docx-Download -
pdf-Download
▪
Was wird erzählt?
(Handlung, erzählte Welt, Figur, Raum) »
▪
Raumgestaltung
▪
Überblick
▪
Raumtypen
▪
Figurengestaltung
▪
Überblick
▪
Figurencharakterisierung
▪
Überblick
▪
Techniken zur Figurencharakterisierung
▪
Ebenen
der Figurencharakterisierung
▪
Schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte
▪
Aspekte der schulischen
Erzähltextanalyse
▪
Kriterienkataloge der schulischen
Erzähltextanalyse »
▪
ABC der schulischen Erzähltextanalyse
»
▪
Gestaltungselemente des Films
▪
Einstellung
▪
Storyboard
▪
Standardformat
Der Beginn der Novelle »Unterm
Birnbaum (1883/85) von »Theodor
Fontane (1819-1989) kann zur ▪
schulischen Analyse der Erzählstrukturen herangezogen werden. Dazu
können verschiedene erzähltheoretische Kriterien und Kategorien der
älteren
oder der
neueren Erzähltheorie herangezogen werden. Hier geht es um die
▪
Raumgestaltung, Kameratechnik und
▪
Figurencharakterisierung.
Erstes Kapitel
"Vor dem in dem großen und reichen
Oderbruchdorfe1
Tschechin um Michaeli2 1820
eröffneten
Gasthaus und Materialwarengeschäft von Abel Hradscheck
(so
stand auf einem über der Tür angebrachten Schilde) wurden Säcke vom
Hausflur her auf einen mit zwei mageren Schimmeln bespannten Bauernwagen
geladen. Einige von den Säcken waren nicht gut gebunden oder hatten
kleine Löcher und Ritzen, und so sah man denn an dem, was herausfiel, dass
es Rapssäcke waren. Auf der Straße neben dem Wagen aber stand
Abel
Hradscheck selbst und sagte zu dem eben vom Rad her auf die Deichsel
steigenden Knecht: »Und nun vorwärts, Jakob, und grüße
mir Ölmüller Quaas. Und sag ihm, bis Ende
der Woche müsste ich das Öl haben, Leist in Wrietzen
warte schon. Und wenn Quaas nicht da ist, so bestelle der Frau meinen
Gruß und sei hübsch manierlich. Du weißt ja Bescheid und weißt auch,
Kätzchen hält auf Komplimente.«
Der als Jakob Angeredete nickte nur statt aller Antwort, setzte sich auf
den vordersten Rapssack und trieb beide Schimmel mit einem schläfrigen
»»Hüh!« an, wenn überhaupt vom Antreiben die Rede sein konnte.
Und nun klapperte der Wagen nach rechts hin den Fahrweg hinunter, erst auf
das Orthsche Gehöft samt seiner Windmühle (womit das Dorf nach der
Frankfurter Seite hin abschloss) und dann auf die weiter draußen am
Oderbruchdamm gelegene Ölmühle zu. Hradscheck sah dem Wagen nach, bis er
verschwunden war, und trat nun erst in den Hausflur zurück. Dieser war
breit und tief und teilte sich in zwei Hälften, die durch ein paar
Holzsäulen und zwei dazwischen ausgespannte Hängematten voneinander
getrennt nach rechts hin das Wohnzimmer, zu dem eine Stufe hinaufführte,
nach links aber der Laden, in dem man durch ein großes, fast die halbe
Wand einnehmendes Schiebefenster hineinsehen konnte. Früher war hier die
Verkaufsstelle gewesen, bis sich
die zum Vornehmtun geneigte Frau
Hradscheck das Herumtrampeln auf ihrem
Flur verbeten und auf Durchbruch
einer richtigen Ladentür, also von der Straße her, gedrungen hatte.
Seitdem zeigte der Vorflur
eine gewisse Herrschaftlichkeit, während der
nach dem Garten hinausführende Hinterflur ganz dem Geschäft gehörte.
Säcke, Zitronen- und Apfelsinenkisten standen hier an der einen Wand
entlang, während an der andren übereinander geschichtete Fässer lagen,
Ölfässer, deren stattliche Reihe nur durch eine zum Keller
hinunterführende Falltür unterbrochen war.
Ein sorglich vorgelegter Keil
hielt nach rechts und links hin die Fässer in Ordnung, so dass die untere
Reihe durch den Druck der obenaufliegenden nicht ins Rollen kommen
konnte.
So war der Flur. Hradscheck selbst aber, der eben die schmale, zwischen
den Kisten und Ölfässern frei gelassene Gasse passierte, schloss, halb
ärgerlich, halb lachend, die trotz seines Verbotes mal wieder offen
stehende Falltür und sagte: »Dieser Junge, der
Ede. Wann wird er seine fünf Sinne beisammen haben!«
Und damit trat er vom Flur in den Garten.
Hier war es schon herbstlich; nur noch Astern und Reseda3
blühten zwischen den Buchsbaumrabatten, und eine Hummel
umsummte den Stamm eines alten Birnbaums, der mitten im Garten hart neben
dem breiten Mittelsteige stand. Ein paar Möhrenbeete, die sich samt einem
schmalen mit Kartoffeln besetzten Ackerstreifen an ebendieser Stelle durch
eine Spargelanlage hinzogen, waren schon wieder umgegraben; eine frische
Luft ging, und eine schwarzgelbe, der
nebenan wohnenden Witwe Jeschke
zugehörige Katze schlich, mutmaßlich auf der Sperlingsuche, durch die
schon hoch in Samen stehenden Spargelbeete.
Hradscheck aber hatte dessen nicht acht. Er ging vielmehr rechnend und
wägend zwischen den Rabatten hin und her und kam erst zu Betrachtung und
Bewusstsein, als er, am Ende des Gartens angekommen, sich umsah und nun
die Rückseite seines Hauses vor sich hatte. Da lag es, sauber und
freundlich, links die sich von der Straße her bis in den Garten
hinziehende Kegelbahn, rechts der Hof samt dem Küchenhaus, das er erst
neuerdings an den Laden angebaut hatte. Der kaum vom Winde bewegte Rauch
stieg sonnenbeschienen auf und gab ein Bild von Glück und Frieden. Und
das war alles sein! Aber wie lange noch? Er sann ängstlich nach und fuhr
aus seinen Sinnen erst auf, als er, ein paar Schritte von sich entfernt,
eine große durch ihre Schwere und Reife sich von selbst ablösende
Malvasierbirne4
mit eigentümlich dumpfem Ton aufklatschen hörte. Denn sie war nicht auf
den harten Mittelsteig, sondern auf eins der umgegrabenen Möhrenbeete
gefallen. [...]
Hier sah er nachdenklich auf die Stelle, wo vor einer halben Stunde noch
die Rapssäcke gestanden hatten, und in seinem Auge lag etwas, als
wünsch' er, sie stünden noch am selben Fleck, oder es wären neue statt
ihrer aus dem Boden gewachsen. Er zählte dann noch die Fässerreihe, rief
im Vorübergehen einen kurzen Befehl in den Laden hinein und trat gleich
danach in seine gegenüber gelegene Wohnstube.
Diese machte neben ihrem wohnlichen zugleich einen eigentümlichen
Eindruck, und zwar, weil alles in ihr um vieles besser und eleganter war,
als sich's für einen Krämer und Dorfmaterialisten6
schickte. Die zwei kleinen Sofas waren mit einem hellblauen Atlasstoff
bezogen, und an dem Spiegelpfeiler stand ein schmaler Trumeau7,
weiß lackiert und mit Goldleiste. Ja, das in einem Mahagonirahmen über
dem kleinen Klavier hängende Bild (allem Anschein nach ein Stich von
Claude Lorrain8) war ein Sonnenuntergang mit
Tempeltrümmern und antiker Staffage9, so dass man sich
füglich fragen durfte, wie das alles hierherkomme. Passend war eigentlich
nur ein Stehpult mit einem Gitteraufsatz und einem Guckloch darüber, mit
Hilfe dessen man über den Flur weg auf das große Schiebefenster sehen
konnte.
Hradscheck legte die Birne vor sich hin und blätterte das
Kontobuch
durch, das aufgeschlagen auf dem Pulte lag. Um ihn her war alles still,
und nur aus der halb offen stehenden Hinterstube vernahm er den
Schlag
einer Schwarzwälder Uhr.
Es war fast, als ob das Ticktack ihn störe, wenigstens ging er auf die
Türe zu, anscheinend um sie zu schließen; als er indes hineinsah, nahm
er überrascht wahr, dass seine
Frau in der Hinterstube saß, wie
gewöhnlich schwarz, aber sorglich gekleidet, ganz wie jemand, der sich
auf Figurmachen und Toilettendinge10 versteht.
[...]"
(Quelle: Theodor Fontane:
Romane und Erzählungen in acht Bänden. Band 4, Berlin und Weimar 21973,
S. 203-206. Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20004776437) - gemeinfrei
Worterklärungen:
1 »Oderbruch: breite Niederung
am Ufer der »Oder, nördl. von
»Küstrin
(Kostrzyn nad Odrą)
2 Michaeli : Michaelstag;
in der christlichen Lehre Tag des
Hl. Michael am 29.9.; der Tag war früher ein Termin für Abgaben und
Gesindewechsel; am Michaelistag begann auch die "Kunstlicht-Zeit"“, in der
man bei künstlichen Lichtquellen arbeitete, ebenso die Spinnstubenzeit;
beide endeten an »Mariä
Lichtmess (2. Februar) zu Ende.
3 »Reseda: wohlriechende
Gartenblume
4 Malvasierbirne: bestimmte
Birnensorte
5 Tied: Zeit
6 Dorfmaterialist:
Kolonialwarenhändler, Materialwarenhändler (scherzhaft)
7 »Trumeau:
Wandspiegel, die an einem Pfeiler zwischen zwei Wandöffnungen (Fenster,
Türen) befestigt sind, werden als Trumeaux (veraltet: Trümeaux),
Pfeilerspiegel oder Trumeauspiegel bezeichnet. Sie sind entsprechend der
Wandfläche meist schmal und hoch und können von Kniehöhe bis zur Decke
reichen. Trumeaux erfreuten sich im 18. und 19. Jahrhundert großer
Beliebtheit.
8 »Claude Lorrain
(1600-1682): frz. Landschaftsmaler
9 Staffage: Beiwerk; Belebung
einer Landschafts- oder Architekturmalerei mit Tieren und Menschen
10 Toilettendinge: feine Kleidung =
frz. 'toilette'
docx-Download -
pdf-Download
▪
Was wird erzählt?
(Handlung, erzählte Welt, Figur, Raum) »
▪
Raumgestaltung
▪
Überblick
▪
Raumtypen
▪
Figurengestaltung
▪
Überblick
▪
Figurencharakterisierung
▪
Überblick
▪
Techniken zur Figurencharakterisierung
▪
Ebenen
der Figurencharakterisierung
▪
Schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte
▪
Aspekte der schulischen
Erzähltextanalyse
▪
Kriterienkataloge der schulischen
Erzähltextanalyse »
▪
ABC der schulischen Erzähltextanalyse
»
▪
Gestaltungselemente des Films
▪
Einstellung
▪
Storyboard
▪
Standardformat
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.01.2024