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Cleavage-Theorie

Konfliktlinie Zentrum vs. Peripherie

Cleavage center-periphery

 
 
 

Der politische Modernisierungsprozess, der während der Reformation im 16. Jahrhundert einsetzt, führt nach Lipset/Rokkan (1967) zu sozialen Spannungen, die im Zeitalter der Massendemokratie zu sozialen Trennlinien werden, "hinter" denen sich gesellschaftliche Großgruppen mit unterschiedlicher Interessenlage in diesem Konflikt als Parteien in einem Parteiensystem formieren.

Eine der von Lipset/Rokkan (1967) als Hauptcleavages identifizierten Konfliktlinien ist die zwischen Zentrum und Peripherie (cleavage center-periphery), die sich im Zuge der politischen Modernisierung auf dem Weg der europäischen Gesellschaften hin zu modernen Nationalstaaten verfestigt. Lipset und Rokkan (1967) bezeichnen diesen Prozess als nationale Revolution.
Nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts und der damit einhergehenden Politisierung weiter Bevölkerungskreise tritt diese Konfliktlinie in Wechselbeziehung zur Entwicklung und Struktur des Parteiensystems.
Der Cleavage Zentrum vs. Peripherie ist dabei einer der beiden kulturellen Grundkonflikte, denen sich die westeuropäischen Gesellschaften auf dem Weg zur Nationalstaatsbildung gegenübersehen.

Die historischen Wurzeln dieses Cleavage gehen bis zur Reformation im 16. Jahrhundert zurück, wo mit der Territorialisierung zwischen den Kräften, die für die Errichtung von Landesherrschaften eintraten, und denen, die an alten feudalen Herrschaftsstrukturen festhalten wollten, große soziale Spannungen entstanden. Diese entluden sich oftmals auch gewaltsam, weil sich die alten feudalen Herrschaftsträger ihrer Mediatisierung unter die landesherrliche Herrschaft ebenso entgegenstemmten wie politischen, ökonomischen und kulturellen Standardisierungen (z. B. Gesetze, Märkte etc.), die den Weg für die Entstehung eines modernen Staates freimachen sollten.
Der Graben, der die Gesellschaft damals durchzog, war der zwischen den oftmals am Rande (Peripherie) des neuen staatlichen Territoriums liegenden Gegnern der Territorialisierung und den Befürwortern, die sich eher im Zentrum der entstehenden Landesherrschaften befanden. Von dieser Vorstellung wird die Bezeichnung des Cleavage von Zentrum und Peripherie abgeleitet.
Was den Graben also, historisch gesehen, aufgerissen hat, waren bei der politischen Modernisierung oft politische und gesellschaftliche Eliten, die "vielfach auf eine kulturelle Standardisierung hingearbeitet haben." (Detterbeck 2011, S.41) Ihnen ging es darum "mittels Instrumenten wie einer gemeinsamen nationalen Sprache und Religion, einem staatlichen Bildungssystem, einem allgemeinen Wehrdienst, Privilegien der Staatsbürger gegenüber Fremden, nationalen Symbolen und geschichtlichen Mythen" eine "gemeinsame nationale Identität" zu fördern. Wer da aber nicht mitmachen wollte, der stemmte sich gegen die kulturelle Integration von oben. (vgl. ebd.) Wer um seine Autonomie fürchtete, verlangte daher Anerkennung der kulturellen Selbständigkeit und auch weiterhin politische Selbstbestimmung.

Der Cleavage Zentrum vs. Peripherie spielt bis heute in manchen europäischen Ländern, die über starke Regionalparteien verfügen, eine bedeutende Rolle. Das sind z. B. die separatistische  »Scottish National Party oder die »Südtiroler Volkspartei, die sich als ethnische Sammelpartei aller deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler in Italien versteht.

In Deutschland spielte das →Zentrum-Peripherie-Cleavage für das Parteiensystem eine untergeordnete Rolle. Hier gab es vor dem Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik vergleichsweise unbedeutende →Regionalparteien (z.B. die »Bayerische Volkspartei in der Weimarer Republik.

Heute gibt es in der Bundesrepublik nur Kleinparteien mit einem klaren regionalen Bezug. Dazu gehören Bayernpartei und der »Süd-Schlewigsche Wählerverband (SSW), die beide allerdings recht bedeutungslos sind. Der SSW allerdings hat mittlerweile aber auch schon mal die Rolle eines Mehrheitsbeschaffers für die Wahl einer Landesregierung gespielt.
Der SSW vertritt die dänische Minderheit im Landtag von Schleswig-Holstein und ist bei den Landtags- und Bundestagswahlen von der Fünf-Prozent-Hürde befreit. Seit der »Landtagswahl 2012 in Schleswig-Holstein war der SSW erstmals in Regierungsverantwortung und bildete mit SPD und Grünen eine Regierungskoalition, die sogenannte »Dänen-Ampel.
Einen regionalen Bezug weist auch die auf das Bundesland Bayern beschränkte CSU (Christlich Soziale Union) auf. Allerdings ist sie in einer »Fraktionsgemeinschaft mit ihrer »Schwesterpartei, der CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands) auch im Bundestag vertreten und spielt damit auch auf nationaler Bühne eine Rolle. (»CDU/CSU-Bundestagsfraktion) Insofern kann man die CSU auch nicht als Regionalpartei bezeichnen, die sich vor allem entlang des →Cleavage Zentrum vs. Peripherie formiert.
Das gilt auch, wenn man bedenkt, dass die Erfolgsgeschichte der CSU in Bayern auch stets daran hing, "dass sie sich von Anfang an nicht nur als bayerische Partei verstand." (Decker/Neu 2007, S.223) Dazu gehört auch, dass die CSU immer wieder Sonderstandpunkte in die politische Auseinandersetzung einbringt, die zumindest den Anschein der Vertretung von Regionalinteressen haben. Dies wurde im Zusammenhang mit der »Flüchtlingskrise ab 2015 besonders deutlich, in der sich der CSU-Ministerpräsident »Horst Seehofer (geb. 1949) (CSU) nicht zuletzt unter Berufung auf die besondere bayerische Situation, wo über die so genannte »"Balkanroute" Zehntausende von Flüchtlingen ankamen und versorgt werden mussten, offen gegen die Politik der CDU-Kanzlerin »Angela Merkel (geb. 1954) stellte.
Dass die CSU ansonsten vor allem in den Bereichen Bildung und Kultur immer wieder beansprucht, einen bayerischen Sonderweg zu gehen, ist Teil der Identität der stärksten Partei des »Freistaats Bayern, aber grundsätzlich in der föderativen Struktur der Bundesrepublik Deutschland verankert.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 25.08.2016

 

 
   
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