordnen. Sozialdisziplinierung will das geordnete Leben in der Gesellschaft im Blick auf den Staat stärken und hierfür das menschliche Verhalten in Beruf und Lebensmoral disziplinieren." (Schulze 1987, S.273)

"Die Sozialdisziplinierung beruht auf der Tatsache, dass bei Nichtbefolgung der Vorschriften nicht mehr gesellschaftliche Sanktionen, sondern rechtlich(–gesetzliche) Zwangsmaßnahmen eintreten." (Schulze 1987, S.276) 

"Die disciplina, aus dem Römertum als disciplina militaris kommend, eroberte sich vom militärischen Bereich aus den ganzen breiten zivilen Bezirk. Das Problem des Heeres war das Problem des Staates, der Kirche und der Gesellschaft: Herstellung einer Zucht durch Mittel der Disziplin, einer Ordnung durch Gehorsam." (Schulze 1987, S.286) 

Sozialdisziplinierung als Kategorie eines sozial-kulturellen Metaprozesses

"Oestreichs Begriffe Sozialdisziplinierung – oder Fundamentaldisziplinierung – und vorausgehende Sozialregulierung wollen die unendliche Fülle bewegten Lebens einfangen und durch die Ausweitung des Politischen ins Soziale und Mentale das Klima der menschlichen Existenz in der frühen Neuzeit bestimmen. Kurz: Er will die Geschichte im umfassenden Sinn als Prozess der Kultur begreifen, denn die Sozialdisziplinierung als höchst realer Grundfaktor veränderte in einem über Jahrhunderte sich erstreckenden Vorgang die psycho-soziale Haltung des Menschen, sein Mitwelt-Verhalten. Auch ein neues Umwelt-Verhalten in unseren Tagen ist ohne disziplinierte und sozial ausgerichtete Anstrengung jedes einzelnen nicht denkbar. Es geht also nicht nur um eine Lebenseinheit im Absolutismus, sondern um eine Phase im Rahmen einer größeren Entwicklung: der Ordnung des Zusammenlebens der Menschen." (Schulze 1987, S.268)

Die Sozialdisziplinierung gehört damit zu den Veränderungen, die in den westlichen Gesellschaften in der frühen Neuzeit beginnen und bis heute als Modernisierungsprozesse fortlaufen. Es handelt es sich dabei um eine Vielzahl von gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Prozessen, die mal eng aneinander gekoppelt, mal voneinander losgelöst und ihrer jeweils eigenen Logik folgend, die Moderne insgesamt grundlegend von den traditionalen Gesellschaften der Vormoderne unterscheidet.  Die Sozialdisziplinierung als dynamischer Prozess steht dabei in einer Reihe von Entwicklungen wie z. B. Industrialisierung und »Industriegesellschaft, die »Demokratisierung, »Urbanisierung, »soziale Differenzierung, »Individualisierung, »Singularisierung, »Kommerzialisierung, »Bürokratisierung, »Medialisierung, oder »Globalisierung. Alle diese Prozesse stellen dabei Metaprozesse dar, bei denen "oft auch nicht klar (ist), zu welchem Zeitpunkt sie eigentlich beginnen oder enden. Es ist sogar ungewiss, ob sie eine definierte Richtung haben und was im Einzelfall Teil von ihnen ist und was nicht." (Krotz 2006, S.29) Dass Sozialdisziplinierung auch ein Thema der zeitgenössischen Moderne darstellt, zeigen dabei nicht nur die rechtlichen, mentalen und sozialen Aspekte der drohenden Klimakatastrophe oder des Umgangs mit weltweiten Pandemien, sondern auch die Probleme, die sich aus der zunehmenden Digitalisierung unseres Lebens ergeben.

"Sozialdisziplinierung führt einen Konsensus über das Wertesystem herbei und begründet die Spielregeln gesellschaftlichen Verhaltens. Dies ist ein komplexer Vorgang, der nicht auf eine Formel gebracht werden soll oder kann. Auch wenn er sich oftmals fast mechanistisch vollzog, darf die Wirkung der beharrenden Kräfte nicht unterschätzt werden. Zudem bleibt die Anpassung menschlichen Verhaltens immer im Defizit gegenüber den durch die Fortschritte von Wissenschaft und Technik bedingten Lebensbedingungen und –verhältnissen." (Schulze 1987, S.268)

"So entstand ein gemeinsames Welt- und Menschenbild, bildeten sich neue Einheiten sozialer und disziplinierter Verbundenheit. Der Soldat soll schanzen, der Adel soll arbeiten, der Untertan gehorchen, der Staatsbeamte uneigennützig die Verwaltungsgeschäfte führen; der Mensch soll mit seiner raison de passions die passions besiegen. Alle müssen arbeiten. Die Zucht- und Arbeitshäuser sind symbolisch für die neue Verbindung von Zucht und Arbeit. Alle Arbeitsprodukte sind der Kontrolle durch staatliche Fabrikinspektoren unterworfen; die entsprechenden Vorschriften gelten für alle Zweige wirtschaftlicher Tätigkeit." (Schulze 1987, S.287)

Disziplinierung als Grundvorgang des modernen Staats bei der Ordnung größerer Menschenmassen

"Disziplinierung als Kennzeichen des modernen Staats wird erst sichtbar bei der Ordnung größerer Menschenmassen. Sie ist grundsätzlich ein sozialer Prozess, der auf geistlichem und geistigem ebenso wie auf wirtschaftlichen Gebiet schon vor dem politisch-fürstenstaatlichen Ausbau im Zeitalter des Absolutismus einsetzt. Sie dient dem sozialen Wandel von der Agrar- und Feudalgesellschaft zur bürgerlichen und städtischen Gesellschaft. Zugespitzt ausgedrückt: Sozialdisziplinierung ist Reaktion auf Wandel und Entwicklung, ist Neuschöpfung angesichts veränderter Umstände." (Schulze 1987, S.292)

"Disziplinierung wird erst sichtbar als Grundvorgang des modernen Staats bei der Ordnung größerer Menschenmassen innerhalb kleinerer Verbände. Das moderne Leben in größerer Verkehrsdichte – beginnend mit der Verstädterung in der frühen Neuzeit – setzte eine moralisch–geistige Veränderung des Individuums und seiner Einstellung zu anderen voraus. Der Mensch, der vorher in ländlicher, mehr oder weniger isolierter Selbstbestimmung, auf jeden Fall, in einem überschaubaren und heterogenen sozialen Umfeld gelebt hatte, musste lernen, sich in differenziertere, größere und engere Räume einzufügen. Das geschah erstens durch Einsicht in die Notwendigkeiten, zweitens durch den Zwang der Umstände, drittens durch Gesetz und Verordnung. Es setzte eine Selbstdisziplin und gleichzeitig Erziehung zu neuen Moralbegriffen ein, die die Existenz der Mitmenschen berücksichtigte und auf einen geordneten Ablauf des gesellschaftlichen Zusammenlebens, auf ein effektiveres Staatsleben zielte." (Schulze 1987, S.289)

"Es handelt sich erstens um die Disziplinierung aller Schichten der Gesellschaft für die politische Ordnung, und zwar innerhalb der korporativ–hierarchischen Ständegesellschaft mit Geistlichkeit, Adel, städtischer und ländlicher Bevölkerung einerseits, der absolutistisch–hierarchischen Staatsgesellschaft in Hof, Bürokratie und Militär andererseits. Zwischen beiden gewinnt die Wirtschaftsgesellschaft immer mehr an Bedeutung. Der soziale Adressat in breitestem, nie dagewesenem Umfang ist der Untertan im politisch entprivilegierten Staat. Es handelt sich zweitens um die Disziplinierung des einzelnen für die gesellschaftliche Ordnung im Rahmen einer individualethisch–individualpädagogischen Bewegung." (Schulze 1987, S.273)

"Im 16. Jahrhundert diente der »Staat« zunächst als Instrument der Sozialdisziplinierung zum Fortbestand des öffentlichen Lebens, der leichteren Bewältigung des menschlichen Verkehrs. Mit zunehmender Bevölkerung und einsetzender Verstädterung stieg das Kommunikationsbedürfnis. Personen- und Güterverkehr bedurften der Voraussetzungen: des Straßennetzes und des Wegebaus, der Flussregulierungen, des Kanalbaus usw., und hierzu wiederum überregionaler Planung und finanzieller Bewältigung. Die Domestikation der bisher isolierten »Massen« im damaligen Sinne erforderte die Einübung eines entsprechenden zwischenmenschlichen Verhaltens. Nachdem der »ständische Staat« und der »monarchische Staat«, zuerst beide zusammen oder jeder einzeln, die sich neu stellenden Aufgaben ergriffen hatten, gewann der »monarchische« Staat dann ein Eigenleben, während die Mitwirkung der ständischen Gesellschaft im öffentlichen Leben zurücktrat. Die in ihrem Bereich gewiss noch politische, aber auf zentraler Ebene unpolitische Gesellschaft der Stände herrschte auf lokaler, oft auch regionaler Ebene sozial weiter, währen der obrigkeitliche Staat (absolute Monarchie) eine autoritäreigenständige Gewalt ausbildete." (Schulze 1987, S.281f.)

"Der Absolutismus ist eine zentralstaatlich-bürokratische, militärische und ökonomische Bewegung, deren Anfänge auf humanistischen, kirchlichen und moralphilosophischen Grundlagen ruhen." (Schulze 1987, S.282)

"Der Absolutismus brachte die Überhandname autoritäre Organisation von oben durch Befehl und Gewalt, die Herrschaft der Disziplin in fast allen Bereichen der neuen absolutistischen Staatsgesellschaft, auch wenn neben dem Fürstenstaat der Ständestaat erhalten blieb." (Schulze 1987, S.282)

"Eine alles durchleuchtende Verwaltungsstatistik, Kontrolle der Bürokratie wie der Finanzen bilden einen Teil der disziplinierenden Staatsbildung, deren Ausbau im Zeitalter des Absolutismus unter dem Stichwort der Disziplin in Heer, Ökonomie und Administration zur Sozialdisziplinierung der Bevölkerung führte." (Schulze 1987, S.283)

Sozialdisziplinierung als langsame, jeweils auf der Tagesordnung stehender Veränderungen des Verhaltens, des Lebensstils und der Mentalitäten der Menschen

"Sozialdisziplinierung besitzt keine omnipotente Allgegenwärtigkeit, ist ist vielmehr eine stückweise Aufarbeitung gerade aktueller, d. h. zeitlich gebundener Leistungsanforderungen und historisch gegebener Ansprüche. Dieser Jahrhunderte währende Prozess langsamer Veränderung des Verhaltens, des Lebensstils und der Spiritualität bewirkte während des absolutistischen Zeitalters im Merkantilismus, Militarismus und in der Bürokratisierung eine neue Auffassung von Arbeit und Berufstätigkeit. Darin liegt eine starke Bedeutung für die Umgestaltung aller Ränge der Gesellschaft begründet. [...] Die alte feudale Dreiteilung in Geistlichkeit, Adel, Bürgertum tritt zurück zugunsten einer berufsständischen Ordnung." (Schulze 1987, S.292)

Die "Sozialisation der Gesamtgesellschaft"

Das Konzept der Sozialdisziplinierung richtet seinen Fokus auf die "Sozialisation der Gesamtgesellschaft. Das Zusammenleben bei wachsender Bevölkerung und Siedlungsdichte, der zunehmende Verkehr, die sich ausbildenden Organisationen und Institutionen in Stadt und Staat, Hof und Militär, Kirche und Schule, Kultur und Bildung, Gewerbe und Handel, Landwirtschaft und beginnender Industrialisierung, die Notwendigkeit der Schaffung der finanziellen Voraussetzungen für die wachsenden öffentlichen und privaten Aufgaben, die Regulierung und Disziplinierung der Tätigkeit des Menschen in sämtlichen Lebensbereichen bedeutet Strukturwandel größerer Massen, breiterer Gesellschaftsschichten, angefangen von den Anordnenden und Leitenden bis weit hinunter zu den Ausführenden und in Subordination Tätigen." (Schulze 1987, S.274)

Absolutistische Disziplinierung als Antwort auf das ins Wanken geratene friedliche Zusammenleben

"Disziplin und Streben nach Disziplin hat es zu allen Zeiten in den verschiedensten Formen und in unterschiedlichster Intensität gegeben. Ohne Ordnung kein sicheres Zusammenleben der Menschen, ohne Disziplin keine zuständliche Ordnung, ohne gesetzte Ordnung keine wirksame Tendenz zum geordneten Zustand. Aber das Überragen der Disziplinforderungen in Staat und Kirche, Wirtschaft und Heer ist ein besonderes Zeichen der absolutistischen Entwicklung des modernen Lebens. Das Sozial- und Kultursystem des Absolutismus wird von Disziplin beherrscht.
Zu dieser Disziplinierung forderten die Erfahrungen der voraufgehenden Zeit heraus. Die militärisch-oppositionelle Haltung in den Ständestaaten und das revolutionär-brutale Grundverhalten in allen Lagern des konfessionell gespaltenen Europa wurden durch die Verbreitung des politisch-religiösen Widerstandsrechts in der monarchomachischen Staatstheorie gestützt und gestärkt. Auf dieser ideologischen Grundlage, die den ständischen wie kirchlichen Kampf gegen jede Unterdrückung rechtlicher Privilegien und freiheitlicher Ansprüche legitimierte, war der Boden für ein friedlich geordnetes Zusammenleben der Menschen ins Wanken geraten. Die absolutistische Disziplinierung war der immer weiter um sich greifende Gegenschlag zur Ausdehnung der Gemeinwohlverankerung." (Schulze 1987, S.289f.)

"Die Situation des Rechts war durch die allgemeine Intensivierung des öffentlichen Lebens, den Umbruch vom Personenverbandsstaat zum institutionellen Flächenstaat, durch die Entwicklung von der Fehde zum fürstlichen oder städtischen Gerichtswesen, durch Handels- und Verkehrsintensivierung, Wirtschaftsstrukturveränderung und Bevölkerungszunahme in Unordnung geraten. Der Verlust der persönlichen Beziehung als einer das öffentliche Leben regelnden Instanz (nicht nur Funktion), die Verringerung der Bedeutung der älteren Personenverbände des Hauses, der lokalen Herrschaft als Schutz- und Ordnungsverbände führte zu dem überall zu beobachtenden Ruf nach Gegenseitigkeit, Anerkennung der wechselseitigen Verhältnisse [...] im öffentlichen wie privaten Leben." (Schulze 1987, S.277)

Die römische disciplina militaris als Ausgangspunkt für die Sozialdisziplinierung

"Die disciplina, aus dem Römertum als disciplina militaris kommend, eroberte sich vom militärischen Bereich aus den ganzen breiten zivilen Bezirk. Das Problem des Heeres war das Problem des Staates, der Kirche und der Gesellschaft: Herstellung einer Zucht durch Mittel der Disziplin, einer Ordnung durch Gehorsam. Das Militär galt als Inbegriff der Zuchtlosigkeit, die durch die Praxis des Beutemachens besonders krass in Erscheinung trat. Dem entsprach im Beamtentum das Sportelwesen und der Ämterkauf." (Schulze 1987, S.286) 

Die Rezeption des römischen Rechts

"´Von entscheidender Bedeutung sollte die Rezeption des römischen Rechts werden [...] Einerseits hat die Rezeption als entscheidende Folge die »Verwissenschaftlichung des deutschen Rechtswesen und seiner fachlichen Träger« (Wieacker) gebracht, andererseits schuf fas römisch-rechtliche Denken eine alle Teile des öffentlichen Lebens ergreifende Umwandlung des genossenschaftlichen in ein herrschaftliches Denken – zunächst in der Rechtsfindung, sodann in den Rechtskodifikationen. Die ungeordnete genossenschaftliche, individuelle und häusliche Rechtsprechung wurde zurückgedrängt zugunsten einheitlich festgelegter Rechtssätze; an die Stelle des unstudierten Schöffen und des Laienrichters trat der gebildete Jurist, der auch mehr und mehr in der fürstlichen, ständischen oder städtischen Verwaltung und für diplomatische Aufgaben Verwendung fand." (Schulze 1987, S.278)

"Durch Ordnung des Instanzenzuges, Klarstellung der Rechtsbefugnisse, Ordnung des Prozessverfahrens fand eine Disziplinierung der fürstlichen (und ständischen) Gerichtsverfassung statt, die mehr Gerechtigkeit gewährleistete als vorher." (Schulze 1987, S.278)

Christentum, Protestantismus und Humanismus als Nothelfer und Unterstützer des säkularen Prozesses der Sozialdisziplinierung

"Christentum und Humanismus [...], besonders Calvinismus und französisch-niederländischer Späthumanismus sind Nothelfer der Weiterentwicklung des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Sie wollen das triebhaft-organische Denken überwinden und setzen dagegen bewusst disziplinäre Kirchenordnungen, weltliche Edikte und Mandate, Policey-Ordnungen und Gesetze."  (Schulze 1987, S.276)

"In den Großkirchen wie in den Sekten verbanden sich die Reformgedanken von Anfang an mit Vorstellungen energischer Disziplinierung. Luther forderte Gehorsam von Herren und Fürsten nicht anders als von den Bauern. Er verwarf die Selbsthilfe und betrachte Autorität und gehorsam als Vorbedingungen christlichen Lebens. Zwingli und Calvin als religiöse Reformatoren waren gleichzeitig Reformatoren der öffentlichen Zucht und Ordnung, In den Züricher und Genfer Stadtstaaten begründeten sie ohne Ansehen der Person mit harten, einschneidenden Mitteln eine christliche Disziplin und mehrten sie ebenso energisch. Gleichheit der Christen vor Gott wurde praktiziert als Gleichheit in christlicher Zucht. [...] Doch die methodische Lebensdisziplinierung, die besonders im Calvinismus gefordert wurde, ist nicht identisch mit Sozialdisziplinierung, Sozialdisziplinierung ist ein säkularer Prozess, der durch die religiöse Disziplinierung unterstützt, aber nicht bestimmt wird. " (Schulze 1987, S.279)

"Die Kirche als Träger der bisher umfassendsten Disziplinierung war der wichtigste Faktor neben den weltlichen Trägern der Disziplinierung. Im 16. Jahrhundert wurde die Jurisdiktion der Bischöfe als Teil einer geistlichen Gewalt neben der Kirchendisziplin den Konsistorien übertragen. Die Mittel zur Ahndung bei schweren öffentlichen Ärgernissen in der Gemeinde waren Ausschluss vom Abendmahl und Kirchenbuße, disziplinarische Maßnahmen also, geistliche Zuchtmittel, in keiner Weise kriminelle Strafen mit rechtlichen Folgen für die Bürger. Diese in das öffentliche Leben hinreinragende Disziplin wurde vom modernen Staat zurückgedrängt."  (Schulze 1987, S.280)

Das Streben nach "Policey und guter Ordnung"

"In jedem städtischen oder staatlichen Mandat in Deutschland wurde von der Aufrichtung von »Policey und guter Ordnung« gesprochen, wobei zunächst die Wahrung bzw. Herstellung der moralischen und religiösen Ordnung beschworen wurde, die aber zugleich den Bestand der öffentlichen Ordnung umfasste und die ungestörte Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit, des öffentlichen Wohls und der Sicherheit im damaligen Verständnis einschloss. Policey bedeutet also nicht ein Organ der Regierung, sondern die Gesamtheit der sozialen Ordnungsversuche seitens der Obrigkeit." (Schulze 1987, S.271)

"Mit Beginn der frühen Neuzeit drang in die sich bildenden gesetzesfreien Räume die gestaltende und ordnende Kraft der Policey mit dem Willen, alle neuen Lebensprobleme auf des Gebieten des Sozialverhaltens und der Lebensführung, der Sozialordnung und der Wirtschaft im Sinne der bestehenden Gesellschaftsordnung zu lösen. Zugleich entwickelten die Regulierungen und Reglementierungen die soziale Orgsanisationskunst und -lust in den Händen hoheitlich–rechtlicher Verwaltungen." (Schulze 1987, S.272)

"Neue Probleme, die noch nicht durch Herkommen und Brauch erfasst oder durch Gesetze geregelt sind [...] alte Ermessensfragen und Höflichkeitsregeln" funktionieren "in einer fortschreitenden Intensivierung des öffentlichen Lebens früher oder später" nicht mehr und "müssen zu einer starren Vorschrift geordnet und umgewandelt werden, deren Einhaltung und Befolgung wiederum entsprechende Überwachungsmaßnahmen erfordert." (Schulze 1987, S.272)

"Über die Policey, ihre Aufgaben und Funktionen im 15. und 16. Jahrhundert entsteht der Staat, der monarchische ebenso wie der ständische Staat. [...] In einer großen staatsrechtlichen, privatrechtlichen und steuerrechtlichen Bewegung erfolgte die Ausgleichung der partikularen und korporativen Privilegierungen". (Schulze 1987, S.272)

"Doch mit Überschreitung ihrer Zugehörigkeitssphäre von engen zu weiteren Kreisen, zu größeren Bereich wie der Stadt und später dem Land (= dem 'Staat'), entstehen neue Ordnungsprobleme. Diese zu lösen versuchen die städtischen Policeyordnungen, Kleiderordnungen, dann die entsprechenden Landespoliceyordnungen, die zwar im Anfang noch ständische Mitberatung kennen, aber doch bald als vornehmlich oder allein bürokratische Verfügungen zu Rechtssetzungen werden." (Schulze 1987, S.275)

Die Fürstengewalt als einzige Institution, die über die Ressourcen zur modernen Staatsgewalt verfügt

"Die Disziplinierung als allgemeine Aufgabe der Zeit ist weder von der Kirche (durch ihre Kirchenordnungen) noch von den älteren Organisationen des öffentlichen Lebens, wie dem Rat der Städte (durch Policeyordnungen), den städtischen Korporationen der Zünfte (durch Zunftordnungen) – den lokalen Herrschaftsgewalten also in Stadt und Land –, gelöst worden. Auch das gemeinsame Angehen der Probleme auf Land- und Reichstagen (Landesordnungen, Reichspoliceyordnungen usw.) führte kaum weiter, da den Landständen wie dem Reich die Voraussetzungen zum Erzwingen der Befolgung dieser Ordnungen fehlten. [...]
Die zur Staatgewalt sich ausbildende Fürstengewalt als summa potestas erwies sich als die einzige zur Disziplin gewillte wie auch fähige Institution. Denn zu ordo und disciplina gehört eine Zwangsgewalt."(Schulze 1987, S.281)

Die Urbanisierung als Vorgang der Sozialdisziplinierung

"Der Wechsel von der Agrar- zur Industriegesellschaft, der die Gesellschaftsentwicklung entscheidend beeinflusst hat, ist für die Sozialdisziplinierung nicht der allein auslösende Faktor. Von ebenfalls einschneidender Bedeutung ist die Veränderung der natürlichen Entwicklung durch die Urbanisierung. Die Verstädterung ist ein sozialdisziplinierender Vorgang. Sie führt zunächst im städtischen Gesellschaftsbereich zur Regulierung des Sozialverhaltens, dann folgt in Militär, Wirtschaft, Recht die politische Bändigung." (Schulze 1987, S.273)

Die neuen Beamten als Treiber der Sozialdisziplinierung

"Von der neuen, die öffentliche Ordnung tragenden Schicht des Hofstaats- und fürstlichen Beamtentums gingen wesentliche Ströme auch der Gemeinschaftsdisziplinierung aus. So bedeutete der Kameralismus nicht nur Machtvermehrung, sondern auch Steigerung der Disziplin im wirtschaftlichen Bereich." (Schulze 1987, S.288)

"Die leitenden Funktionen der neuen Bürokratie erforderten ganz anderem Maße als in der alten feudalen Ordnung den Typ einer besonderen Persönlichkeit. Bei ihr tritt das Leistungsprinzip in den Vordergrund, der Wille zur Leistung, der Einsatz für das Gemeinwesen, schlicht der Amtscharakter seiner Tätigkeit. Das bedeutet Selbstdisziplin der Führungseliten im fürstlichen Verteidigungswesen ebenso wie im fürstlichen Verwaltungsapparat und führte zum Entstehen eines militärischen und zivilen Offizierskorps. Für die Zucht am Hofe wurde die disciplina militaris in einen Tugendkanon ziviler Werte umgeformt. [...] Gerade die Einwirkung der älteren feudalen Amtsauffassung auf das entstehende monarchische Amtskorps konnte bedeutsam werden wegen der stärkeren Verwobenheit von älterem Amt und allgemeinem öffentlichen Leben, wegen des Durchbruchs einer modern-staatlichen fürstlichen Dienerschaft allein in der zentralen Sphäre. In der regionalen Sphäre erfolgte die Durchsetzung ungleich langsamer und später.
Dagegen wurde das Offizierskorps in den drei Sphären Gesamtstaat, Provinz, Garnison schneller, rascher umgewandelt. [...] Die Praxis, dass die jeweiligen Unteramtsträger von den oberen Amtsträgern ernannt wurden, war im zivilen wie im militärischen Amtskorps die gleiche."  (Schulze 1987, S.284f.)

Verschiedene Zeugnisse des "disziplinierenden Geistes der Zeit"

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 30.01.2024

 
 

 
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