docx-Download -
pdf-Download
Auf die Plätze, fertig, los!
Generationsübergreifendes Fitnesstraining in Zeiten des demografischen
Wandels
In der Volksrepublik China kennen sie es schon lange und keiner käme auf die
Idee, den vorwiegend älteren Menschen, die sich dort in einem
Bewegungsparcours treffen und sich sportlich betätigen, nachzusagen, sie
seien auf einem Spielplatz. Auch wenn der Begriff Seniorenspielplatz im
Vergleich mit dem Kinderspielplatz wohl auch ausdrücken soll, dass in einem
abgegrenzten Bereich im öffentlichen Raum ein speziell für Senioren
geschaffener Platz mit Bewegungsgeräten geschaffen wird, wird mit dem
Begriff Spielplatz, statt z. B. Parcour (von fr. parcourier = ablaufen,
durchlaufen), doch auch eine gewisse Abwertung zum Ausdruck gebracht. Ältere
und alte Menschen werden dabei zwischen Vorstellungen von Sandkasten oder
Rutschen ins Bild gebracht und mit ihren geistigen und körperlichen
Fähigkeiten in die Nähe von Spielplatzkindern gerückt. Irgendwie scheint die
Sprache den Realitäten des demografischen Wandels nicht gewachsen zu sein
und einer Zukunft, in der die Alten die Mehr-, die Jungen eher die
Minderheit repräsentieren werden. Mit "Seniorenspielplatz" also alte Leute
veräppeln? – Geht gar nicht (mehr).
Während sich also hierzulande etliche Zeitgenossen sportliche Aktivitäten
älterer Menschen wohl nur auf Hometrainern in den eigenen vier Wänden, bei
Ringtennis im Verein oder bei der Wassergymnastik im Thermalbad in den
Vormittagsstunden vorstellen können, gehört sportliche Bewegung,
insbesondere auch älterer Menschen, in China immer schon zum öffentlichen
Leben auf Plätzen und in Parks. Und auch bei Jüngeren ist das gemeinsame
Training mit den Alten in der Öffentlichkeit beim Tai-Chi (Schattenboxen),
Qigong oder auf den allerorts vorhandenen Bewegungsspielplätzen keineswegs
verpönt. (s. Abb.)
In Deutschland haben ältere Menschen in den Fitnessstudios längst ihren
Platz eingenommen. Schon 2013 soll fast jeder Dritte der seinerzeit etwa 8
Millionen (Ende 2014: ca. 9,1 Mio.) Fitnessstudio-Mitglieder über 50 Jahre
alt gewesen sein und rund 13% älter als 60.1) Trotzdem sehen viele Senioren
in Fitnessstudios immer noch Muckibuden für Jüngere, denen es mehr um
Attraktivität und Bodystyling als um Gesundheit gehe. Dabei hat die Branche
längst erkannt: Die zahlungskräftigen Seniorinnen und Senioren sind ihr
Wachstumsmarkt der Zukunft. Da zieht indessen ein Trend ins Land, der das
Klingeln der Kassen von Fitnessstudios auf Dauer gesehen freilich
abschwächen könnte. Zumindest in den Monaten, in denen man als älterer
Mensch genauso gut draußen mit sportlicher Betätigung etwas für seine
Ausdauer, Bewegungs- und Koordinationsfähigkeit tun kann, ohne dafür teure
Beiträge bezahlen zu müssen.
Nun drängen die Alten, nachdem sie schon zahlreiche Fitnessstudios
"unterwandert" haben, mit ihren Bewegungsparcours, Senioren-Aktivitätenplätzen etc. in die Öffentlichkeit. Körper, die mit der
Strahlkraft eines jugendlichen Bodys nicht mithalten können, schwitzen und
keuchen, dehnen und biegen sich in aller Öffentlichkeit an der frischen Luft
und trainieren damit ihre Beweglichkeit und Koordinationsfähigkeit. Manch
einem Lifestylesportler, der für sein modisches Sportoutfit einschließlich
AppleWatch zur eigenen Vermessung schon mal einen Betrag in Höhe eines
Monatssatzes im Altersheim hinblättert, mag es nicht so recht in sein
Outdoor-Sportfeeling zu passen, wenn er beim Sporttreiben in der
Öffentlichkeit nicht mehr unter sich bleiben kann. Doch ändern wird das
nichts daran, dass sich die Älteren den Sportplatz mitten in der Stadt
erobern werden. Und das vielleicht an der gleichen Stelle, an der vor
einigen Jahren noch Kindergeschrei über einen Kinderspielplatz hallte. Dass
Städte über die Umgestaltung von Kinderspielplätzen zu Seniorenparcours
nachdenken müssen, hat nämlich auch damit zu tun, dass in vielen
Stadtvierteln, wo einst Familien mit Kindern lebten, heute immer weniger
Kinder wohnen.
Seit im Jahr 1999 der erste deutsche "Seniorenspielplatz" im
niedersächsischen Schöningen eröffnet wurde, sind andere Städte diesem
Beispiel gefolgt. Heute findet man Bewegungsparcours, z. T. auch als Mehrgenerationplätze konzipiert, in Berlin (2007), in Nürnberg (2006), in
Karlsruhe (2008), in Mannheim (2008) und in anderen Städten. Auf solchen
Plätzen finden sich oft Angebote für Alt und Jung: Die Kleinen können sich
auf Holzgerüsten, Kettenstegen oder an Reckstangen austoben, und auf
Balancierstangen, auf Trittbrettern, Wackelbrücken, Wackelhockern u. anderen
Sportgeräten können Erwachsene bis ins höhere Alter hinein trainieren. Die
Zeit als die Alten abseits der Öffentlichkeit in Kurbädern am Waldrand ihrem
"Wassertreten" nachgingen, scheint also allmählich zu Ende zu gehen. Aber
das verlangt auch ein Umdenken der Alten: Auch sie müssen bereit sein, sich
bei ihren vielleicht nicht mehr so anmutig und sexy aussehenden sportlichen
Bewegungen von Jüngeren zusehen zu lassen. Die Scham, die Ältere oft
empfinden, wenn sie bei ihren Leibesübungen beobachtet werden, muss also dem
neuen Selbstvertrauen weichen, gerade mit ihren Fitnessübungen einen
wichtigen Beitrag für die Entlastung der Jungen von den sozialen Folgekosten
des demografischen Wandels und einer höheren Lebenserwartung zu leisten. Und
wenn auch die Jungen dies verstehen, werden sie alles andere tun, als sich
über Alte lustig zu machen, welche dafür sorgen, dass die Rentenbeiträge,
die im Zuge des Generationsvertrages von immer weniger „Jungen“ für die
Alten aufgebracht werden müssen, nicht weiter steigen.
Die Mehrgenerationenplätze sind darüber hinaus ein ausgezeichnetes Mittel in
einer immer älter werdenden Gesellschaft Anlässe und Gelegenheiten für
generationsübergreifende Aktivitäten zu schaffen und damit Alt und Jung neue
Orte der Begegnung zu eröffnen. Und: Wenn der Enkel oder die Enkelin mit Opa
oder Oma auf dem Platz stehen, wird sich auf Dauer gesehen auch die
Aufstellung der Generationen zueinander positiv entwickeln, um die großen
Probleme des demografischen Wandels nicht erst in der Nachspielzeit
anzupacken. Dennoch sollte man sich auch in Bezug auf intergenerationelles
gemeinsames Sporttreiben keiner Illusionen hingeben: Der Leistungssport, der
sich vermarkten lässt, und die Sportidole, denen junge Leute nacheifern,
finden sich in den großen Arenen und da zählt, wie wir alle wissen, alles
andere als die Gesundheit, wenn es um Erfolge geht, die sich für Sportler
und eine ganze Sportindustrie in Heller und Pfennig rechnen sollen. Ein
generationenverbindendes Motto "Gemeinsam fit, gemeinsam gesund" braucht
sicher seine Zeit und vielleicht auch mehr als das. Nichtsdestotrotz gilt
das alte heute mehr denn je: Auf die Plätze, fertig, los!
Gert Egle, www.teachsam.de, 28.12.2015
Anmerkungen
1 WAZ online, 2.5.2013 unter Bezugnahme auf die Studie „Der deutsche
Fitnessmarkt 2014“- von Deloitte, dem Arbeitgeberverband deutscher Fitness-
und Gesundheits-Anlagen (DSSV) und der Deutschen Hochschule für Prävention
und Gesundheitsmanagement (DHfPG)
docx-Download -
pdf-Download
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023
|